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Ein Manager steht vor einer Wand, auf der sich digitale Zeichen wie 0 und 1 befinden

"Die Masse ist nicht immer intelligent"

Sind Zusammenarbeit und Offenheit bei Unternehmen, die in erster Linie Gewinn machen wollen, nur Schlagworte? Nein, meint der Managementforscher Oliver Alexy. Offene Innovationsprozesse werden immer wichtiger, erfordern aber überall Veränderungen - in der Ausbildung, bei den Arbeitern und nicht zuletzt im Unternehmen selbst.

Open Innovation 01.03.2013

Das persönliche Prestige der Problemlösung durch die "Weisheit der Vielen" unterzuordnen, ist nicht ganz leicht. Und selbst wenn die Übung gelingt: "Im Sinne des sozialen Optimums ist die Masse nicht immer intelligent", wie Alexy vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen in einem Interview meint.

Zur Person und Projekt:

Porträtfoto von Oliver Alexy

Technische Universität München

Oliver Alexy befasst sich am Entrepreneurship Research Institute der Technischen Universität München mit Unternehmensforschung. Im Zentrum stehen dabei offene, verteilte Innovationsprozesse und Netzwerke. Oliver Alexy war auf Einladung von "Create32" zu Gast bei einem Open Innovation Workshop in Wien.

"Create32" ist der Innovationsprozess des österreichischen Wirtschaftsbundes, einer Teilorganisation der ÖVP. Dabei soll der Gedanke von Open Innovation in einem politischen Kontext angewandt werden: Das Wissen heterogener Experten aus verschiedenen Feldern wird dabei zusammengeführt, um auf dieser Basis neue Ideen für die Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandortes Österreich bis zum Jahr 2032 zu generieren. Dieser Prozess startete mit dem "Future Lab" im Sommer 2012, von 24. bis 26. Februar fand in Wien das so genannte "Implementation Lab" statt, bei dem 27 internationale Experten und Expertinnen zusammen kamen.

Ö1 Jahresschwerpunkt 2013: Open Innovation

"Öffentliches Wissen" und Bürgerbeteiligung spielen in enger Verbindung mit Qualitätsjournalismus eine immer größere Rolle. Mit dem Jahresschwerpunkt "Open Innovation" unterstreicht Ö1 die Bedeutung dieses Phänomens für eine zukunftsweisende Entwicklung der Zivilgesellschaft. Aktuelle Beiträge und Hintergrundberichte in verschiedenen Sendeformaten von Ö1 informieren, auch science.ORF.at widmet diesem Thema eine Reihe von Beiträgen.

science.ORF.at: Sie befassen sich mit offenen Innovationsprozessen, also Open Innovation, in Unternehmen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Oliver Alexy: Vereinfacht gesagt interessiert mich die Frage, wie es einer Firma besser gehen kann. Wie können kleinere und mittlere Unternehmen erfolgreich wachsen, wie können sich Großunternehmen erfolgreich erneuern? Bei der Beantwortung der Fragen ist klar, dass Kollaboration und Offenheit eine ganz große Rolle spielen. Ich stelle mir das so vor: Als Manager haben Sie einen Köcher mit Tools, die Sie verwenden können. Und mein Ziel ist es, zu sagen: Es gibt noch mehr. Wenn Sie sich öffnen, haben Sie Mittel, mithilfe derer Sie in Bereichen, in denen Sie bisher chancenlos waren, nun eine Reihe von Möglichkeiten haben. Sie können nicht nur reagieren, sondern auch aktiv gestalten.

Können Sie das konkretisieren bzw. ein Beispiel dafür nennen?

In einem englischen Bauunternehmen gab es ein paar clevere Leute, die eine Technologie entwickelt haben, wie man Aufzüge betreiben kann, wenn es brennt. Das hat den Vorteil, dass die Evakuierungszeit in jedem Hochhaus sinkt. Sie haben nur ein Problem: Jeder wächst mit dem Schild "In case of fire do not use the elevator" auf. Wie kriegen Sie nun die Leute dazu, dass sie sagen: "Natürlich können wir einen Aufzug benutzen, wenn es brennt." Da gibt es ja behördliche Bestimmungen. Alleine schaffen Sie das nicht. Was die Firma letztendlich gemacht hat: Sie haben einen großen Teil der Baupläne und Konzepte offengelegt, und Konkurrenten durften die verwenden. Am Schluss war es nicht mehr eine einzige Firma, sondern eine Reihe von Firmen, die an die entsprechenden Behörden herangetreten sind. Und das hat dazu geführt, dass sie letztendlich Gehör gefunden haben.

Ist Open Innovation das unternehmerische Modell der Zukunft?

Wenn wir Methoden entwickeln, wie wir günstig auf das Wissen vieler zugreifen und es auch destillieren können, dann ja.

