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Eisberg im Meer

"Im Nachhinein ist man immer schlauer"

Der kalte Frühling 2013 geht auf das Konto des ganz normalen Wetterchaos, sagt Mojib Latif. In einem Interview lotet der deutsche Klimaforscher die großen Unbekannten seines Fachgebietes aus: "Man darf nicht erwarten, dass wir alles berechnen können."

Klimaprognosen 12.04.2013

Was sagen Sie zu diesem Frühling?

Da fällt mir ein bekannter Spruch ein: "Klima ist das, was man erwartet. Und Wetter ist das, was man bekommt."

Hängt der kalte März mit dem Klimawandel zusammen oder nicht?

Es gibt zwei Schulen. Die einen sagen, die relativ kalten Winter der letzten Jahre sind ein Ergebnis der chaotischen Dynamik des Wetters. Mit anderen Worten: Es bedarf dafür keiner besonderen Ursache, das Wetter kann solche Schwankungen von alleine erzeugen.

Die anderen sagen, es könnte doch einen äußeren Antrieb geben, nämlich die globale Erwärmung. Demnach verdunstet durch den Rückzug des arktischen Eises mehr Wasser, was ein Hochdruckgebiet über Skandinavien und Russland erzeugt. Dadurch ändern sich die Winde und es kommt mehr kalte Luft aus dem Norden und Osten nach Mitteleuropa. Das ist aber nur eine Hypothese.

Mojib Latif

GEOMAR

Zur Person

Mojib Latif ist Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (GEOMAR). Forschungsgebiete: Klima-Variabilität und Einfluss des Menschen auf das Klima.

Welche Erklärung ist Ihrer Meinung nach die richtige?

Die erste: Ich denke, der größte Teil geht auf das Konto des ganz normalen Wetterchaos.

Ihre Kollegen aus dem Alfred Wegener Institut sowie vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung sehen das allerdings anders.

Ich bin skeptisch. Die gängigen Klimamodelle sagen diesen speziellen Effekt nicht vorher.

Wäre es nicht eleganter gewesen, die Klimaforscher hätten den aktuellen Märzwinter in Mitteleuropa bereits Jahre zuvor prognostiziert - und nicht im Nachhinein durch den Klimawandel erklärt?

Das sehe ich auch so. Im Nachhinein ist man immer schlauer. Meine Mitarbeiter und ich haben zumindest vor ein paar Jahren eine Prognose getroffen. 2008 sagten wir in einer "Nature"-Studie vorher, dass wir - global betrachtet - auf eine Phase stagnierender Temperaturen zusteuern. Wir wurden damals hart kritisiert. Man hat uns unter anderem vorgeworfen, wir würden den Klimawandel verharmlosen. Wie es aussieht, stimmt unser Modell. Vielleicht war es aber auch nur Glück.

Apropos Prognose: Im Jahr 2000 haben Sie in einem Interview mit Spiegel Online gesagt: "Winter mit starkem Frost und viel Schnee wird es in unseren Breiten nicht mehr geben." Schneemangel gab es in letzter Zeit nicht gerade.

Ja, aber der zweite Teil des Satzes wurde nicht abgedruckt. Der ganze lautete sinngemäß: Sofern wir nichts gegen die globale Erwärmung unternehmen, werden kalte Winter langfristig der Vergangenheit angehören. Es sei aber noch nicht zu spät, die Wende zu schaffen. Dabei bleibe ich.

Wenn die Schmelzeis-Hypothese ihrer Kollegen richtig ist, sollte jedoch weiterhin kalte Luft nach Europa strömen. Dann hätten wir doch kalte Winter.

Höchstens ein paar Jahre oder Jahrzehnte. Langfristig aber nicht: Der Effekt ist, sofern es ihn überhaupt gibt, temporär. Wenn die Temperaturen in der Arktis weiter steigen und sich das Eis noch dramatischer zurückzieht, verschwindet der Effekt vermutlich wieder.

Kommen wir zur globalen Perspektive zurück. Warum ist die Atmosphäre in den letzten 15 Jahren nicht wärmer geworden, obwohl weiterhin ungebremst CO2 emittiert wird?

Das hat wahrscheinlich mit der Tiefsee zu tun. Sie kann jahrelang vermehrt Wärme speichern und den Klimawandel dämpfen. Das ist allerdings mehr oder weniger zyklisch: Irgendwann kommt diese Wärme wieder an die Oberfläche und verstärkt den Klimawandel.

Wann könnte das der Fall sein?

Unser Modell sagt voraus: um das Jahr 2020. Allerdings muss ich zugeben, bei so großen Zeiträumen schwindet mein Vertrauen in das eigene Modell. Es wäre besser, ich würde 2015 nochmals eine Vorhersage für die nächsten 20 Jahre machen. Ich hoffe, ich werde so alt.

