"Die Globalisierung des Guten is on the way ..." hatte Marie Ringler, Gründerin von Ashoka Österreich, zuvor auf ihrer Facebook Page geposted. Tatsächlich kam am 16. und 17. Februar bei einer von der internationalen NGO koordinierten Veranstaltung ("Globalizer") in Wien eine Gruppe von "Gutmenschen" zusammen.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen elf soziale Innovatoren, die alle eines gemeinsam haben: Jede und jeder von ihnen hat eine Idee ins Leben gerufen, die das Leben von Menschen mit Behinderungen für immer verändert.
Links:
- Ashoka Österreich
- Ashoka Globalizer
- Frank Hoffmann: Discovering Hands
- Raul Krauthausen: Wheelmap - Rollstuhlgerechte Orte finden
- Thorkil Sonne: Specialist People Foundation
- Zentrum für Soziale Innovation
- Marie Ringler
Ö1 Jahresschwerpunkt 2013: Open Innovation
"Öffentliches Wissen" und Bürgerbeteiligung spielen in enger Verbindung mit Qualitätsjournalismus eine immer größere Rolle. Mit dem Jahresschwerpunkt "Open Innovation" unterstreicht Ö1 die Bedeutung dieses Phänomens für eine zukunftsweisende Entwicklung der Zivilgesellschaft. Aktuelle Beiträge und Hintergrundberichte in verschiedenen Sendeformaten von Ö1 informieren, auch science.ORF.at widmet diesem Thema eine Reihe von Beiträgen.
Soziale Innovationen suchen globale Verbreitung
Einer von ihnen ist Frank Hoffmann: Der deutsche Arzt macht sich die Feinfühligkeit Blinder zunutze, um Brustkrebs bei Frauen schon früher zu erkennen. Damit ist gleichzeitig ein neuer Berufsstand entstanden - Medizinische Tastuntersucherinnen (MTUs) arbeiten derzeit in 15 deutschen Arztpraxen. Hoffmann möchte seine MTU-Ausbildung gerne auch in Österreich und anderen Ländern anbieten. Aber wie?
Die Verbreitung eines Konzepts über Landesgrenzen hinaus stellt für soziale Innovationen nach wie vor die größte Herausforderung dar. Sind einmal alle ohnehin schwierigen Anfangshürden genommen, und hat sich eine soziale Innovation lokal etabliert, entsteht bei vielen das Bedürfnis nach einer Ausweitung ihrer Methode.
Genau hier setzt Ashoka an: Die Organisation bietet ausgewählten sozialen Unternehmern die Chance, Unterstützung von Experten aus verschiedenen Bereichen - IT, Banken, Vertrieb etc. - zu bekommen. Die "Fellows", so nennt Ashoka seine Klienten, besprechen ein Wochenende lang, wie sich ihre Ideen am besten global vertreiben lassen.
Kombination von Wirtschaft und Sozialem
Frank Hoffmanns neue Behandlungsmethode 'discovering hands' ist ein typisches Beispiel für die gewünschte Verbindung von Sozialbereich und klassischer Wirtschaft. Sie eröffnet nicht nur neue Arbeitschancen für Menschen mit Behinderungen, sondern hat auch zu einer neuen Ausbildung geführt: "Wir haben gemeinsam mit einer Hilfseinrichtung für blinde Menschen ein vollständiges Curriculum entwickelt."
In einer Vorstudie habe sich gezeigt, dass die Methode funktioniert, so der deutsche Mediziner. "Die MTUs konnten Tumore mit einer Größe von sechs bis acht Millimeter ertasten, bei Ärzten lag die Größe bei eineinhalb Zentimetern."
Ein Businessmodell konnte er daraus aber erst mit Hilfe von Ashoka machen. "Durch sie lernten wir Experten kennen, die uns nicht nur finanziell, sondern auch im IT-Bereich und im Marketing weiterhelfen konnten. Wir haben mit unseren Spezialklebestreifen, mit denen sich die Tastuntersucherinnen auf der Brust orientieren, auch ein Produkt entwickelt und patentiert, das für die Behandlung angekauft werden muss. So entsteht ein Rückfluss in die Kasse."
Austausch von Partnerunternehmen
Hoffmann ging sogar noch einen Schritt weiter: Über Ashoka wurde ihm für ein halbes Jahr mit Michael Döll ein sogenannter "Executive in Residence" zur Seite gestellt. Bei diesem "Austauschprogramm" arbeitet ein Experte eines Ashoka-Partnerunternehmens mehrere Monate lang in einem sozialen Unternehmen mit. Döll ist bei Boehringer Ingelheim im Globalen Einkauf für Marketing Dienstleistungen beschäftigt und stellt Hoffmann sein Knowhow zur Verfügung.
Und welchen Nutzen sieht Döll? "Für mich ist das eine enorme Erweiterung meines persönlichen Spektrums. Ich bekomme neue Einsichten und Perspektiven. Bei 'discovering hands' gefällt mir besonders, dass hier eine Behinderung, also Blindheit, in eine Begabung gewandelt wird."
Nur Bottom-up reicht nicht
Gesucht wird also nach Lösungen: Sozialunternehmer brauchen Partner und Knowhow, um ihre Ideen umzusetzen. Unternehmen wollen als "sozial" wahrgenommen werden und haben in Ashoka einen Vermittler gefunden, der ihnen gute Ideen vorselektiert. Was dabei entsteht, ist eine neue Dynamik zwischen Aktivisten, Regierungen und der Geschäftswelt, die in kurzer Zeit zahlreiche Ergebnisse vorweisen kann, aber auch Fragen aufwirft. Sieht so die Zukunft der sozialen Innovation aus? Wo bleibt die soziale Verantwortung des Staats?
Fragen, die sich viele stellen: "Heute wird oft so getan, als wäre soziale Innovation die Lösung für alle Probleme. Man kann aber nicht einfach von realen wirtschaftlichen Problemen ablenken und sagen: Wir machen jetzt alles mit Bottom-Up-Initiativen, d.h. die Leute sollen sich engagieren. Das reicht sicher nicht", betonte etwa Josef Hochgerner, Gründer des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI), in einem Gespräch mit science.ORF.at.
Wenn helfen zur Wahl wird
Der sehr wirtschaftsorientierte Beigeschmack des in den USA geborenen Konzepts stört Fellows wie Frank Hoffmann nicht: "Ich bin mir darüber im Klaren, dass Sozialunternehmer nicht die einzige Antwort auf die Probleme unserer Zeit sind. Es ist aber gut, wenn Lösungen nicht nur von oben, vom Staat und der Politik, sondern auch einmal direkt von den Betroffenen kommen."
Der Däne Thorkil Sonne, der Menschen mit Autismus in die IT-Branche integriert und in den Arbeitsmarkt zurückholt, nennt Unternehmen und Förderer sogar "Helden". Denn: "Ich glaube nicht, dass Politiker die Veränderung bringen. Dazu braucht es die Wirtschaft und Sozialunternehmer. Als Vater eines Sohnes mit Autismus habe ich keine Wahl. Aber Ashoka und die Unternehmen, die mir helfen und die mir Türe öffnen, sie haben die Wahl zu helfen oder nicht. Ich möchte die Gesellschaft verändern und zeigen, dass diese Menschen Qualitäten haben, die andere nicht mitbringen."
Rollstuhltauglichkeit via Smartphone abrufen
Ein weiterer Ashoka-Fellow ist Raul Krauthausen. Er hat die "Wheelmap" entwickelt, eine App fürs Smartphone, mit der jeder öffentliche Plätze nach ihrer Rollstuhl-Tauglichkeit bewerten kann. Der 32-jährige Berliner hat die sogenannte Glasknochenkrankheit. "Ich engagiere mich, seit ich zwölf Jahre alt bin, und werde es auch weiter tun. Wir wollen mit Leidenschaft, Spaß und Technologie etwas verändern."
Bei der Globalizer-Veranstaltung möchte er lokale Partner in anderen Ländern finden, die seine Idee authentisch weiter vermitteln. "Als nächstes möchten wir die Wheelmap nach Spanien bringen." Gegenüber science.ORF.at zeigte er sich aber durchaus kritisch:
"Ashoka hat uns viel gebracht. Wir spielen das Spiel ja auch mit. Ich bin aber nicht genial, auch nicht wegen meiner Behinderung. Diese Leitsprüche wie 'Everyone is a Changemaker', das ist mir zu schön. Was ist, wenn das dazu führt, dass Regierungen soziale Verantwortung auf Unternehmen abwälzen? Die Liberalisierung des Sozialbereichs birgt viele Gefahren. Man spricht ja bereits von der Ashokaisierung des Sektors."
Keine Angst vor "Ashokaisierung" des Sozialbereichs
Für Marie Ringler, die Gründerin von Ashoka Österreich, ist Kritik an Ashoka nichts Neues. Sie ist aber von der Effektivität eines globalen Netzwerks für Sozialunternehmer überzeugt:"Social Entrepreneurs können und wollen staatliche Verantwortung nicht übernehmen. Ihre Rolle ist es, Innovationsimpulse ins System zu tragen und damit Wandel gemeinsam mit der Politik, NGOs, großen Hilfsorganisationen und Unternehmen zu gestalten. Wir wissen: Unsere Welt von heute wird übermorgen ganz anders aussehen. Genau da können Social Entrepreneurs einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie vordenken, experimentieren und neue Lösungen aufzeigen."
Vorbilder in der Vergangenheit? Da fallen Ringler etwa der Gründer der SOS-Kinderdörfer, Hermann Gmeiner, und Maria Montessori, die italienische Reformpädagogin, ein. "Ihre Ideen sind heute ganz selbstverständlich Teil unserer etablierten Institutionen. Der Unterschied zu damals ist nur, dass es heute Organisationen wie Ashoka gibt, die diese Pioniere unterstützen."
Denise Riedlinger, science.ORF.at
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