Standort: science.ORF.at / Meldung: "Tiere therapieren sich selbst"

Schimpanse hält Pflanze

Tiere therapieren sich selbst

Kranke Tiere können zwar nicht zum Arzt gehen, manche wissen sich aber dennoch zu helfen. Zur Selbstbehandlung fressen sie etwa Pflanzen oder reiben sich damit ein. Dieses Verhalten findet man nicht nur bei höheren Säugetieren wie Affen. Auch Ameisen, Bienen und Fruchtfliegen greifen zur Selbstmedikation.

Naturheilkunde 12.04.2013

Die tierische Heilkunde hat sogar einen eigenen Namen: Zoopharmakognosie. Wie es aussieht, handelt es sich bei dem Verhalten keineswegs um Einzelfälle, denn die Liste der "medizinisch versierten" Tiere wird immer länger.

Mechanische und chemische Abwehr

Von unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, weiß man schon länger, dass sie sich im Bedarfsfall selbst behandeln. Bereits Anfang der 1970er Jahre hat der Biologe Richard Wrangham im Nationalpark von Tansania Schimpansen dabei beobachtet. Seit den 1980er untersucht Michael Huffman von der Universität Kyoto ebendort die Tiere und hat seitdem verschiedene Methoden beschrieben, wie sich diese gegen Parasiten wehren bzw. sich vor ihnen schützen.

Unter anderem schlucken die Tiere unzerkaute Blätter, die sie mechanisch von Darmparasiten befreien. Aber auch chemische Wirkungen spielen eine Rolle: So kauen Schimpansen das bittere Mark oder Blätter des Strauches Vernonia amygdalina als Mittel gegen Durchfall. Gesunde Tiere meiden das Gewächs, denn es ist bitter und giftig.

Neben den Schimpansen nutzen auch Bonobos, Orang-Utans, Paviane oder Kapuzineräffchen die natürliche Apotheke. Über 30 Pflanzenarten sind dazu schon dokumentiert. Auch Bären, Hasen und Vögel sollen Beobachtungen zufolge auf die Naturapotheke zurückgreifen. Aber nicht nur aus freier Wildbahn kennt man die tierische Selbstbehandlung. Manche Haustiere verfügen ebenfalls über wirksame Methoden. So fressen z.B. Katzen Gras, um Haarballen besser erbrechen zu können.

Trickreiche Insekten

Artikel in "Science":

"Self-Medication in Animals" von J.C. de Roode, erschienen am 11. April 2013.

Naheliegend wäre, dass die Selbsttherapie ein sozial erlerntes Verhalten darstellt, was allerdings ein bestimmtes Maß an Intelligenz bzw. kognitive Fähigkeiten voraussetzt. Umso erstaunlicher, dass sich die Selbstbehandlung nicht auf Säugetiere und höhere Organismen beschränkt, sondern im gesamten Tierreich vorkommt, wie zahlreiche Studien der vergangenen Jahre zeigen. Sogar Raupen, Bienen und Ameisen verfügen demnach über therapeutische sowie prophylaktische Kenntnisse.

So verwenden etwa manche Ameisen in ihrem Bau das antimikrobielle Harz bestimmter Bäume. Ähnliches kennt man auch von Honigbienen. Dass es dabei nicht nur um aktive Behandlung, sondern ebenso um Vorbeugung für die ganze Familie gehen kann, zeigt z.B. eine Studie aus dem Februar dieses Jahres. Demnach schützen Fruchtfliegen ihren Nachwuchs durch Alkohol vor gefährlichen Wespen. Monarchfalter legen ihre Larven aus demselben Grund in Milchkraut.

Dass der Kampf gegen Parasiten in der heutigen Umwelt mitunter recht skurrile Formen annehmen kann, zeigt eine kürzlich erschienene Untersuchung an Vögeln. Diese verwenden beim Nestbau Zigarettenstummeln als Schutz. Andere Arten benutzen dafür bekanntermaßen geeignete Pflanzensorten.

Ö1 Sendungshinweis:

Über die aktuelle Publikation berichtet auch Wissen Aktuell am 12.4. um 13:55.

Auswirkungen für Wirt und Parasit

Die vielen beobachteten Fälle zeigen laut Jacobus C. de Roode, dass Selbstmedikation im Tierreich keineswegs ein Einzelphänomen und viel weiter verbreitet ist - als ursprünglich angenommen. In einem Überblicksartikel in der aktuellen Ausgabe des "Science" denkt er gemeinsam mit Kollegen über mögliche Erklärungen für das interessante Verhalten nach.

Soziales Lernen reicht ihmzufolge dafür nicht aus. Möglicherweise handelt es sich in vielen Fällen doch um eine evolutionäre Anpassungsleistung, was man jedoch von Fall zu Fall nachweisen müsste. In der Ko-Evolution von Wirt und Parasiten jedenfalls spiele die Selbstbehandlung ziemlich sicher eine entscheidende Rolle. De Roode zufolge kann sie sich auf das Überleben und die Virulenz des Parasiten auswirken ebenso wie auf das Immunsystem des befallenen Tieres, das durch die chemische Abwehr entlastet wäre.

Von den Tieren lernen

Noch sind viele Fragen offen. Die Erforschung der tierischen Medizin könnte aber auch für den Menschen relevant werden, etwa bei der Produktion von Nahrungsmitteln oder Medikamenten. Schon heute weiß man, dass der menschliche Eingriff natürliche Abwehrmechanismen durcheinander bringen kann.

Ein Beispiel dafür sind laut de Roode Honigbienen, die zunehmend von Krankheiten und Parasiten befallen sind. Ein möglicher Grund dafür: Die Imker haben das Einbringen natürlicher Harze in Bienenstöcke unterbunden. Mit dem Wissen um die Wirkung könnte man versuchen, den früheren Selbstschutz der Bienen wieder zu aktivieren.

Aber auch bei der Entwicklung neuer Arzneimittel könnten die Erkenntnisse aus dem Tierreich hilfreich sein. Zahlreiche Medikamente basieren auf natürlichen Ausgangsprodukten. Von den Tieren könnte man sich derzeit noch nicht bekannte Wirkstoffe abschauen.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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