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Highway in Kalifornien

"Bis 2050 den Verkehr elektrifizieren"

Oberleitungen für den Güterverkehr, Autos, die dauerhaft im Eigentum der Hersteller bleiben, und der komplette Umstieg auf elektrische Fahrzeuge bis 2050 - so könnte es gelingen, den Verkehr zukünftig klimaneutral zu gestalten, sagt der Techniker und Politikberater Martin Faulstich.

Technologiegespräche Alpbach 15.07.2013

Damit das funktioniert, müsste die Politik aber in größeren Zeiträumen als bis zur nächsten Wahl denken, so der Vorsitzende des deutschen Sachverständigenrats für Umweltfragen im Interview mit science.ORF.at.

Bei den Technologiegesprächen Alpbach wird er über "grüne Technologie" und ökologische Mobilität sprechen. Das Ziel für die Zukunft: Wohlstand und Dienstleistungen sollen wachsen, Rohstoffverbrauch und Umweltbelastungen aber nicht.

Zur Person:

Porträtfoto von Martin Faulstich

Martin Faulstich

Martin Faulstich ist Vorsitzender des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) der deutschen Bundesregierung und Geschäftsführer des Clausthaler Umweltinstituts
(CUTEC) in Clausthal-Zellerfeld sowie Inhaber des Lehrstuhls für Umwelt- und Energietechnik an der TU Clausthal. Davor war er 18 Jahre Lehrstuhlinhaber und Ordinarius an der TU München, zugleich war er auch Gründungsdirektor des Wissenschaftszentrum Straubing und Leiter des ATZ-Entwicklungszentrums, das in dieser Zeit in die Fraunhofer-Gesellschaft überführt wurde.

Technologiegespräche Alpbach:

Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Die Zukunft der Innovation: Voraussetzungen - Erfahrungen - Werte".
Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Martin Faulstich wird am Arbeitskreis "Green Tech: Vision und Business Eco-Mobilität" als Experte teilnehmen.

Weitere Beiträge zu Alpbach 2013:

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science.ORF.at: Was konkret verstehen Sie unter dem Begriff "Eco-Mobilität"?

Martin Faulstich: Zunächst muss man zwischen Mobilität und Verkehr unterscheiden. Mobilität meint eher die Möglichkeiten, durch Ortsveränderung seine Interessen und Bedürfnisse zu befriedigen. In diesem Sinne heißt hohe Mobilität eher weniger Verkehr. Stichwort: Stadt der kurzen Wege. Üblicherweise ist mit Eco-Mobilität wohl umweltverträglicher Verkehr gemeint. Es geht um Personen- und Güterverkehr, um PKWs und LKWs, aber auch um Schiffs- und Flugverkehr.

Im Individualverkehr hat hier bisher der Gedanke vorgeherrscht, dass man ein Fahrzeug hat, das gleichermaßen für die Stadtfahrt, die Überlandtour und die Urlaubsreise geeignet ist. In Zukunft wird es stärker zu einer Differenzierung kommen. Schon jetzt sind die Reichweiten von Elektroautos für den Stadtverkehr durchaus ausreichend. Wer jedoch ein paar hundert Kilometer am Stück fahren will, kann sich für diese eher seltenen Reisen ein dieselbetriebenes Fahrzeug leihen. Für verschiedene Anlässe wird es verschiedene Fahrzeuge geben - und die muss man nicht unbedingt in seinem Eigentum haben.

Inwieweit sind Autos, die mit Strom betrieben werden, schon gereift?

Derzeit ist die Palette an Elektroautos noch sehr überschaubar. Aber alle großen Hersteller wollen im kommenden Jahr mit neuen Modellen auf den Markt. Natürlich sind die noch vergleichsweise teuer, und die Reichweiten der Batterien sind noch relativ gering, aber es wird mit Nachdruck daran gearbeitet. Die langfristige Vision ist sicher, den Straßen- und Schienenverkehr auf Elektromobilität umzustellen. Das ergibt aber nur Sinn, wenn gleichermaßen die Energieversorgung vollständig auf erneuerbare Energie umgestellt wird. Die Elektromobilität ist so gesehen eine der wenigen, wenn nicht die einzige Möglichkeit, den Verkehr im großen Stil CO2-frei zu gestalten. Bis 2050 könnte man es schaffen, den genannten Verkehr zu elektrifizieren.

