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Erde und Sonne im Weltall

Klimawandel: Verbindung in den Kosmos

Die kosmische Strahlung ist möglicherweise ein bedeutender Klimafaktor, der bisher übersehen wurde. Laut Jasper Kirkby könnten die Strahlen aus dem All die Wolkenbildung auf der Erde verstärken. Der CERN-Physiker spricht in einem Interview über das Mysterium der Großforschung und Wissenslücken in seinem Fach.

"CLOUD-Experiment" 10.05.2013

science.ORF.at: Wenn man den großen Teilchenbeschleuniger des CERN und seine Detektoren zum ersten Mal sieht, wundert man sich, dass Forschungsprojekte dieser Größe überhaupt funktionieren. Das Ganze scheint unüberschaubar.

Jasper Kirkby: Mir geht es auch so - und ich bin seit fast 40 Jahren in der Teilchenphysik tätig. Das CERN ist im Grunde wie eine Stadt. Bei einer Stadt kann man sich auch die Frage stellen: Warum funktioniert das Ganze? Es gibt hier niemanden, der alle Fäden in der Hand hätte und alles verstehen würde. Das ist auch nicht notwendig. Denn die Teile organisieren sich von selbst. In der Natur gibt es viele Beispiele dafür: Im Gehirn beispielsweise existiert auch keine übergeordnete Instanz, in der die gesamte Information gebündelt wäre. Die Neuronen aktivieren sich von selbst.

Das ist für mich das Interessante an den Experimenten am CERN: Es geht nicht nur um die Entdeckung neuer Teilchen. Die Experimente zeigen, wozu der Mensch als kooperatives Wesen fähig ist. Die Experimente sagen auch etwas über die Menschheit an sich.

Jasper Kirkby im Labor

Maximilien Brice / CERN

Jasper Kirkby ist der Leiter des CLOUD-Experiments am Europäischen Kernforschungszetrum CERN. An dem Experiment sind auch österreichische Forscher beteiligt: Teams um Armin Hansel, Universität Innsbruck und Paul Winkler, Universität Wien.

Was wird aus ihrer Sicht in den nächsten Jahren passieren, wohin steuert die Physik?

Ich stehe als Experimentalphysiker mit beiden Beinen auf dem Boden. Möglicherweise wird ihnen ein Theoretiker eine ganz andere Antwort geben. Bevor das Higgs-Teilchens entdeckt wurde, gab es bereits starke Hinweise auf seine Existenz. Diesen Fund hatten wir erwartet.

Darüber hinausgehend gibt es zweifelsohne großartige und imaginative Ideen. Die "neue Physik" - ein Beispiel ist die Supersymmetrietheorie - mag schön und elegant sein. Die Theoretiker lieben sie. Aber es gibt im Moment nicht den leisesten Hinweis, dass sie mehr ist als bloß eine Idee. Ich bin nur ein einfacher Country-Boy-Experimentator und sehr skeptisch, was das angeht - halte es allerdings für extrem wichtig, diesen Theorien nachzugehen und sie zu überprüfen.

Sie sind er Leiter des sogenannten CLOUD-Experiments am CERN, das Teilchenphysik mit Klimaforschung verbindet. Worum geht es in diesem Experiment?

Vor 15 Jahren haben dänische Physiker eine Korrelation entdeckt. Sie fanden heraus, dass es einen Zusammenhang zwischen der Wolkenbildung und Variationen der kosmischen Strahlung geben könnte. Kosmische Strahlen entstehen bei Sternenexplosionen in der Milchstraße. Sie brauchen unter Umständen ein paar Millionen Jahre, bis sie auf die Atmosphäre der Erde treffen.

Ö1-Sendungshinweis

Über dieses Thema berichtet auch das Dimensionen-Magazin, Fr, 10.5.2013, 19:05 Uhr.

Dort erzeugen sie einen Partikelschauer, der alles durchdringt. Während wir miteinander reden, rasen zehn bis 20 dieser Teilchen durch Sie und mich. Das Problem an der Sache war: Korrelationen sagen nichts über Ursache und Wirkung aus. Und so dachte ich darüber nach, wie man die Sache im Experiment überprüfen könnte.

Zu welchem Ergebnis kamen Sie?

Ich schlug vor: Wir müssen eine große Kammer im Labor bauen, die man energiereicher Strahlung aussetzt. Strahlung, die wir in den Teilchenbeschleunigern des CERN herstellen. Auf diese Weise lässt sich der Einfluss der Strahlung auf die Wolkenbildung unter kontrollierten Bedingungen nachvollziehen.