Es gibt auch andere Erklärungsansätze für den Zwischenstopp der globalen Klimaerwärmung. Die trockene Stratosphäre und Schwefelgase der Industrien etwa.

Ob der Wassergehalt der Stratosphäre den Klimawandel beeinflusst, ist offen. Das ist nur eine Vermutung. Ähnliches gilt für Schwefel-Aerosole: Wir wissen nicht genau, wie stark die Emissionen sind. Und wir wissen nicht genau, wie sie mit Wolken wechselwirken. Lokal haben die Aerosole sicher eine große Wirkung. Ich persönlich glaube nicht, dass sie für die Atempause bei der globalen Erwärmung verantwortlich sind.

Andererseits hat man selbst bei den Kondensstreifen der Flugzeuge globale Effekte nachgewiesen.

Ja, aber die Effekte sind gegenüber dem Anstieg der Treibhausgase gering.

Resümee: noch zu viele Unbekannte in der Klimagleichung?

Ich halte es hier mit dem Klimaforscher Roger Revelle, der bereits 1957 in einem Interview mit der New York Times gesagt hat: "Wir Menschen führen momentan ein groß angelegtes geophysikalisches Experiment aus." Er meinte den Ausstoß von Klimagasen: Das Experiment läuft noch immer und wir wissen nicht, was das Ergebnis sein wird. Man darf nicht erwarten, dass wir alles bis ins letzte Detail berechnen können.

Können Sie verstehen, dass Menschen nach diesem grimmigen Winter an der Existenz des Klimawandels zweifeln?

Verstehen kann ich das schon. Wenn wir über globale Erwärmung sprechen, heißt das nicht, dass es an jedem Ort immer heißer wird. Es geht um den weltweiten Durchschnitt. Und es geht um sehr langfristige Trends. Man kann nicht von einer kleinen Region oder vom letzten Monat auf das globale Klima schließen.

Das 20. Jahrhundert ist das beste Beispiel dafür: Seit 1900 wurde es im weltweiten Durchschnitt um 0,7 Grad wärmer. Aber der Anstieg verlief in Wellen. Vor den 1950er Jahren ist die Temperatur stark gestiegen, zwischen 1950 und 1970 ist sie gefallen, danach wieder gestiegen. Man muss fast sagen: Ein Menschenleben reicht nicht aus, um den Klimawandel zu erfahren.

Der deutsche Klimaforscher Hans von Storch kritisiert in seinem Buch "Die Klimafalle", seine Fachkollegen hätten sich in den letzten Jahren von der Politik instrumentalisieren lassen. Das habe der Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Forschung geschadet. Teilen Sie seine Ansicht?

Das mag im Einzelfall so sein. Im Allgemeinen trifft das nicht zu.

Storch wirft manchen vor, sie würden fachliche Kontroversen und Unsicherheiten bewusst verschweigen.

Unsicherheiten sind schwer zu kommunizieren. Im IPCC-Bericht stehen beispielsweise immer die Schwankungsbreiten der Vorhersagen. Wenn es laut Prognose bis zum Jahr X um drei Grad plus/minus 1,5 Grad wärmer wird, steht in den Zeitungen nur mehr: drei Grad.

Davon abgesehen glaube ich, die Risiken des Klimawandels werden schlichtweg verdrängt. Absurderweise widerspricht das völlig unserem alltäglichen Umgang mit selbst kleinen Risiken. Wenn am Ende der Gangway ein Schild stünde: "Dieses Flugzeug stürzt mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 Prozent ab" - kein Mensch würde einsteigen! Aber in Bezug auf das Klima gehen wir dennoch ein beträchtliches Risiko ein.

Hat die Wissenschaft in den letzten Jahren niemals mit alarmistischem Tonfall gesprochen?

Sicher kam das vor. Auch in der Klimaforschung existiert eine Bandbreite, die man in anderen gesellschaftlichen Gruppen findet. Es gibt Alarmisten und es gibt Verharmloser. Klimaforscher sind nicht perfekt und natürlich unterliegen auch sie ihren persönlichen Motiven. Gerade deswegen finde ich es gut, dass es die IPCC-Berichte gibt: Sie beschreiben den Sachstand der Wissenschaft.

Haben Sie jemals in den Medien gesagt: "Da habe ich mich geirrt"?

Mit einem entsprechenden Anlass wäre ich dazu bereit gewesen. Meine Vorhersage der stagnierenden Temperaturen hätte etwa ein großer Irrtum sein können. Nach fast 6 Jahren kann man sagen: Ganz falsch war sie offenbar nicht.

Was meine anderen Arbeitsgebiete betrifft, muss ich zugeben: Sie sind zum Teil noch gar nicht widerlegbar. Ich untersuche hauptsächlich die natürlichen Schwankungen der Klimaentwicklung. Für manche Aspekte gibt es noch keine Messergebnisse. Meine Schlussfolgerungen sind Hypothesen, mehr nicht.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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