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Ein Zellenschlüssel wird im Schloss umgedreht.

Auch Open Access hat dunkle Seiten

Mit dem Internet haben sich die Möglichkeiten des wissenschaftlichen Publizierens verändert. Open Access soll Veröffentlichungen billiger und transparenter machen. Doch es gibt auch immer mehr Scharlatane, die Forscher und Forscherinnen damit täuschen und ausbeuten wollen.

Publikationen 10.04.2013

Executive Director wider Willen

"Wow, das gibt's ja nicht", meinte Ralf Sommer am Telefon, als er zum ersten Mal gesehen hat, dass er einer von vier "Executive Directors" sein soll, die die Konferenz "Entomology-2013" leiten. Anfang September wollen sich Insektenkundler aus der ganzen Welt auf der Konferenz in Orlando im US-Bundesstaat Florida treffen.

Als Sommer vor vielen Monaten per Mail von den Organisatoren gefragt wurde, ob auch er daran teilnehmen möchte, hat er zugesagt. "Als Vortragender", betont der Direktor der Abteilung für Evolutionsbiologie am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Dass er als "Executive Director" auf der Homepage der Veranstaltung steht, hat er erst durch science.ORF.at erfahren. "Dem habe ich niemals zugestimmt."

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"Wir wurden übertölpelt"

Mit der Insektenkunde-Konferenz stimmt etwas nicht ganz. Darauf hat vor einigen Tagen bereits die "New York Times" hingewiesen. Mehrere Forscher, so heißt es in dem Artikel, wollten eigentlich an der Konferenz "Entomology 2013" teilnehmen.

Die Unterschiede zur anderen Veranstaltung gehen über den fehlenden Bindestrich im Titel hinaus: Sie findet erst im November in Austin/Texas statt, eingeladen wird von der renommierten US-Gesellschaft für Insektenkunde ESA. Und: Jene Forscher, die für die "Bindestrich-Konferenz" zugesagt haben, sollten eine deftige Teilnahmegebühr zahlen - davon erfuhren sie aber erst im Nachhinein. "Ich glaube, wir wurden übertölpelt", heißt es in einer Mail an die ESA.

Ein Phänomen, das scheinbar immer häufiger vorkommt: zweifelhafte Fachkonferenzen, die sehr ähnlich klingen wie seriöse und von Fachzeitschriften unterstützt werden, die auf den ersten Blick ebenso seriös wirken.

"Das Problem ist: Zu Konferenzen wird man sehr frühzeitig eingeladen. Die entsprechenden Webseiten sind da oft noch nicht fertig, und man schöpft nicht gleich Verdacht, wenn wichtige Informationen fehlen", erklärt Ralf Sommer. "Man kann auch nicht alle Fachorganisationen weltweit kennen. Speziell in den vergangenen zwei Jahren ist die Anzahl an Einladungen zu Konferenzen explodiert."

2.700 unangekündigte Dollar

Der Evolutionsbiologe hat seine spezielle Erfahrung mit der OMICS Publishing Group gemacht, die nach Eigenangaben 250 Open-Access-Zeitschriften herausgibt und auch die "Bindestrich-Entomologen-Konferenz" veranstaltet. Die Verlagsgruppe hat schon länger einen zweifelhaften Ruf.

Ihre Zeitschriften stehen auch auf der Schwarzen Liste des amerikanischen Bibliotheksforschers Jeffrey Beall. Auf seinem Blog "Scholarly Open Access" setzt er sich seit fünf Jahren mit den "dunklen Seiten von Open Access" auseinander. Eine Forscherin hat ihm in einer Mail geschildert, was sie bei OMICS erlebt hat. Erst nachdem ihre Studie für die Veröffentlichung akzeptiert wurde, wurde ihr mitgeteilt, dass sie Gebühren zu zahlen habe.

