Wer wissen will, was ausgestorbene Arten dereinst gegessen haben, sollte einen Blick auf fossile Zähne und Kiefer werfen. Fleisch- und Pflanzenfresser sind auf diese Weise leicht zu unterscheiden. Bis zu einem gewissen Grad erzählt auch die Abnützung des Zahnschmelzes etwas über den Speiseplan vergangener Zeiten. Doch wer an Details des Menüs interessiert ist, kommt um die Chemie nicht herum.
In der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "PNAS" berichten gleich vier Studien über die Ernährungsweisen der Vor- und Frühmenschen. Sie alle stützen sich auf die gleiche Methode, die Messungen des Kohlenstoff-Isotops C-13. Letzteres wird wie die Normalvariante C-12 von Pflanzen für die Photosynthese genutzt, allerdings nicht immer auf die gleiche Art und Weise.
Biochemisch betrachtet gibt es nämlich zwei Möglichkeiten aus Licht, CO2 und Wasser Pflanzenmasse herzustellen. Bäume und Sträucher nutzen den sogenannten C3-Weg, Gräser hingegen den C4-Weg. Die beiden Wege unterscheiden sich unter anderem durch ihre Präferenz für Kohlenstoff-13-Atome: Gräser haben mehr davon in ihrem Gewebe, Bäume und Sträucher weniger. Das setzt sich bei den Pflanzenfressern fort. Der C-13-Gehalt ihrer Gewebe - etwa der Zähne - ist ein Spiegel ihres Speiseplanes.
"Begannen andere Dinge zu essen"
Studien in "PNAS":
"Diet of Australopithecus afarensis from the Pliocene Hadar Formation, Ethiopia"
"Stable isotope-based diet reconstructions of Turkana Basin hominins"
"Diet of Theropithecus from 4 to 1 Ma in Kenya"
"Isotopic evidence of early hominin diets"
Wie Matt Sponheimer, Anthropologe an University of Colorado, Boulder, berichtet, stellten die Vormenschen vor rund 3,5 Millionen Jahren relativ kurzfristig ihre Ernährung um. Zuvor hatten sie (etwa Ardipithecus ramidus und Australopithecus anamensis) einen schimpansenartigen Speiseplan: Früchte und Blätter von Bäumen und Sträuchern sowie hin und wieder Fleisch.
Gräser waren damals als potenzielle Nahrung bereits vorhanden. Aber die Vormenschen übersahen sie - warum, ist unbekannt. Australopithecus afarensis, der Vorläufer der Gattung Homo, war einer der ersten, die den Speiseplan um Gräser und Sukkulente erweiterten. Die zusätzlichen schweren Kohlenstoff-Isotope sind wohl auf zwei Arten hinzugekommen, erkärt Jonathan Wynn, einer der Studienautoren gegenüber science.ORF.at. Erstens durch den Konsum von C4-Pflanzen wie Gräsern, zweitens durch den Verzehr von Tieren, die sich ihrerseits von Gräsern ernährt haben. "Wir wissen, dass die Hominiden begannen, das C4-Menü zu essen. Was sie konkret von diesem Menü bestellt haben, wissen wir noch nicht." Weitere Untersuchungen sollen die möglichen Varianten nun weiter eingrenzen.
Matt Sponheimer fügt hinzu: "Die Hominiden begannen damals jedenfalls Dinge zu essen, die sie zuvor nicht gegessen hatten. Es ist gut möglich, dass diese Änderung ein wichtiger Schritt in der Entwicklung des Menschen war."
"Teure" Organe: Hirn oder Darm
Sponheimer ist nicht der erste, der zwischen Ernährungsweise und Hominisation einen Zusammenhang vermutet. Vergleiche von Primaten zeigen etwa folgenden statistischen Zusammenhang: Arten mit großen Gehirnen besitzen eher kleine Därme und solche mit voluminösem Verdauungsapparat sind mit geringer Hirnmasse ausgestattet. Biologen gehen davon aus, dass mehrere aufwändig gestaltete Gewebe in einem Körper schlichtweg zu "teuer" wären.
Die Lösung für dieses Dilemma lautet, energiereiche und dennoch leicht verdauliche Kost auf den Speiseplan zu setzen. Homo erectus, der Vorfahre des modernen Menschen, tat genau das: Er konnte bereits vor 800.000 Jahren mit Feuer umgehen und nutzte diese Technik auch, um damit zu kochen.
Ob und inwieweit der Menüwechsel vor 3,5 Millionen Jahren mit der Entwicklung des Gehirns zusammenhängt, haben Sponheimer und seine Kollegen nicht untersucht. Gleichwohl korrigiert ihre Analyse manches Bild, das man sich bis dahin von den Ur- und Vormenschen gemacht hatte.
Paranthropus boisei etwa, ein kleinwüchsiger Hominide, der bis vor ein bis zwei Millionen Jahren in Ostafrika lebte, wurde bei seiner Entdeckung "Nussknacker-Mensch" getauft. Den Kosenamen erhielt er aufgrund seiner flachen Zähne und robusten Kiefer. Zu unrecht, denn mit Nüssen hatte er wohl nichts zu tun. Laut Analyse dürfte er mit seinen breiten Zähne vor allem auf Gräsern herumgekaut haben.
Wie Sponheimer in seiner Studie schreibt, ernährte sich Paranthropus boisei von einseitiger pflanzlicher Kost - ein Umstand, der mitverantwortlich für sein Aussterben gewesen sein dürfte. Unsere Ahnen indes blieben bis zuletzt bei ihrem vielseitigen Speisplan. Ein Erfolgsrezept? Die Studien in "PNAS" deuten darauf hin. Nicht auszuschließen, dass Homo sapiens seine Existenz der ausgewogenen Ernährung verdankt.
Robert Czepel, science.ORF.at
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