Standort: science.ORF.at / Meldung: "Gleichstellung = (auch) Männerförderung?"

Vier männliche Figuren schauen auf eine weibliche.

Gleichstellung = (auch) Männerförderung?

Die deutsche Universität Hildesheim verabschiedete sich von der traditionellen Frauenförderung und lädt nun auch ausdrücklich Männer zur Bewerbung in Fächern ein, in denen sie unterrepräsentiert sind. Fehlentwicklung oder Zukunftsmodell - Forscherinnen sind sich uneins.

Internationaler Frauentag 08.03.2013

"Zu dauerhaft gleichen Chancen im öffentlichen Dienst für beide Geschlechter wird man nur gelangen, wenn sich neben den Frauenrollen auch die Männerrollen ändern. Deshalb verpflichtet das Gesetz die Dienststellen, auch auf den Abbau der Unterrepräsentanz von Männern hinzuwirken." Dieser Satz des 2011 novellierten Gleichberechtigungsgesetzes im deutschen Bundesland Niedersachsen veranlasste die Universität Hildesheim, ihre Frauenförderungspolitik zu ändern und auf beide Geschlechter mit ihren Gleichstellungsmaßnahmen abzuzielen.

Unterrepräsentiertes Geschlecht

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Dem Frauentag widmen sich auch die Ö1 Journale.

Man wolle "die berufliche Gleichstellung von Frauen und Männern besonders fördern", heißt es nun in den Stellenausschreibungen der Uni (zum Beispiel hier). Daher werde "eine Erhöhung des im jeweiligen Bereich unterrepräsentierten Geschlechts" angestrebt.

Eine unzulässige Vereinfachung eines komplizierten Themas, befindet hingegen die Juristin und Politikwissenschaftlerin Maria Wersig, die am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim arbeitet. Schließlich seien es die historisch männerdominierten Strukturen an den Hochschulen, die dazu geführt hätten, dass Frauen bis heute seltener in den Genuss einer unbefristeten Anstellung bzw. einer Professur kommen als Männer.

Balanceakt

Sicherlich sei es richtig, dass in einzelnen Fächern Frauen auch als Lehrende bereits die Mehrheit hätten. Man müsse aber immer die Gesamtheit im Auge behalten und genau analysieren, welchen Umfang die einzelnen Lehraufträge haben und wer bei Stellenausschreibungen zum Zug kommt. "Köpfe zählen allein ist zu wenig", so Wersig. Sie bestreitet auch, dass es Männer generell schwerer haben, eine Assistentenstelle oder eine Professur etwa in den Erziehungswissenschaften zu bekommen. "Wenn sie die vielen Jahre mühevoller Projektarbeit auf sich nehmen, sind ihre Chancen mindestens genauso gut - wenn nicht nach wie vor besser."

Silvia Lange, die Gleichstellungsbeauftragte der Universität Hildesheim, hält die Kritik für teilweise berechtigt. Gleichzeitig sieht sie es aber als Teil von Gleichberechtigung, dass auch Männer Forderungen stellen können. "Wir haben beispielsweise im Fachbereich Sprach- und Informationswissenschaften bereits 65 Prozent Professorinnen. Da stellt sich schon die Frage, ob man dieses Ungleichgewicht weiter vertiefen möchte oder gegensteuert", so Lange. Aber sie gibt zu, dass der Umgang mit den Geschlechterverhältnissen an einer Universität ein "Balanceakt" sei. Auswertung, ob die gezielte Ansprache von Männern zu mehr Bewerbungen von Jungforschern geführt hat, gebe es noch keine, erklärt die Gleichstellungsbeauftragte.

"Strategisch nicht blöd"

Brigitte Ratzer, Leiterin der Koordinationsstelle für Frauenförderung und Gender Studies der Technischen Universität Wien, hält die Diskussion darüber, ob man in einzelnen Bereichen auch Männer fördern sollte, für "strategisch nicht blöd". "Frauenförderung suggeriert immer, dass Frauen in bestimmten Bereichen ein Defizit haben und deshalb besondere Unterstützung brauchen. Einmal festzustellen, dass auch Männer in manchen Fächern Nachholbedarf haben, wäre in diesem Zusammenhang sogar nützlich", meint Ratzer.

Ein Problem entstehe dann, wenn "eine Symmetrie suggeriert wird, die so nicht vorhanden ist. Denn Frauen werden an der Universität noch immer stärker benachteiligt als Männer. Beiden Gruppen gleich viel Aufmerksamkeit und Ressourcen zu widmen, ginge an der Realität vorbei."

Eindeutige Zahlen

Die Zahlen belegen immer wieder aufs Neue, dass von Gleichstellung an den österreichischen Universitäten noch keine Rede sein kann: Selbst wenn man die Universität Wien als eine Einrichtung mit besonders hohem Frauenanteil heranzieht, fällt die Analyse eindeutig aus: Laut Abteilung für Frauenförderung und Gleichstellung ist zwar der Anteil der Professorinnen von 2007 bis 2011 von 13,7 auf 21,6 Prozent gestiegen - von einer gleichen Verteilung der Professuren kann aber noch keine Rede sein, zumal diese Zahlen auch die Gastprofessoren und -professorinnen enthält.

Bei den Doktoraten liegt die Absolventinnenquote mittlerweile bereits bei 56 Prozent, in Punkto Habilitationen kehren sich die Geschlechterverhältnisse aber wieder um: Hier lag die Frauenquote im Jahr 2010 bei 37 Prozent. An der Technischen Universität Wien sind die Zahlen noch deutlicher: 26,5 Prozent Studienanfängerinnen stehen 9,3 Prozent Professorinnen gegenüber.

"MINT" für Männer

Bei aller Uneinigkeit darüber, ob Gleichstellung an Universitäten auch bedeutet, Männer in einzelnen Fächern stärker zu fördern, sind sich die Wissenschaftlerinnen einig, dass man eigentlich schon früher ansetzen und die geschlechtsspezifische Berufs- bzw. Studienwahl in der Schule thematisieren sollte. Beispielsweise sollte man darüber nachdenken, die MINT-Initiative, die junge Frauen dazu ermuntern soll, ein Studienfach aus den Technik- und Naturwissenschaften zu wählen, auch für junge Männer zu machen - dann eben mit dem Fokus Pädagogik oder Pflegewissenschaften.

Elke Ziegler, science.ORF.at

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