Standort: science.ORF.at / Meldung: "Eine Kamera, die wie Insekten sieht"

Künstlerische Darstellung: eine Hornisse blickt in die Kamera, auf ihrem linken Facettenauge befindet sich die neue digitale Kamera

Eine Kamera, die wie Insekten sieht

Fliegen, Ameisen und Libellen sehen die Welt anders als Menschen: Ihre Augen bestehen aus zahlreichen Einzelaugen, was das Blickfeld erweitert und Bewegungen schneller verfolgen lässt. Nach dem Vorbild von Insekten haben Materialforscher nun eine digitale Kamera entwickelt.

Optik 02.05.2013

Sie macht Aufnahmen wie die Facettenaugen von Fliegen, Bienen und Co, berichtet ein Team um Young Min Song von der University of Illinois in einer aktuellen Studie.

Die Studie:

"Digital cameras with designs inspired by the arthropod eye" von Young Min Song und Kollegen ist am 1.5. in "Nature" erschienen.

Libellen haben zehntausende Einzelaugen

Das Auge von Wirbeltieren funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie die meisten handelsüblichen Kameras: Licht, das Objekte der Umgebung reflektieren, wird von einer einzelnen Linse aufgefangen und auf eine Schicht lichtempfindlichen Materials projiziert, wo es dann für ein scharfes Abbild sorgt. Das hat eine Reihe von Vorteilen, wie die optimale Nutzung des Lichteinfalls und eine hohe räumliche Auflösung des Bildes.

Dennoch besitzt die Mehrzahl der Organismen auf diesem Planeten nicht das "Modell Linsenauge", sondern Facettenaugen. Der lateinische Begriff dafür - "oculi compositi" - verrät bereits, dass es sich dabei um etwas Zusammengesetztes handelt. Rekordhalter dürften bestimmte Libellenarten sein, deren Weltsicht aus dem Zusammenspiel von mehreren zehntausend Einzelaugen entsteht.

Die neue digitale Kamera im Größenvergleich mit einer Ameise

University of Illinois and Beckman Institute

Die neue digitale Kamera im Größenvergleich mit einer Ameise (künstlerische Darstellung): 180 "Einzelaugen" bilden die halbkugelförmige, rund eineinhalb Zentimeter große Gesamtlinse; darunter die Schaltkreise

Diese einzelnen Augen (oder: "Ommatidien") sind rund um den Kopf der Insekten angeordnet. Da jedes Ommatidium nur das Licht aus einem bestimmten Einfallswinkel verarbeiten kann, sind Facettenaugen im Vergleich zu Linsenaugen weniger lichtempfindlich. Auf der anderen Seite sorgen die vielen Einzelaugen für eine Panorama-Rundumsicht der Welt und auch für einen besseren Tiefenblick.

Elastische Mikrolinsen plus Lichtsensoren

Die Materialwissenschaftler um Song haben nun eine digitale Kamera vorgestellt, die Aufnahmen machen soll genau in der Art, wie Insekten sehen. Die Kamera besteht aus 180 künstlichen Mikrolinsen, in etwa so viele wie Borkenkäfer oder Feuerameisen Einzelaugen haben. Die Forscher haben zwei Kunststoffschichten kombiniert, in denen sich die elastischen Mikrolinsen und Silizium-Lichtsensoren befinden.

Jedes Einzelauge hat eine kuppelähnliche Form, was ein Brechen verhindern soll, wenn das "Gesamtauge" gebogen wird. Das Ergebnis ist eine nahezu halbkugelförmige Kamera mit einem Blickfeld von 160 Grad - was in etwa jenem von Libellen entspricht.

Wie bei den Vorbildern aus dem Reich der Insekten eigne sich auch die Kamera besonders gut für das Verfolgen bewegter Objekte, schreiben die Forscher. Naheliegend seien deshalb Anwendungen bei kleinen unbemannten Luftfahrzeugen, heißt es in einem "Nature"-Begleitartikel.

Das Wort "Drohnen" fällt zwar nicht, ein möglicher Einsatz bei den unbemannten Überwachungsfliegern von Militär und Nachrichtendiensten liegt aber nahe. Micro Air Vehicles sind bisher v.a. mit Linsenaugen-ähnlichen Kameras ausgestattet. Die nun vorgestellte "Facettenkamera" könnte ihre Steuerung deutlich verbessern.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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