Diese Woche war Serge Haroche auf Einladung des Vienna Center for Quantum Science and Technology zu Gast in Wien. Im Rahmen der Erwin Schrödinger Lectures sprach er über die Erforschung von Quantenteilchen und warum sich ihre Eigenschaften mit den Gesetzen der klassischen Physik nicht erklären lassen.
science.ORF.at: In der Ankündigung zur ihrer "Schrödinger Lecture" war zu lesen, dass sich der Vortrag an ein breites Publikum richtet, mit dem Ziel Quantenphysik verständlich zu erklären. Ist das überhaupt möglich?
Serge Haroche: Ich wusste nicht, dass sich mein Vortrag an ein breites Publikum richten sollte (lacht). Das kann natürlich schwierig sein, denn bei der Quantenphysik geht es auch darum, intuitiven Ideen zu begegnen. Aber man kann versuchen diese Ideen zu vermitteln, indem man Metaphern oder Bilder verwendet. Das ist eine große Herausforderung und funktioniert bei weitem nicht immer. Ich weiß das. Denn meine Frau ist keine Physikerin und sie hat es aufgegeben, meine Vorträge zu besuchen.
In ihrem Vortrag haben sie u.a. den Zusammenhang von klassischer Physik und Quantenphysik behandelt. Wann haben sie selbst die klassische Physik verlassen, um sich den Quanten zu zuwenden?
In meiner Schulzeit war ich natürlich nur von klassischer Physik umgegeben, die Newtonsche Physik, Mechanik, usw. Sobald ich an der Universität studierte, war ich der Quantenphysik ausgesetzt. In den Vorlesungen beschrieben meine Professoren die seltsame Welt der Atome und Photonen.
Die klassische Physik ist eine Annäherung an die Welt, wenn die Gesetze der Quanten unberücksichtigt bleiben. Ich war fasziniert von dem Umstand, dass sich die Natur im Mikromaßstab Gesetzen unterwirft, die sich komplett von den Gesetzen der klassischen Welt unterscheiden. Entlang dieser Trennlinie habe ich dann begonnen zu experimentieren und seit damals arbeite ich in diesem Forschungsbereich.

Vienna Center for Quantum Science and Technology
Foto: Vienna Center for Quantum Science and Technology
Der französische Physiker Serge Haroche ist Professor für Quantenphysik am Collége de France und an der École Normale Supérieure in Paris. 2012 wurde er für seine Arbeit über die Wechselwirkung zwischen Materie und Licht mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.
Diese Woche war er im Rahmen der Erwin Schrödinger Lectures mit einem Vortrag zum Thema "Controlling photons in a box and exploring the quantum-classical boundary" zu Gast in Wien.
Ein zentrales Problem der Quantenphysik ist es, die Quanteneigenschaften dieser kleinsten Teilchen im Experiment zu erhalten, um sie beobachten zu können. Warum sind Quantenteilchen so empfindlich?
Sie sind so empfindlich, weil man sie stören bzw. aus der Ruhe bringen muss, um sie studieren zu können. Wenn man beispielsweise ein Atom betrachten möchte, dann muss man es mit Licht bestrahlen. Wenn diese Lichtquanten, die Photonen, auf das Atom treffen, verändern sie es. Es gibt keine Möglichkeit, irgendetwas in der Quantenwelt zu betrachten, ohne das Objekt des Interesses zu stören.
Und diese Störung ist grundlegend für den Beobachtungsprozess. In der Quantenphysik gibt es beispielsweise den sogenannten Zeno-Effekt. Er besagt: wenn man ein Quantensystem betrachten möchte und man das oft genug in kurzen Abständen tut, dann kann man die Evolution dieses Systems einfrieren - es hört auf, sich zu bewegen.
In der klassischen Physik passiert so etwas nicht, weil allein der Blick auf ein Objekt keine weiteren Konsequenzen hat. Man muss das Objekt zwar auch beleuchten, aber in der Größenordnung der klassischen Physik ist der Störungseffekt von Licht vernachlässigbar. In einem Quantensystem stellt Licht eine massive Störung dar und verändert das beobachtete System.
Wie ist es ihnen gelungen, Lichtteilchen einzufangen und zu beobachten?
Um das Licht einzufangen, brauchten wir eine sehr effiziente Falle, auch um das Licht für längere Zeit behalten zu können. Dieser Behälter besteht aus Spiegeln, die hochreflektierend sind. Diese Spiegel haben wir aus supraleitendem Material entwickelt, das eine enorm hohe Leitfähigkeit besitzt. Es absorbiert die Photonen nicht. Schließlich konnten wir eine Falle entwickeln, die Photonen eine zehntel Sekunde lang behalten kann. Für einen Menschen ist das extrem kurz, aber für ein Photon ist das eine Ewigkeit. In dieser Zeit kann ein Photon mehr als 40.000 Kilometer zurücklegen.
Der Behälter besteht also aus zwei Spiegeln und das Licht springt zwischen ihnen hin und her. Wenn man die Flugbahn des Photons entfaltet, kommen diese 40.000 Kilometer zustande. Und daraus ergibt sich ausreichend Zeit, um mit den Photonen zu experimentieren. Wir haben daraufhin Atome durch die Falle geschickt, die mit den Photonen interagieren. Indem wir dann die Atome aufspüren, bekommen wir Informationen.
Ö1-Sendungshinweis:
Dem Thema Quantenphysik widmet sich auch ein Beitrag im "Dimensionen Magazin", am 26. April um 19.05 Uhr.
Sie haben vorhin gesagt, dass es helfen kann, quantenphysikalische Phänome mit Metaphern zu erklären. Wäre es zulässig zu sagen, dass Photon hinterlässt seinen Fingerabdruck auf dem Atom?
