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Skyline einer asiatischen Großstadt

Warum Städte wachsen

Urbane Ballungsräume sind traditionellerweise das Metier der Sozialwissenschaften. Nun beschäftigen sich auch Physiker und Mathematiker mit Städten - und finden Formeln, die ihr Wachstum und ihre Entwicklung vorhersagen.

Mathematik 24.06.2013

"Eine Stadt ist ein sozialer Reaktor", sagt Luis Bettencourt. Der studierte Physiker hat sich in den letzten Jahren auf Stadtforschung spezialisiert. Den Methoden der Physik ist er allerdings treu geblieben. Eine Stadt zu verstehen bedeutet für Bettencourt, mathematische Gleichungen zu finden, die ihr Verhalten beschreiben.

Zumindest oberflächlich sieht der Forscher vom Sanata Fe Insitute in Kalifornien Ähnlichkeiten zu Sternen: "Städte ziehen Menschen an und beschleunigen die Sozialkontakte. Das ist durchaus analog zur Art und Weise, wie Sterne funktionieren. Je größer sie sind, desto mehr Materie ziehen sie an und desto heller leuchten sie."

Je größer, desto innovativer

Der geborene Portugiese stellt nun im Fachblatt "Science" eine mathematische Theorie der Stadt vor, die viele Aspekte realer Ballungsräume akkurat beschreibt. Beispielsweise steigen mit der Einwohnerzahl Gehälter und die Zahl von Innovationen, während der benötigte Raum für Infrastrukturen (Straßen oder Stromkabel) mit der Größe der Stadt relativ kleiner wird. Im Grunde ist das eine andere Ausdrucksweise für: Je größer eine Stadt, desto teurer ist sie tendenziell. Größere Städte sind sehr dicht bewohnt, aber sie bieten auch ein kreatives und anregendes Umfeld - mehr, als es Kleinstädte zu tun vermögen.

Studien

"The Origins of Scaling in Cities", Science, 21. Juni 2013

"Space-Time Correlations In Urban Sprawl", arXiv, 16. Juni 2013

Bettencourts Theorie zufolge sind große Städte produktiver als kleine, allerdings steigt mit der Größe auch der Hunger nach Energie. Insofern passt der Vergleich mit Sternen besser ins Modellbild als die verbreitete Analogie zu Insektenstaaten. Von Letzteren nimmt man nämlich an, dass sie aus Effizienzgründen entstanden sind. Der Ameisenbau sollte durch die Arbeitsteilung im Vergleich zum solitären Insektendasein relativ weniger Energie verbrauchen. Kultur kostet eben, und die Ameisen verzichten bekanntlich darauf.

Bettencourt hat seine Formeln an diversen Ballungsräumen überprüft - sie gelten nicht nur in Ländern, wo die gesamte Bandbreite an Städten existiert, sondern auch dort, wo eine Stadt den urbanen Raum eines Landes mehr oder weniger für sich allein beansprucht. Mit anderen Worten: auch dort, wo sich die Hauptstadt zum Wasserkopf ausgewachsen hat. Die Briten denken in diesem Zusammenhang an London, die Franzosen an Paris - und wir Österreicher können mit dem Bild des Hydrozephalus ebenfalls etwas anfangen.

"Die Urbanisierung ist das schnellste und intensivste soziale Phänomen der Menschheitsgeschichte", resümiert Bettencourt. "Nun können wir beginnen zu verstehen, warum das passiert und was das alles für uns und den Planeten bedeutet."

Wachstum: 15 Jahre Vorhersage möglich

Formeln zur Stadtentwicklung haben soeben auch Forscher der Polytechnischen Hochschule in Lausanne vorgestellt. Alberto Hernando und seine Mitarbeiter versuchten, aufgrund von demografischen Daten im Spanien der Jahre 1900 bis 2011 das Städtewachstum vorherzusagen. Resultat: Hat man die Wachstumskurve der letzten Jahrzehnte zur Verfügung, dann lässt sich die zukünftige Entwicklung für die nächsten 15 Jahre vorhersagen. Jenseits dieses Zeithorizonts wird die Prognose unsicher.

Und: Das Wachstum von Städten wird auch vom Wachstum der Nachbarstädte beeinflusst (und zwar positiv). Bis 80 Kilometer Entfernung ist der Effekt ausgeprägt, danach fällt er mit dem Quadrat der Distanz ab.

Robert Czepel, science.ORF.at

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