"Zu meinem Schrecken belief sich die Rechnung auf 2.700 Dollar. Als ich das Manuskript abgeschickt habe, war davon nicht die Rede", wird sie in einem "Nature"-Artikel zitiert.

Eine "Raubzeitschrift"?

Srinubabu Gedela, der Direktor der in Indien ansässigen Verlagsgruppe, bestreitet in dem Artikel die Vorwürfe. Die Publikationsgebühren würden transparent auf der Homepage stehen und seine Zeitschriften in "bester Absicht und vollem Vertrauen" Open-Access-Publikationen unterstützen.

Auf keinen Fall will er zu den "räuberischen Open-Access-Zeitschriften" gehören, wie sie Jeffrey Beall genannt hat. Fünf bis zehn Prozent aller Open-Access-Artikel seien "räuberisch", meint der Wissenschaftsforscher. Was so viel heißt wie: Sie versprechen die Segen von Open Access - freie Verfügbarkeit von Studien gegen eine Veröffentlichungsgebühr -, ohne die erwarteten verlegerischen Services zu bieten.

"Diese Verlage versuchen, die Autoren und Leser zu täuschen, und zeichnen sich durch einen Mangel an Transparenz aus", sagt Beall. Seine Schwarze Liste von Verlagen, die in erster Linie auf das Geld von Forschern und Forscherinnen aus sind, umfasst derzeit 300 Einträge.

Keine Erfindung von Open Access

Open Access hat diese Praxis nicht erfunden, unterstreicht hingegen Falk Reckling. "Das Phänomen, dass wissenschaftliche Fachzeitschriften mit geringer oder fragwürdiger Qualität hohe Preise verlangen, ist nicht neu. Bisher haben einige Verlage solche Zeitschriften als Subskriptionen in großen Bündeln an die Bibliotheken verkauft. Und die konnten sich gegen diese Bündelung nicht wehren", sagt der Open-Access-Experte vom Wissenschaftsfonds FWF.

"Schätzungen gehen davon aus, dass kommerzielle Großverlage gut 70 bis 80 Prozent ihrer Zeitschriften - gemessen an der Qualität - überteuert verkaufen."

Dank Internet und E-Mail ist der Unterschied zu früher, dass sich die Verlage nun direkt an die Forscher und Forscherinnen wenden können. Das könne zwar nervig sein, führe aber letztlich zu mehr Transparenz, ist der Experte überzeugt.

"Die Wissenschaftler können nun selbst entscheiden, ob sie ihre begrenzten Mittel für eine Publikation ausgeben wollen. Das konnten Bibliotheken im Subskriptionsmodell bisher nicht. Sie mussten die minderwertigen oder kaum gefragten Zeitschriften eines Verlages mitkaufen, wenn sie die guten Zeitschriften haben wollten."

Kriterien für ein Gütesiegel

Damit man sich im Dickicht der - derzeit bereits an die 9.000 - Open-Access-Zeitschriften nicht verirrt, hält Reckling eine Art Gütesiegel für sinnvoll. Die Kriterien für so ein Gütesiegel wären sehr einfach. Reckling zählt einige davon auf: "Sind die Identität der Herausgeber und des Editorial-Boards bekannt? Sind die Publikationsgebühren auf der Website offengelegt? Gibt es einen Code of Conduct, wie bspw. durch die Open Access Scholarly Publishers Association kodifiziert?"

Im Grunde reicht es, wenn Forscher und Forscherinnen eine gewisse Skepsis an den Tag legen, wie man sie generell auch beim Online-Shopping kennt.

Der Evolutionsbiologe Ralf Sommer wurde dennoch von der Entomologen-Konferenz getäuscht. "Ich schreibe den Veranstaltern gleich eine böse Mail und fahre sicher nicht nach Orlando", ließ er science.ORF.at wissen. Offensichtlich hat das funktioniert. Denn innerhalb weniger Stunden war sein Bild als "Executive Director" von der Website verschwunden.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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