Standort: science.ORF.at / Meldung: ""Es geht um die Bedürfnisse der Bürger""

"Es geht um die Bedürfnisse der Bürger"

Um die Innovationskraft eines Landes zu stärken, braucht es vor allem eines: die Demokratisierung von Forschungsprozessen, sagt Thomas Heimer, Professor für Innovations-Management.

Technologiegespräche Alpbach 19.06.2013

Im Vorfeld der Alpbacher Technologiegespräche erklärt Heimer, warum die besten Forschungsergebnisse nichts bringen, wenn die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber neuen Technologien fehlt.

science.ORF.at: Deutschland zählt gemeinsam mit Schweden, Dänemark und Finnland laut Innovation Union Scoreboard Ranking zu den "Innovation Leaders", Österreich mit Platz Neun zu den "Innovation Followers". Welche Faktoren sind für die guten Positionen Deutschlands und der skandinavischen Länder verantwortlich?

Thomas Heimer

Thomas Heimer

Zur Person:

Thomas Heimer ist Inhaber der Professur für Innovationsmanagement und Projektmanagement an der Hochschule RheinMain. Außerdem ist er Wissenschaftlicher Leiter der Technopolis Group Deutschland.

Links:

Technologiegespräche in Alpbach:

Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Die Zukunft der Innovation: Voraussetzungen - Erfahrungen - Werte".

Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Thomas Heimer wird am Arbeitskreis "Frontrunner als neuer Ansatz in der FTI-Politik" als Experte teilnehmen.

Thomas Heimer: Der Erfolg Deutschlands kommt daher, dass wir vor etwa 15 Jahren begonnen haben, Innovationen von einer eher technologieseitigen auf eine nachfrageseitige Entwicklungsperspektive umzustellen. Das heißt: Unternehmen, wissenschaftliche Forschungseinrichtungen, wie auch die Innovationspolitik haben verstanden, dass es nicht darum geht, einfach irgendwelche neuen Technologien zu produzieren, sondern dass diese Technologien sehr eng an das anschließen müssen, was die zukünftigen Nutzer davon erwarten.

Die Skandinavier hatten immer schon eine eher nachfrageseitige Kultur in der Innovationspolitik. Das hängt auch mit dem Demokratieverständnis dieser Länder zusammen, die sehr früh auf die Einbindung der Bürger geachtet haben.

Bis 2020 will Österreich laut der FTI-Strategie der Bundesregierung auch zu den Innovation Leaders gehören. Ist das machbar?

Ja, denn Österreich ist gut aufgestellt. Man muss sich überlegen, wo man im internationalen Innovationswettbewerb strategische Vorteile hat. Es gibt ja ganz hervorragende Unternehmen. Ich darf im Automobilbereich an Magna erinnern. Ich glaube, wenn man es schafft, Forschungspolitik noch stärker auf diese Nachfrageorientierung umzustellen, dann ist Österreich bestens gewappnet, um zu einem Führer in jenen Technologien zu werden, für die sich Österreich entscheidet.

Fallen Ihnen noch andere Beispiele ein, wo Österreich die Chance hätte, sich gut zu positionieren?

Im gesamten Bereich der Infrastruktur zum Beispiel, etwa was Fragen der Elektrizität angeht. Österreich ist einer der größten Erzeuger von nachhaltiger Energie. Auch im Bereich der Informationstechnologie gibt es sehr gute Unternehmen, die vielfach als Zulieferer zu anderen Industrien tätig sind. Da kann Österreich sicherlich sehr schnell zur Spitze der Forschung und Entwicklung aufschließen. Seitens der Unternehmen wie auch der wissenschaftlichen Einrichtungen.

Inwieweit werden offene Innovations-Prozesse - also die Einbindung von Beteiligten wie etwa den Herstellern, den Wissenschaftlern, den zukünftigen Nutzern, aber auch der Medien - in politischen Strategien berücksichtigt?

Von Seiten von Technopolis führen wir gerade ein großes Projekt für das deutsche Ministerium für Wirtschaft und Technologie zum Thema Technologie-Aufgeschlossenheit durch. Im Kern geht es darum, wie solche Demokratisierungsprozesse generiert werden können. Nehmen Sie die Brennstoffzelle: Eine Technik, die wir eigentlich seit 100 Jahren kennen, die aber im Bewusstsein der Bürger immer noch eine sehr geringe Bedeutung einnimmt. Obwohl wir mit Brennstoffzellen tatsächlich die nachhaltige, erneuerbare Energie der Zukunft realisieren könnten.

Auch die Biotechnologie hat gezeigt, dass hervorragende Forschungsergebnisse nichts bringen, wenn die Bürger sie nicht akzeptieren. Insbesondere bei der auf die agrarischen Produkte fokussierten grünen Technologie, hinkt Deutschland allein deswegen hinterher, weil die Bürger die Entwicklung dieser Technologie nicht akzeptieren und damit blockieren. Wir müssen Technologien heute als Ergebnis eines sozialen Gestaltungsprozesses ansehen und das heißt: Wir müssen sie so gestalten, dass sie kompatibel mit den Bedürfnissen der Bürger ist.

Wie wichtig sind gezielte Förderungen forschender Spitzenunternehmen, Stichwort: Frontrunner-Strategie?

Ich halte das für sehr sinnvoll. Immer mehr Länder und mittlerweile auch Schwellenländer wie Brasilien und insbesondere China, steigen in den Wettbewerb um Innovation ein. Und das heißt, kein Land kann es sich erlauben, in allen Bereichen vorne mitzuspielen. Insofern ist es sinnvoll, dass man in einem gesellschaftlichen Prozess versucht demokratisch festzulegen, wie man die Ressourcen bündeln will.

