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Hand in Hand: Politiker bei einem Treffen der Association of South East Asian Nations.

"Erpresser sind soziale Katalysatoren"

Erpresser sind gemeinhin eher schlecht beleumundet - aus Sicht der Spieltheorie ist ihre Wirkung in der Gruppe aber nicht nur schädlich. Eine Studie weist nach: Eine kleine Zahl an Erpressern dient letztlich der Entwicklung von Kooperation.

Spieltheorie 09.04.2013

Paradox auch dieses Ergebnis: Bei zwei Populationen, die einander erpressen, ist jene Gruppe im Vorteil, die sich langsamer entwickelt.

Ein Sozialdilemma

Ausgangspunkt der Arbeit von Christian Hilbe vom Max Planck Institut für Evolutionsbiologie in Plön (Deutschland), Martin Nowak von der Harvard University (USA) und Karl Sigmund von der Universität Wien ist das sogenannte Gefangenendilemma.

Die Studie

"Evolution of extortion in Iterated Prisoner’s Dilemma games", PNAS (9.4.2013; Preprint bei arXiv).

Bei diesem Spiel müssen die Teilnehmer mit einem Startkapital von 15 Euro dem Spielleiter jeweils fünf Euro bezahlen. Wenn beide kooperieren, erhalten beide unter dem Strich zehn Euro. Aber wenn einer kooperiert und der andere nicht, erhält der Ausbeuter 15 Euro, ganz ohne Gegenleistung. Vom Standpunkt des Eigennutzes wäre es demnach am besten, dem anderen nichts zukommen zu lassen. Aber dann erhalten beide nichts.

"Das ist ein typisches Sozialdilemma: beide Spieler verzichten auf die Möglichkeit, zehn Euro zu erhalten – und zwar aus Eigennutz", erläutert Sigmund.

Physiker wildern im fremden Fach

Der US-Kosmologe William Press habe sich vor einiger Zeit mit den Ergebnissen von wiederholten Durchgängen dieses Gefangenendilemmas beschäftigt und darin bestimmte Gesetzmäßigkeiten entdeckt, die er sich nicht erklären konnte, sagte Sigmund im Gespräch mit der APA.

Press habe daraufhin den renommierten Physiker Freeman Dyson gefragt, der "mit wunderbaren mathematischen Argumenten, die aber ganz einfach sind, gezeigt habe, dass das für diese Klasse von Strategien so sein muss". Konkret handelt es sich um eine Klasse von erpresserischen Strategien, bei denen der "Erpresser" immer ein Vielfaches dessen erhält, was der andere durch Kooperation bekommen kann - und zwar egal, was der andere macht.

Die Publikation der beiden "völligen Neulinge" auf dem Gebiet der Spieltheorie habe großes allgemeines Interesse gefunden, sagte Sigmund Es habe aber auch etliche Leute gegeben, die meinten, dass erpresserische Strategien evolutionär keine Rolle spielen könnten, da sie sich in einer Bevölkerung nicht durchsetzen würden. Sigmund wollte sich das mit Hilbe und Nowak, die beide im Abstand von 20 Jahren "sub auspiciis" bei ihm promoviert haben, genauer ansehen.

Kooperation etabliert sich schneller

Sie konnten anhand von Computerprogrammen zeigen, dass Erpresser in einer großen Bevölkerung "eine wichtige Rolle als Katalysatoren" spielen können. Eine kleine Minderheit von Erpressern sei erstaunlicherweise gut für die Allgemeinheit, die so schneller zu einer robusten Form der Kooperation kommen kann.

"Wenn zwei Kooperatoren aufeinandertreffen, geht es ihnen sehr gut, wenn zwei Erpresser aufeinandertreffen, geht es ihnen sehr schlecht, denn sie gehen beide leer aus. So entwickelt sich eine Dynamik, in der sich die Erpresser nicht durchsetzen können, aber bewirken, dass sich Kooperation sehr viel schneller etabliert", so Sigmund.

Ganz anders sieht es aus, wenn man zwei Populationen betrachtet, die einander erpressen können. Die Modelle der Mathematiker zeigen, dass sich jene erpresserische Bevölkerung durchsetzt, die sich langsamer entwickelt. "Das ist paradox, denn normalerweise ist es in der Evolution von Vorteil, flexibel zu sein und sich rasch anzupassen".

Dass langsame Entwicklung vorteilhaft ist, kenne man noch nicht in der Natur, sagte Sigmund. Es gebe aber viele Beispiele, wo Mikroorganismen ihre Virulenz verlieren und Parasiten zu Symbionten werden und dem Wirtsorganismus helfen. "Es wäre interessant empirisch zu untersuchen, ob da ein solcher Mechanismus wie der von uns beschriebene dahintersteckt", so Sigmund.

science.ORF.at/APA

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