Das könnte man durchaus so sagen. Wir beobachten das Atom und bekommen so Informationen über das Photon. Mein Kollege David Wineland, mit dem ich mir letztes Jahr den Nobelpreis geteilt habe, macht das genaue Gegenteil: Er fängt Atome ein und untersucht den Fingerabdruck, den die wiederrum auf Lichtpartikeln hinterlassen. Man könnte sagen, wir untersuchen die beiden Seiten der gleichen Münze.
Ein anderes Bild, wenn gleich ein wesentlich komplizierteres, wird oft im Zusammenhang mit ihrer Versuchsanordnung verwendet: Zwischen den zwei hochreflektierenden Spiegeln entsteht ein Mikrowellenfeld, das eine ähnliche Rolle einnimmt, wie die Katze in Erwin Schrödingers Gedankenexperiment.
Was wir versuchen ist, dieses Feld in zwei unterschiedlichen Zuständen auf einmal herzustellen. Man könnte sich zum Beispiel eine Situation vorstellen, bei der es kein Licht in dem Behälter gibt und eine andere Situation, bei der sich in diesem Behälter zehn Photonen, zehn solcher Lichtpartikel befinden. In der Quantenphysik kann man sich in einer Überlagerung der beiden Situationen befinden. Man kann zur selben Zeit gar kein Licht und sehr viel Licht haben.
Das schaut dann wie die berühmte Katze von Schrödinger aus, die zum gleichen Zeitpunkt tot und lebendig in der Kiste war. Natürlich ist das nur eine Metapher. Unser System ist wesentlich kleiner als eine Katze. Eine Katze hat unzählbar viele Milliarden von Molekülen in sich und wir haben es nur mit einigen wenigen Partikeln zu tun. Aber das Faktum, dass die Teilchen zwischen diesen beiden klassischen Realitäten aufgehängt sind, stellt die Essenz von Schrödingers Metapher dar und ist einer der seltsamen Aspekte der Quantenphysik.
Welche Anwendung könnten sich in Zukunft aus diesen Erkenntnissen der quantenphysikalischen Grundlagenforschung ergeben, welche gibt es bereits?
Es gibt tatsächlich bereits Anwendungen. Ein Beispiel wäre die Arbeit meines Kollegen Adam Wineland. Er manipuliert einzelne Atome in Fallen und er verwendet diese dann um Atomuhren zu bauen. Das sind die präzisesten Atomuhren, die jemals hergestellt werden konnten. Mit einem einzigen Atom in einer solchen Falle, konnte er eine Uhr herstellen, die in hundert Millionen Jahren nur eine Sekunde falsch gehen würde.
Das ist eine fantastische Präzision, die beispielsweise zur Verbesserung des GPS-Systems angewendet werden könnte. Das GPS-System basiert ja auf Uhren in Satelliten, die Signale auf die Erde schicken und hier der Ortung dienen. Diese Uhren müssen laufend kalibriert werden. Mit präziseren Uhren hat man auch ein verbessertes GPS.
In der Zukunft könnten wir das Grundlagenwissen der Quantenphysik auch für sogenannte Quantensimulatoren nutzen. Wenn man beispielsweise einige zehn Partikel - einige zehn Photonen oder einige zehn Atome - manipulieren und unter kontrollierten Bedingungen aufeinander wirken lassen könnte, dann wäre es möglich, Zustände zu simulieren, die in echten Materialien auftreten. Es wäre viel zu kompliziert, diese Zustände mit gewöhnlichen Computern zu berechnen. Diese Quantensimulatoren könnten uns helfen, das Verhalten von Materie in einer mikroskopischen Größenordnung besser zu verstehen.
Wäre der Quantensimulator eine Vorstufe zum Quantencomputer?
Der Quantencomputer wäre der nächste Schritt. Der wäre dann eine Art Schrödingers Katze: Ein Computer, der durch Überlagerung viele Berechnungszustände auf einmal sein kann. Zumindest in der Theorie hätte so ein großer Schrödingers-Katzen-Computer wesentlich mehr Energie als herkömmliche Computer. Aber davon sind wir noch weit entfernt, weil diese Zustandsüberlagerung sehr fragil und schwer zu kontrollieren ist. Noch weiß niemand, was die wirkliche Anwendung der Quantenphysik sein wird. Aber es ist klar, dass die Grundlagenforschung zu Anwendungen führen wird, wie sie es auch in der Vergangenheit immer getan hat.
Sie selbst sind weiterhin in der Grundlagenforschung tätig. Womit beschäftigen sie sich im Moment?
Ich beschäftige mich nach wie vor mit dem Phänomen der Dekohärenz. Wie kann das Faktum erklärt werden, dass ein System so schnell seine Quanteneigenschaften verliert und wie könnte es bewerkstelligt werden, dass es länger im Quantenzustand verbleibt? Die Quantendekohärenz sorgt dafür, dass aus quantenphysikalischen Überlagerungszuständen nach kurzer Zeit klassisch-eindeutige Zustände werden.
Dafür haben wir eine Methode entwickelt, die sich "Quanten-Feedback" nennt. Man beobachtet das System, versucht die Störung des Systems durch diese Beobachtung so minimal wie möglich zu halten und versucht dann mit den gewonnenen Informationen auf das System zu reagieren. So soll das System gezwungen werden, in dem seltsamen Zustand zu bleiben, in dem man es haben möchte.
Diese Methoden haben wir entwickelt und wir hatten bereits Erfolg dabei, einige Quantenzustände länger zu halten, als ohne unser Zutun. Und das ist eine Möglichkeit die Dekohärenz, den Übergang von der Quantenwelt in die klassische Welt zu beobachten. Das ist absolute Grundlagenforschung. Ich kann nicht behaupten, dass ich auf eine Anwendung hinarbeite.
Interview: Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft
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