Gibt es noch andere Instrumente, die für Unternehmen wichtig wären?

Es gäbe innerhalb der Unternehmen eine Menge an notwendigen Veränderungen. Ein Großteil der Innovationen, die Unternehmen generieren, gelangen gar nicht zur Marktreife, weil in den Unternehmen selbst zu viele Hemmnisse existieren. Was die Innovationspolitik angeht, befürchte ich zurzeit, dass immer mehr Staaten in Richtung einer Industriepolitik kippen, bei der staatliche Förderer zu wissen glauben, was gut für die Innovationskraft eines Landes wäre.

Insofern diskutieren wir auch Instrumentarien, die die aktive Rolle der Innovationspolitik zurückschrauben sollen. Zum Beispiel die steuerliche Förderung von F&E-Leistungen in Unternehmen - so ein Instrument könnte verhindern, dass der Staat zu aktiv in den Innovationsprozess eingreift. Die deutsche Bundesregierung hat so eine steuerliche Entlastung von F&E-Leistungen zwar in ihrem Koalitionspapier beschlossen, getan hat sich bis heute nichts.

Passieren Innovationen heute aber nicht vielfach auch dort, wo man sie auf den ersten Blick gar nicht vermuten würde? Etwa im Kreativbereich, das sind dann Klein- und Kleinstunternehmen oder auch im Rahmen von Open-Source-Projekten. Bräuchte es da nicht auch flexible Förderstrategien?

Innovationen sind die Zerstörung des Bestehenden. Das zeigt etwa die Elektromobilität: Ein Unternehmen wie Tesla, eine Neugründung aus den USA, agiert deutlich dynamischer als die großen Platzhirsche in Japan, USA und Europa. Für die Förderung solcher Unternehmen bräuchte es vor allem zwei Dinge: Einen verbesserten Zugang zum Finanzkapitalmarkt, damit die Finanzierung dieser Unternehmen gelingt. Hierfür gibt es in Deutschland den High-Tech-Gründerfonds, eine Idee, die auf Österreich übertragbar wäre.

Zum anderen bräuchte es steuerliche Entlastung für bestehende Unternehmen, die einen bestimmten Prozentsatz von ihren Vorprodukten bei innovativen Jungunternehmen abnehmen. Das ist ein sehr interessantes Instrument, dennoch gibt es das bisher in keinem Industriestaat. Es gibt erste Ansätze in China. Aber das ist kein marktwirtschaftliches System, insofern können wir die Ergebnisse aus China nicht einfach übertragen.

Wir diskutieren hier die Förderung von Spitzenunternehmen, aber wäre es längerfristig für die Innovationskraft eines Landes nicht von großer Bedeutung, die Bildungs- bzw. Hochschulpolitik ins Zentrum zu stellen?

Es gibt heute zwei Schlagworte, mit denen jeder Politiker - egal welcher Couleur - auf den Marketing-Zug aufspringt: Bildung und Innovation. Forschung muss heute auch an den Universitäten in Kooperation mit Unternehmen und anderen Einrichtungen stattfinden. Dafür müssten in Österreich, aber auch in Deutschland ganz neue Strukturen an den Hochschulen geschaffen werden. In der Zeit, innerhalb der in einer österreichischen Hochschule ein Forschungsantrag genehmigt wird, haben Unternehmen die Forschungsprojekte schon dreimal abgeschlossen.

Was die schulische Bildung betrifft: Wir diskutieren seit Jahrzehnten darüber, dass die Schüler erhebliche Probleme in den naturwissenschaftlichen und mathematischen Fächern haben. An den Lehrmethoden und an den Lehrinhalten hat sich seither aber quasi nichts geändert. Das ist ein klares Beispiel von Politikversagen.

Aber es hört nicht bei der Schule auf: Es geht auch um die Gestaltung medialer Inhalte, insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Zumindest in Deutschland ist die Zahl der Techniksendungen so marginal, dass wir uns nicht darüber wundern dürfen, dass junge Menschen die so genannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik; Anm.), später nicht als Studienfach wählen und wir damit ein Defizit an entsprechenden Fachkräften haben.

In Österreich gibt es breit angelegte Kampagnen zur Werbung für die MINT-Fächer, gleichzeitig wurden jüngst einige dieser Studienrichtungen Zugangsbeschränkungen unterworfen. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass hier keine stimmige Strategie verfolgt wird. Glauben Sie, sind die MINT-Fächer die zukünftig wichtigsten Felder für Innovation?

Die nördlichen kontinentaleuropäischen Länder und dazu zählen Österreich und Deutschland, sind deswegen relativ gut durch die Krise gekommen, weil unser Fokus stark auf Ingenieurswissenschaften und -produkten liegt. Ich glaube nicht, dass im Rahmen der Tertiärisierung unserer Gesellschaft, hin zur Dienstleistungsgesellschaft, Ingenieursleistungen an Relevanz verlieren.

Die Menschen wollen weiterhin Produkte haben. Das werden zwar ganz andere Produkte sein. Aber dafür brauchen wir Ingenieure - Österreich und Deutschland sind im internationalen Wettbewerb gut beraten, ihre hohe Kompetenz in den Ingenieurswissenschaften und den daraus resultierenden Märkten zu platzieren.

Interview: Theresa Aigner, science.ORF.at

Mehr zu dem Thema: