Um jeden Preis
Die Studie in "Nature":
"Rescuiung cocaine-induced pefrontal cortex hypoactivity prevents compulsive cocaine seeking" von Billy T. Chen et al., erschienen am 3. April 2013.
Im Suchtverhalten sind Ratten dem Menschen recht ähnlich, weswegen sie Drogenforscher gerne als Modell nutzen. Haben sie freien Zugang, gewöhnen sich die Tiere an den regelmäßigen Konsum, wie sich etwa bei Versuchen mit Kokain gezeigt hat. Aber nur ein Teil der Nager rutscht in die unkontrollierte Sucht ab.
Diese abhängigen Ratten zeigen die auch für Menschen typischen Verhaltensmuster: Um an den Stoff zu kommen, handeln sie entgegen alle Vernunft und lassen sich nicht einmal von Elektroschocks vom Konsum abhalten. Offensichtlich geht die Fähigkeit, sich von der Droge fernzuhalten, völlig verloren - egal, wie hoch der Preis dafür ist.
Dieser Kontrollverlust geht laut den Forschern um Antonello Bonci vom US-amerikanischen National Institute on Drug Abuse bei Mensch und Tier mit spezifischen Gehirnveränderungen einher, unter anderem im präfrontalen Kortex - einem Teil der vorderen Gehirnrinde, der für diverse höhere Gehirnfunktionen maßgeblich sein soll, z.B. die Impulskontrolle.
Gedrosselte Aktivität
Für die aktuelle Studie mussten die Laborratten ein achtwöchiges "Suchttraining" absolvieren, wobei sie sich das Kokain mittels Hebel selbst verabreichen konnten. Nach dieser Phase wurden 30 Prozent der Kokaininfusionen an einen leichten Elektroschock gekoppelt. Das hatte aber nur für einen Teil abschreckende Wirkung. Die restlichen Tiere waren offensichtlich bereits so abhängig, dass sie ihren Konsum dennoch nicht drosselten.
Elektrophysiologische Untersuchungen an den Neuronen dieser süchtigen Ratten zeigten, dass die Aktivität der Gehirnzellen in manchen Bereichen des Frontallappens deutlich eingeschränkt war. Diese verringerte Aktivität findet sich auch in Gehirnbildern von menschlichen Drogenabhängigen.
Zellen einschalten = Sucht ausschalten
In der Folge testeten die Forscher, ob ein Eingriff in diese Aktivitätsmuster das Suchtverhalten der Tiere auch wieder aufheben könnte. Für die Hirnstimulation verwendeten sie eine relativ neue Methode aus der sogenannten Optogenetik. Dabei werden genetisch veränderte Zellen mittels Licht manipuliert.
Zuerst wurde ein lichtempfindliches Protein in die betroffenen Neuronen der Ratten eingeschleust. Dadurch ließen sich die Gehirnzellen mittels Laserlicht gezielt ein- oder ausschalten. Durch das Einschalten bzw. die Aktivierung der Neuronen konnten die Forscher das Suchtverhalten der abhängigen Tiere tatsächlich auslöschen. Wurden hingegen die dieselben Neuronen bei den nicht süchtigen Ratten deaktiviert, zeigten diese plötzlich das gleiche Verlangen wie ihre abhängigen Kollegen.
Dasselbe Grundprinzip könnte den Forschern zufolge auch bei der Therapie von drogensüchtigen Menschen funktionieren, wenngleich man dafür auf nicht-invasive Methoden der Hirnstimulation zurückgreifen werde, beispielsweise die transkranielle Magnetstimulation.
Dabei werden Gehirnbereiche durch starke Magnetfelder gehemmt oder angeregt, bei der Behandlung von neurologischen Erkrankungen oder Depressionen wird dies bereits erprobt. In klinischen Versuchsreihen mit Kokainsüchtigen soll nun die Wirksamkeit der Hirnstimulation im Kampf gegen die unkontrollierte Drogensucht getestet werden.
Eva Obermüller, science.ORF.at