Muss nicht bereits im Produktionsprozess von Fahrzeugen ein Umdenken stattfinden?

Die Elektrofahrzeuge, die bisher auf den Markt gekommen sind, waren vielfach klassische Fahrzeuge, bei denen man im Grunde nur den Motor ausgetauscht hat. Langfristig müssen Autos bereits in der Konstruktion spezifisch für die Elektromobilität geplant und zudem so gebaut werden, dass man sie am Ende ihrer Lebenszeit wieder zerlegen, demontieren und weitgehend recyceln kann. Heute verläuft ein typisches Autoleben so: Es fährt sieben Jahre in Mitteleuropa, dann vielleicht sieben Jahre in Osteuropa und die letzten sieben Jahre oftmals in Afrika oder Asien. Danach verliert sich die Spur und es verschwinden ein paar Millionen Autos in den Weiten der Länder. Das ist einerseits ein Umweltproblem. Andererseits verschwinden damit auch die hochwertigen Rohstoffe, die in einem Auto verbaut sind. Die Rohstoffe der Autos der Zukunft müssen sich in einem globalisierten Wertstoffkreislauf bewegen.

Ist diese Vision - von der Produktion bis zum Recycling - schon bei den Herstellern angekommen?

Vor fünf Jahren wollten sich die Hersteller noch kaum um Rohstoffpolitik kümmern. Da war man noch der Meinung, das sei die Aufgabe des Staates und der öffentlichen Forschung. Mittlerweile haben alle großen Hersteller eigene Stäbe, die sich um internationale Rohstoffströme kümmern. Der Autoindustrie ist mittlerweile bewusst geworden, dass sie keine hochwertigen Autos mehr bauen kann, wenn sie nicht mehr an hochwertige Rohstoffe heran kommt.

Ö1-Sendungshinweis

Über dieses Thema berichtet auch "Wissen aktuell", 15.7.2013, 13:55 Uhr.

Wie könnte man das Interesse der Konzerne an nachhaltiger Autoproduktion steigern?

Heute werden Autos vom Hersteller an Privatkunden oder große Leasing- und Verleihfirmen verkauft. Langfristig könnte man sich aber durchaus auch ein Modell vorstellen, bei dem der Automobilhersteller dauerhaft Eigentümer des Fahrzeugs bleibt und der Endkunde das Auto vom Hersteller nur leasen würde. Dann hätten die Konzerne langfristig ein Interesse daran, Autos demontagefreundlich zu gestalten. Das wird sicher noch einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Aber das Problembewusstsein ist bei den Herstellern angekommen, wir dürfen auf entsprechende Entwicklungen hoffen.

Sie haben zu Beginn auch den Güterverkehr angesprochen, in diesem Bereich umzustellen ist doch um einiges schwieriger - aber mindestens genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger, als beim Personenverkehr.

Der Güterverkehr hat auch deshalb so hohe Wachstumsraten, weil sich die gesamte Logistik durch die Globalisierung fundamental verändert hat. Den Güterverkehr zu decarbonisieren ist nicht so einfach, weil hier in der Regel viel längere Strecken gefahren werden. Wir haben daher im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) für Deutschland den Vorschlag unterbreitet, auf den großen Autobahnen die rechte Spur zu elektrifizieren, also mit Oberleitungen auszustatten. Das kann man sich ähnlich wie bei einem O-Bus vorstellen. Die LKWs müssten dafür auf einen Diesel-Hybrid-Motor umgestellt werden. Auf dem Weg zur Autobahn würde der Dieselmotor intern den Elektromotor antreiben. Bei der Anschlussstelle würde sich der LKW dann in die Oberleitung einklinken und sich am Zielort wieder ausklinken. Diese Idee wurde bereits von der Firma Siemens auf einer Teststrecke ausprobiert. Das Gute daran: Es könnte Zug um Zug umgestellt werden, denn selbst auf der elektrifizierten Autobahn, könnten immer noch herkömmliche LKWs fahren. Denn natürlich wird es einige Zeit dauern, bis die LKW-Industrie diese anderen Fahrzeuge baut.

Wie reagiert die Politik auf Ideen wie diese?

Wir stellen immer wieder fest, dass zunächst eine gewisse Reserviertheit vorherrscht, wenn die Infrastruktur längerfristig umgebaut werden soll. In der Politik wird aber meistens auf Sicht gefahren, sie betrachtet doch sehr stark die nächsten drei, vier, fünf Jahre. Wenn wir aber die gesamte Wirtschaft, also den Strom, die Wärme, den Verkehr und die Industrie klimaneutral gestalten wollen, müssen ganz andere Zeiträume in den Blick genommen werden.

Als Wissenschaftler, der sehr viel mit politischen Verantwortungsträgern zu tun hat: Ist es nicht oft frustrierend mit diesem Gegenüber zu arbeiten, weil man in vielen Bereichen schon wesentlich visionärere Ideen verfolgen würde?

Dazu kann ich Ihnen eine kleine Anekdote erzählen. Im letzten Jahr feierte der SRU sein 40-jähriges Jubiläum. Bei der Feier hat unser derzeitiger Umweltminister Peter Altmaier sinngemäß gesagt: "Alles was der SRU schreibt, wird zunächst als Traumtänzerei abgetan. Aber fünfzehn Jahre später haben wir es dann doch so gemacht." Er hat dann noch augenzwinkernd hinzugefügt: "Bei der Energiewende sind wir Ihnen ja schon ein Jahr später gefolgt". Das war eine Anspielung darauf, dass der SRU bereits ein Jahr vor dem Reaktorunglück in Fukushima ein Gutachten darüber erstellt hat, wie Deutschland bis zum Jahr 2050 auf hundert Prozent erneuerbaren Strom umstellen kann. Das ist damals - sagen wir es mal höflich - freundlich aufgenommen worden. Nach Fukushima waren wir dann auf einmal die Propheten, weil alle wissen wollten, wie dieser Umstieg gelingen kann.

Aber es wäre schon auch ein technokratisches Politikverständnis, wenn ein Land ausschließlich den Experten die Entscheidungen überlassen würde, was die Politik machen soll. Wir Wissenschaftler werden eher als Vordenker gesehen. Dass die politische Umsetzung dann ein paar Jahre dauert, liegt in der Natur der Sache. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass wir als Wissenschaftler ja nicht gewählt werden müssen, wir sind damit auch unabhängiger. Dadurch ist die Politikberatung der Politik meist ein paar Jahre voraus.

Unternimmt die Politik genug, um die Menschen mit auf den Weg zu nehmen?

Im Augenblick wird die Diskussion fast nur über Kosten geführt, und es wird der Eindruck erweckt, als würde die Energiewende sehr teuer werden. Das ist aber ein Prozess, der mehrere Jahrzehnte dauert. Im Übergang wird das natürlich etwas teurer, das wollen wir nicht verhehlen. Langfristig werden aber sowohl die Industrie wie auch private Haushalte dauerhaft preiswerten Strom erhalten. Die konventionellen Energieträger werden ja immer teurer, weil die Rohstoffe teurer werden und Emissionszertifikate erworben werden müssen. Windkraft- oder Solaranlagen hingegen werden jedes Jahr preiswerter, weil die Technologie besser wird und die Stückzahlen steigen. Wir müssen für die gesamte Energiewende noch stärker um Akzeptanz werben und sie über Parteigrenzen hinweg vorantreiben.

Seit Ende des letzten Jahres sind Sie auch Leiter des CUTEC Instituts an der TU Clausthal. Welche Arbeitsschwerpunkte setzen Sie dort?

Unser Ziel ist es, zu einer nachhaltigen Industriegesellschaft zu kommen. Dafür sehen wir drei Säulen als zentral. Zuerst müssen wir Informationen generieren, dann Modelle entwickeln und daraus Szenarien und Prognosen ableiten. Wir müssen zunächst abschätzen, wie sich die Rohstoff- und Energieströme entwickeln werden. Dann ist unser Ziel 100 Prozent erneuerbare Energie, wir arbeiten sehr stark in diesem Bereich. Zum Beispiel an der Umsetzung von Wind- und Solarstrom über Elektrolyse zu Wasserstoff, der dann weiter zu Methan oder anderen Kohlenwasserstoffen veredelt wird. Das sind dann voll regenerative Energieträger, die sich auch in Brennstoffzellen oder als Chemierohstoffe nutzen lassen. Und die dritte Säule ist dann, möglichst viele Elemente des Periodensystems in Kreisläufen zu führen. Dafür wollen wir die erforderlichen Technologien entwickeln, um dann eines Tages geschlossene Recyclingkreisläufe zu haben.

Interview: Theresa Aigner, science.ORF.at

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