Standort: science.ORF.at / Meldung: ""Es soll ja keine Entwicklungshilfe sein""

Die beiden obersten Politiker des Zentralkomitees der chinesischen kommunistischen Partei plaudern miteinander

"Es soll ja keine Entwicklungshilfe sein"

Per Fünf-Jahresplan an die Spitze der Weltökonomie? China hat mit einer Wirtschaftspolitik Erfolg, die den westlichen Ideen in Vielem widerspricht, etwa was Innovationen betrifft. Birgit Murr, die Leiterin des österreichischen Office of Science and Technology in Peking, erklärt, wie das funktioniert.

Technologiegespräche Alpbach 01.07.2013

Sie kümmert sich um Österreichisch-Chinesische Forschungskooperationen und nennt im Interview mit science.ORF.at zwei Ziele: entweder neue Forschungsergebnisse oder kommerzieller Erfolg - denn Entwicklungshilfe soll es keine sein.

science.ORF.at: Wann immer es um das Thema Innovation geht, ist China sehr schnell ein Thema. Sie kennen das Land seit Jahren sehr gut: Was macht China so besonders, dass es heute sogar als Vorbild in bestimmten Bereichen gilt?

Zur Person:

Birgit Murr, aufgenommen im 02. November 2009, vor dem Rohbau des Österreich-Pavillons, deren Projektleiterin sie war, im Rahmen der Expo in Shanghai

APA - Wolfgang Wehap

Birgit Murr, entsandt von der Österreichischen Wirtschaftskammer, ist Leiterin des Office of Science and Technology in Peking, das an der Österreichischen Botschaft in Peking angesiedelt ist. Zuvor war Murr als stellvertretende Regierungskommissärin bei der EXPO 2010 in Shanghai tätig (aus dieser Zeit stammt auch das Bild oben: Murr vor dem Rohbau des Österreich-Pavillons 2009). Von 2001 bis 2008 österreichische war sie Handelsdelegierte in Shanghai.

Technologiegespräche Alpbach:

Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Die Zukunft der Innovation: Voraussetzungen - Erfahrungen - Werte".
Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Birgit Murr wird am Arbeitskreis "Wertschöpfungsketten der Zukunft" als Expertin teilnehmen.

Weitere Beiträge:

Links:

Birgit Murr: Momentan ist China dabei, sich von einem Schwellenland in ein Industrieland zu entwickeln. Japan und Korea haben es nach dem zweiten Weltkrieg geschafft, in die obere Liga aufzusteigen, und nun versucht China an die Innovationskraft dieser Länder anzuknüpfen. Dafür hat China in den letzten Jahren einerseits sehr viel Geld in die Hand genommen. Andererseits versucht man natürlich, Innovationen durch politische Vorgaben anzukurbeln. Von der Regierung sind klare Ziele definiert: Es gibt Vorgaben für die Anzahl an Patenten pro Kopf und pro Universität, es gibt Klassifizierungen von Universitäten die dann Top-Förderungen bekommen, es gibt sogar klare Vorgaben für die Anzahl an Publikationen. Sämtliche Faktoren, die für Innovation gelten, werden von der Regierung mit Soll-Zahlen versehen - die dann auch eingehalten werden. So gesehen muss man natürlich die Qualität dieses Erfüllens von Soll-Zahlen hinterfragen.

In demokratischen, marktwirtschaftlich organisierten Ländern gehen viele Experten davon aus, dass sich auch die Innovationspolitik den Spielregeln des Marktes anpassen muss. Stichwort: nachfrageorientierte Innovationspolitik. Ist es nicht spannend, dass ein System, das Wirtschaftspolitik mittels Fünf- und 15-Jahresplänen steuert, so erfolgreich ist?

China versucht intensiv, diese andere Denkweise durch Internationalisierung einzuführen. Man versucht sehr gezielt, etwa durch Förderprogramme, die jungen Chinesen ins Ausland zu schicken. Im Anschluss werden Chinesen, die auf anderen Kontinenten geforscht oder unterrichtet haben, durch wirklich interessante Programme zurückgeholt. Einerseits werden finanzielle Anreize geboten - die Gehälter, die diesen Forschern und Professoren geboten werden, liegen zum Teil höher als in den USA. Was für die Leute aber noch reizvoller ist, sind die Ressourcen, die ihnen dann zur Verfügung gestellt werden. Sie bekommen ganze Institute mit Mitarbeitern und einem ordentlichen Budget. Zudem versucht China derzeit auch systematisch, sein Ausbildungssystem zu verändern.