Jasper Kirkby im weißen Overall

Maximilien Brice / CERN

Jasper Kirkby in der Reaktionskammer des CLOUD-Experiments

Inwiefern variieren die kosmischen Strahlen?

Sie werden durch den Zyklus der Sonnenflecken beeinflusst. Dieser Zyklus dauert ungefähr elf Jahre. Aus Klimaarchiven weiß man außerdem, dass die kosmische Strahlung auch in der Größenordnung von hunderten Jahren variiert.

Wie hängt die Sonnenaktivität mit den kosmischen Strahlen zusammen?

Kosmische Strahlen bestehen aus energiereichen, geladenen Teilchen. Wenn Sie unser Sonnensystem erreichen, werden sie durch Magnetfelder der Sonne abgelenkt. Vor allem durch das Magnetfeld des Sonnenplasmas. Wenn die Sonne aktiv ist, erreichen weniger kosmische Strahlen die Erde. Das ist der Zusammenhang zum Sonnenzyklus: Wenn viele Sonnenflecken da sind, bekommt die Erde um zehn bis 20 Prozent weniger kosmische Strahlen ab.

Dieser Zusammenhang ist gesichert?

Ja, das ist bestens belegt. Wir wissen auch, dass die kosmische Strahlung jeden Kubikzentimeter der Atmosphäre ionisiert. Unklar war bisher, ob das auch einen klimatischen Effekt haben könnte. Wolken sind jedenfalls für das Klima der Erde extrem wichtig. Angenommen, ich könnte sämtliche Wolken in der Atmosphäre wegzaubern: Dann würden 30 Watt zusätzliche Wärmeenergie auf jeden Quadratmeter der Erde treffen.

Um diese Zahl zu kontextualisieren: Die Erwärmung der Atmosphäre durch den Einfluss des Menschen wird derzeit mit 1,5 Watt pro Quadratmeter beziffert. Geringe Variationen der Wolkendecke könnten also große Wirkungen haben.

Was zeigen Ihre Experimente?

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können wir nicht sagen, ob kosmische Strahlen das Klima beeinflussen. Was wir bisher untersucht haben, ist die Produktion von Kondensationskeimen für Wolkentröpfchen. Und zwar solche, die aus Gasen entstehen: Der Fachbegriff dafür heißt "Gas-to-particle-conversion". Sie machen rund die Hälfte der Kondensationskeime in der Atmosphäre aus. Die restlichen Keime stammen von Ruß und Staub.

Welche Gase sind an diesem Prozess beteiligt?

Wir haben uns zunächst Schwefelsäure und Ammoniak angesehen. Die Ergebnisse der ersten Versuche waren: Die kosmischen Strahlen verstärken die Bildung von Kondensationskeimen aus Gasen um den Faktor zehn. Aber das allein ist zu wenig, um die Wolkenbildung nennenswert zu beeinflussen. Laut unseren letzten Experimenten muss es noch andere Gase bzw. Dämpfe geben, die diesen Prozess verstärken. Vermutlich organische Substanzen.

Welche?

Die Ergebnisse sind gegenwärtig bei einer Fachzeitschrift unter Begutachtung. Ich kann leider nicht mehr darüber sagen. Nur so viel: Die Resultate sind sehr interessant. Im Laufe des Jahres wird es einige Veröffentlichung dazu geben.

Angenommen, Sie weisen nach, dass kosmische Strahlen tatsächlich die Wolkenbildung in größerem Maße fördern. Was würde das bedeuten?

Ich glaube, dass diese Experimente in zweierlei Hinsicht bedeutend sind. Zum einen, weil sie eine neue natürliche Quelle des Klimawandels aufzeigen würden. Und zum anderen, weil sie auch das Verständnis des anthropogenen Klimawandels verändern würden. Über Treibhausgase wissen wir gut Bescheid. Worüber wir viel zu wenig wissen, sind die Aerosole. Also Schwebeteilchen, die durch unsere Industrie in die Atmosphäre gelangen.

Sie haben mit Sicherheit einen kühlenden Effekt. Nur haben wir keine Ahnung, wie groß dieser Effekt ist. Er könnte klein sein, aber auch sehr groß. Vielleicht ist er sogar so groß, dass er die Wirkung des zusätzlichen CO2 in der Atmosphäre ausgleicht. Wir wissen es nicht.

Interview: Robert Czepel,

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