Was meinen Sie mit günstig?

Stellen Sie sich vor, Sie fragen eine Million Leute nach ihrer Meinung. Wie finden Sie die heraus, Sie können ja nicht eine Million Antworten lesen? Das ist kognitiv mit den Ressourcen, die Unternehmen normal zur Verfügung stehen, unmöglich. Es muss aber eine Methode geben, da geht es um Dinge wie Wortsuche oder Sprachanalyse - Bereiche, in denen ich kein Experte bin. Aber je weiter die Forschung in der Anwendung dieser Methoden kommt, umso wahrscheinlicher ist es, dass sich offene Prozesse durchsetzen. Dann wird auch so etwas wie Crowdsourcing ganz andere Dimensionen annehmen.

Was ist der Gedanke, der hinter der Öffnung steckt?

Man muss sich mit der Idee anfreunden, dass man sein Wissen nicht horten muss, sondern dass man es gegebenenfalls auch freigeben kann. Die Erkenntnis, dass ich nicht immer der cleverste bin, sondern dass ich auch etwas von jemandem annehmen kann, von dem ich vielleicht glaube, dass er gar keine Ahnung hat. Und wenn Sie das Ganze strategisch planen, können Unternehmen ihre Erneuerungschancen drastisch erhöhen. Im Bereich Software kennen fast alle Beispiele, aber sie finden das auch bei Möbeln, Lebensmitteln - eigentlich überall.

Aber dieses Verständnis setzt doch grundlegende Veränderungen im unternehmerischen Denken und in der Art, wie die individuelle Arbeit geleistet und bewertet wird, voraus.

Es ist tatsächlich anders, als wir bisher gearbeitet haben. Und das bringt natürlich auch kulturelle Probleme. Sie müssen zum Beispiel einem Anwalt beibringen, dass sich seine Rolle ändert: weg von einem Torwächter, der aufpasst, dass ja nichts aus der Firma hinausgeht, hin zu jemanden, der die Zugbrücke runterklappt und Sie anlächelt. Sie müssen völlig neue Verträge ausarbeiten, wofür sie nicht ausgebildet sind. Und letztlich heißt das, dass die Menschen anders arbeiten müssen.

Hat sich das Bewusstsein für diese Offenheit in den Unternehmen schon entwickelt?

Das ist extrem schwierig, und es kommen viele Dinge zusammen. Sie brauchen sowohl persönliche als auch strukturelle Veränderungen. Meiner Ansicht nach kämpfen die Unternehmen damit noch. Ein Projektmanager wird normalerweise danach bewertet, wie schnell das Projekt fertiggestellt wird und wie sicher es ist. Wenn Sie nicht nur mit fünf Leuten schnell ein Software-Projekt durchführen wollen, sondern mit tausend Leuten: Wenn es blöd läuft, können Sie Ihre Deadline nie einhalten. Aber die Software wird vielleicht trotzdem besser, sicherer, was auch immer. Das sind neue Maßzahlen, die noch gar nicht in den Wertungssystemen vorkommen.

Was kann die Ausbildung dazu beitragen, dass sich diese Wertungssysteme verändern?

Der Software-Bereich hat hier eine Vorreiterrolle. Hier wird - insbesondere an den Universitäten - seit Jahrzehnten gelehrt: Ein guter Programmierer schreibt ein wundervolles Programm, ein sehr guter Programmierer stellt sich ein wundervolles Programm aus bestehenden Bausteinen zusammen. Da hat sich die Mentalität, was es heißt effizient zu arbeiten, bereits geändert. Und das heißt in dem Fall, mit anderen Leuten zusammen auf den Ergebnissen anderer aufbauen.

Wenn man den Gedanken von Open Innovation in anderen Fächern glaubhaft einführt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich das durchsetzt. Wenn man den Leuten beibringt, dass es wichtiger ist, das Problem zu lösen, als dass ich das Problem löse, dann haben Sie schon einen entscheidenden Schritt gemacht. Und da sehe ich eine gewisse Ausbildungsaufgabe der Universität, ja vielleicht sogar der Schulen. Andererseits wird es nicht schaden, wenn es erfolgreiche Beispiele aus den Unternehmen gibt, die als Vorbilder für die Universitäten dienen.

Unternehmen wollten mit neuen, vielleicht kollaborativ entwickelten Dinge finanziellen Profit machen. Wirkt das nicht abschreckend auf viele?

Unternehmen werden prinzipiell die Perspektive des Gewinns vorziehen. Aber Sie können ja auch alles andere als Ziel definieren. Es gibt Beispiele, die kommen aus dem Social-Entrepreneur-Bereich. Man kann auch ein soziales Problem dadurch lösen, indem man Akteure clever zusammenarbeiten lässt. Und wahrscheinlich finden Sie mehr Leute in der Welt, die ihr Problem lösen, wenn ihnen klar ist, dass es nicht nur dazu dient, dass Sie sich noch mehr Geld in die Taschen stopfen.

Betrachten wir es einmal aus der Perspektive der Wissenschaft. Was könnte da die Motivation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für Open Innovation sein?

Die kann vielfältig sein. Ich hoffe, dass Wissenschaftler in erster Linie ein natürliches Interesse am Problemfinden und -lösen haben, dass sie etwas weiterbringen und der Gesellschaft helfen wollen. Manche von ihnen wollen vielleicht auch in ihrem Lebenslauf stehen haben, dass sie dreimal an Idea-Competitions teilgenommen und dreimal gewonnen haben. Die Motivation in den verschiedenen Bereichen kann sehr unterschiedlich sein.

Gehen wir davon aus, eine Forschungsgruppe entwickelt etwas gemeinsam und eine Firma ist interessiert: Kollidiert da nicht die kollaborative Forschung mit den kommerziellen Interessen?

Das schließt sich nicht aus. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir eine Grundlagenforschung haben, die völlig anwendungsfrei ist. Ich war vier Jahre in England, und dort gibt es die Bestrebung, dass jetzt alles einen Impact haben muss. Man muss Drittmittelanträge schreiben, wie etwas angewendet werden kann etc. Ich würde kein System wollen, in dem jede Forschung anwendungsorientiert und kommerzialisierbar sein muss.

Gleichzeitig würde ich mich nicht einem System versperren, in dem die Ergebnisse aller Forschungsprojekte auf eine Website gestellt werden. Unternehmen könnten sich das anschauen und gegebenenfalls mit dem Wissenschaftsfonds FWF Kontakt aufnehmen, um zu schauen, was man gemeinsam machen könnte. Ob sie dann aber die Leute zur Kommerzialisierung zwingen, ist eine völlig andere Frage. Wenn sie zum Beispiel einen brillanten Physiker haben und den zwingen, sich in ein Vorstandsmeeting zu setzen, dann verschwenden Sie nicht nur seine Zeit, sondern auch die der Wissenschaft.

Was muss also in Bezug auf die Forschungsfinanzierung zukünftig passieren?

Es muss ein System geben, in dem Sie die Leute systemisch ihre Stärken ausspielen lassen, sodass am Ende für alle das Beste raus kommt. Und wenn jemand fantastische Grundlagenforschung macht, dann sollen Sie den das bitte machen lassen. Was hier die optimale Balance ist, weiß ich nicht. Idealerweise wäre ich für eine Selbstregulierung der Universitäten. Wenn man sich bei einer Firma um Geld bewirbt, dann muss man auch mit der Firma zusammen arbeiten. Aber wenn man Drittmittel für angewandte Grundlagenforschung hat, dann heißt das nicht zwingend, dass man danach zwei Jahre versuchen muss das zu kommerzialisieren - vielleicht noch mit einer Firma, die man nicht ausstehen kann.

Welche neuen Mittel der Forschungsförderung können zukünftig zur Anwendung kommen? Etwa Crowdfounding?

Ich finde Crowdfounding aus mehreren Gesichtspunkten sehr spannend. Zum einen ist es die Abstimmung mit den Füßen - Sie geben ja nicht nur Geld, sondern signalisieren gleichzeitig die Bereitschaft, dass Sie Interesse an dem finalen Projekt haben. Und ich bin zu einem Teil nicht einmal sicher, ob das nicht die wertvollere Information ist. Einerseits kann man in Bereichen, in dem es eine große emotionale Bindung zum finalen Produkt gibt, relativ viel damit machen.

Das sind Projekte mit hohem Wiedererkennungswert und hoher Nutzbarkeit - etwa Computerspiele. Andererseits arbeite ich derzeit mit einer Musikstiftung in München zusammen, die Pianos für Kinder aufstellen wollen. Die haben ein relativ niedriges Crowdfounding-Ziel, dennoch ist es extrem schwierig für diese Leute an Geld zu kommen. Das heißt, die Masse ist auch nicht immer intelligent, im Sinne des sozialen Optimums. Es gibt noch einen extremen Informationsbedarf zu diesem Thema.

Würde man alles komplett auf Crowdfounding umstellen, hieße das dann, dass wir eine fantastische Auswahl an Computerspielen in unseren Kaufhäusern finden, aber ein großes Problem bei der Infrastruktur haben, weil die langweilig ist? Ich weiß es ganz ehrlich nicht. Ich kann nicht sagen, ob die Leute dann cleverer würden.

Interview: Theresa Aigner, science.ORF.at

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