Welches sind die wichtigsten Innovationsfelder für China?

Neben der Industrie stehen derzeit ganz stark Themen im Vordergrund, die mit der Umwelt zu tun haben. Denn China hat ein riesiges Umweltproblem: mit der Luft, mit Wasser und mit kontaminierten Böden. Das sind die Folgen von 30 Jahren Raubbau an der Natur, verbunden mit dem schnellen Wirtschaftswachstum. Diese Themen können nicht mehr durch wegschauen gelöst werden, in diesem Bereich innovativ zu sein hat höchste Priorität für China. Das zweite Feld sind die spannenden "neuen" Wissenschaften: Nanotechnologie, Weltraum- und Meeresforschung.

Es gibt kaum ein Thema, das nicht abgedeckt wird. Die chinesische Akademie der Wissenschaften hat 60.000 Mitarbeiter, 100 Forschungsinstitute und zwei Universitäten. Das sind völlig andere Dimensionen. Diese Institute sind gewissen Ministerien zugeordnet und fungieren für sie als Think-Tank. Auch das ist sehr zentral gesteuert.

Wie empfinden Sie diese zentrale Steuerung, wo sie doch wirtschaftspolitisch aus einem ganz anderen Umfeld kommen?

Ich denke, das funktioniert in gewissen Bereichen sehr gut und hat in China ganz einfach Tradition. Alles andere würde zu Verwirrung führen. Wesentlich ist, dass es die chinesische Regierung schafft, den Leuten zu zeigen, dass nicht nur Erfolge zu vermelden sind. Sondern dass es auch Misserfolg und Scheitern geben darf. Mit der neuen Regierung - höre ich - gibt es doch zumindest intern kritischere Haltungen, und es heißt, man diskutiert auch innerhalb der Behörden stärker über Probleme. Und man will auch wirklich etwas gegen Probleme, wie etwa bei den Umweltthemen, unternehmen. Gleichzeitig werden noch immer sehr simple Erklärungen an die Bevölkerung gegeben. Zum Beispiel, dass Autofahrer und Feuerwerkskörper an der schlechten Luft in Peking schuld seien.

Zurück zu den jungen Menschen in China. Technische Studienrichtungen sind dort extrem beliebt. In Österreich wird sehr häufig das geringe Interesse an solchen Fächern beklagt. Warum interessiert man sich dort viel stärker dafür?

In ganz Asien steht man Technik sehr offen gegenüber. In China belegen 35 Prozent der Studierenden technische Fächer. Und: Die Hälfte davon sind Frauen, das ist völlig normal. Auch in den Forschungsinstituten spiegelt sich das wieder. Aber natürlich ist auch dieser hohe Technikanteil steuerbar, so wie alles in China steuerbar ist. Es gibt eine Uni-Zugangsprüfung, die findet immer Ende Mai im ganzen Land am gleichen Tag statt und ist für alle gleich. Dann gibt es Punkte, und je nach Ergebnis kann man an entsprechenden Universitäten studieren. Dennoch: Das Interesse an Technik ist dort einfach höher. Nicht so wie in Europa, wo Veränderungen immer auch ein bisschen mit Zukunftsängsten verbunden sind. In China ist Veränderung normal. Seit 1978 hat sich die chinesische Welt so stark verändert, wie Europa in 150 Jahren. Dadurch wird vieles lockerer genommen.

Hingegen studieren in China sehr wenige junge Menschen Wirtschafts- oder Rechtswissenschaften. Wird hier der Widerspruch zwischen rasantem technischen Aufstieg und der schleppenden Entwicklung von demokratischen Standards und Menschenrechten sichtbar?

Die Anteile in den Wirtschaftswissenschaften nehmen schon zu, aber es ist nicht vergleichbar mit Österreich. Recht ist in China relativ neu in der Ausbildung, es gibt nach wie vor genug Richter, die keine juristische Universitätsausbildung haben. Das resultiert aus der Geschichte, das waren politische Bestellungen. Es käme in China auch kaum jemand auf die Idee, dass ein Rechtsstudium in Zusammenhang mit den Menschenrechten gesehen werden könnte. Die jungen Chinesen wollen etwas studieren, wovon sie sich gute Chancen im Beruf erwarten. Deshalb ist auch das Image eines Studiums zentral. Jetzt war zum Beispiel die zweite chinesische Raumfahrerin überall in China groß zu sehen, das ist natürlich sehr imagefördernd.

Der Arbeitskreis, an dem Sie in Alpbach teilnehmen, trägt den Titel: "Wertschöpfungsketten der Zukunft". Was wollen Sie dort einbringen?

Ich sehe es als meine Aufgabe, die Situation in China darzustellen und den Menschen die Angst zu nehmen. China bringt zwar sehr viel weiter, aber es bestehen nach wie vor große Herausforderungen. Wenn man sich Gedanken zur Wertschöpfung der Zukunft macht, dann muss klar sein, dass China in Zukunft sicher kein Billiglohnland sein wird, wohin Produktionen ausgelagert werden können. Auch wegen des stärkeren Umweltschutzes sind gewisse Industrien dort einfach nicht mehr gestattet. Die Frage ist natürlich, ob man das dann einfach nach Kambodscha, Bangladesch oder sonst wohin verlagert. Die Wertschöpfungskette wird sich insofern verändern, weil sich ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass eine derartige Billigproduktion mit Folgeschäden verbunden ist, die langfristig extrem teuer werden. In Zukunft wird sich also einiges wandeln müssen, damit es sauberer und gerechter wird.

Das Office für Science und Technology (OST) in Peking, das Sie leiten, ist ja noch relativ jung und im Aufbau befindlich. Mit wem arbeiten Sie zusammen?

Wir werden von drei Österreichischen Ministerien (bmvit, bmwfj, bmwf) finanziert. All diese Ressorts haben Kontakt mit dem chinesischen Gegenüber. Aufgabe des OST ist es, vor Ort nach Potenzial für Zusammenarbeit zu suchen. Wir suchen sowohl den Kontakt zu den Ministerien, aber auch zu den Forschungseinrichtungen, die ja als Think-Tanks für die Regierung fungieren. Deshalb ist es absolut wichtig, sich bereits auf dieser Ebene einzubringen.
Kürzlich haben wir beschlossen, uns mit dem Thema Boden- und Grundwassersanierung auseinanderzusetzen. Das ist seit Jänner ein brandheißes Thema in China und auch in Verbindung mit Lebensmittelsicherheit zu sehen. Das ist für Österreich insofern spannend, als dass China in dem Bereich noch nicht sehr viele, internationale Kooperationspartner hat. Es ist gut, wenn man sich bei einem Thema einbringt, das noch nicht einem anderen Land "zugeordnet" wird.

Und welches Ziel wird mit solchen Kooperationen verfolgt?

Es gibt viele Themen, wo man in Österreich gar keine Ahnung hat, wie dramatisch die Situation in China wirklich ist. Städtisches Grundwasser ist zu 60 Prozent mittel bis schwer kontaminiert oder schadstoffbelastet. 33 Prozent sind leicht belastet und nur drei Prozent sind wirklich sauber. Landwirtschaftliche Flächen sind zu 20 Prozent kontaminiert. Diese Probleme versuchen wir aufzugreifen, und die Reaktionen von chinesischer Seite sind sehr offen. Die Herausforderung ist, mögliche Kooperationen so zu gestalten, dass Österreich auch etwas davon hat. Es bringt nichts, sich nur auszutauschen. Das muss entweder Forschungsergebnisse bringen oder einen kommerziellen Erfolg haben. Es soll ja keine Entwicklungshilfe sein.

Viele europäische Unternehmen, die mit chinesischen Partnern zusammenarbeiten, veranstalten Kulturtrainings und engagieren Anthropologen, um sich den chinesischen Gepflogenheiten anzunähern. Sind solche Maßnahmen Ihrer Meinung nach notwendig?

Ich sehe diese Kulturtrainings etwas skeptisch. Die Leute lernen dabei, dass sie Visitenkarten mit zwei Händen übergeben sollen - und glauben, dann sie wüssten etwas über China. Das wird oftmals simplifiziert. Chinesische Kulturtrainer sind auch oft Auslandschinesen, die seit 20 Jahren nicht mehr in China leben und angesichts der schnellen Veränderungen auch gar nicht mehr am letzten Stand sind. Und so unterschiedlich sind die Kulturen doch gar nicht: Wichtig ist, dass man sein Gegenüber ernst nimmt. Wie man die Stäbchen haltet, ist dann ziemlich egal. Das Interpretieren von Situationen kann man nicht lernen, das muss man sich durch Erfahrung aneignen. Und je länger man in China ist, desto mehr entdeckt man, wie wenig man weiß.

Interview: Theresa Aigner, science.ORF.at

Mehr zu dem Thema: