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Milchstraße mit Spiralarmen

Verzweifelt gesucht: Dunkle Materie

Um die Bewegungen von Galaxien erklären zu können, postulieren Astronomen die Existenz einer neuartigen Materieform. Eine Studie zeigt nun: Wenn es die Dunkle Materie gibt, dann hat sie eine störrische Natur. Sämtliche Nachweisversuche sind bisher gescheitert.

Astrophysik 10.07.2013

Das Attribut "Dunkel" ist in der Astronomie momentan in Mode. Da gibt es zum einen die Dunkle Energie, die die beschleunigte Ausdehnung des Universums erklären soll. Was sie ist bzw. woraus sie besteht, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig unklar. Fest steht nur: Sie dehnt den Raum wie die Hefe den Germteig. Laut Astronomen muss sie existieren, ansonsten würde das die etablierten kosmologischen Modelle über den Haufen werfen.

Status: Unbekannt

Die Lücke ist groß: Rund 73 Prozent der Gesamtenergie des Universums gehen auf das Konto der Dunklen Energie. Die Menge der sichtbaren ("baryonischen") Materie, aus der Planeten, Sonnen und auch die Astronomen bestehen, ist im Vergleich dazu geradezu lächerlich. Sie vereinigt lediglich vier Prozent der Gesamtenergie auf sich. Womit ein Rest von 23 Prozent übrig bleibt.

Den reservieren die Forscher für die Dunkle Materie. Auch sie ist unsichtbar und ein theoretischer Lückenfüller. Sie ist notwendig, um Abweichungen der Galaxienbewegungen von den Kepler'schen Gesetzen zu erklären. Und sie ist auch notwendig, um den Zusammenhalt von Galaxien bzw. Galaxienclustern zu gewährleisten. Gäbe es sie nicht, müsste Kepler geopfert werden (was niemand will) und die Stabilität der Galaxien bliebe ein Rätsel.

Schönheitsfehler: Auch hier weiß niemand, woraus diese Materieform besteht. Immerhin gibt es die Hoffnung, dass man ihr mit Hilfe von Detektoren dereinst auf die Spur komme könnte. Entsprechende Experimente, etwa mit Hilfe des "Alpha Magnetic Spectrometer" auf der Raumstation ISS, verliefen bisher, wie es so schön heißt, "inconclusive", ohne Beweiskraft.

Einfluss auf Planetenbewegungen?

Zwei russische Astronomen präsentieren nun eine Alternative. Ihr Argument: Wenn die Milchstraße in einer Suppe von Dunkler Materie schwimmt, dann muss diese auch einen Einfluss auf die Bewegungen der Planeten unseres Sonnensystems haben. Eine subtile Gravitationswirkung zwar, aber immerhin eine, die prinzipiell nachweisbar wäre. Denn in den letzten Jahrzehnten wurden jede Menge Daten über Planetenbewegungen angehäuft, beispielsweise mit den Sonden Cassini, Mars Express und Venus Express.

Die Studie

"Constraints on Dark Matter in the Solar System", Astronomy Letters (doi: 10.1134/S1063773713020060; Preprint hier)

Nikolai Pitjev und Elena Pitjeva aus St. Petersburg haben nun 670.000 entsprechende Messungen ausgewertet. Ihre Conclusio: Klare Hinweise sind nicht zu finden. Falls die Dunkle Materie vermittels ihrer Schwerkraft Spuren hinterlassen hat, dann liegen diese unterhalb der Schwankungsbreite der Messungen.

Immerhin können Pitjev und Pitjeva nun die maximale Dichte der Dunklen Materie in unserem Sonnensystem abschätzen. Würde man um die Sonne eine Kugel mit dem Radius des Saturnorbits aus dem Kosmos schneiden, dann hätte die darin befindliche Dunkle Materie das Zehnmillionstel der Sonnemasse. Was etwa der Masse eines großen Asteroiden entspricht. Das klingt nach nicht viel, gleicht sich aber aus. Zwischen den oft Lichtjahre voneinander entfernten Sternen gibt es zwar wenig sichtbare Materie, die Dunkle indes gibt es überall. In Summe stellt letzere 80 Prozent der Milchstraßenmasse, schätzen Astronomen.

"Noch nicht nachweisbar"

Über die Verteilung der Dunklen Materie ist noch nicht allzu viel bekannt. Sie neigt rund um Sonnen zur Verdichtung - allerdings nicht in rotierenden Scheiben, wie es bei der "normalen" Materie der Fall ist. "Der Grund dafür ist, dass die Dunkle Materie ihre Bewegungsenergie nicht durch Strahlung abgeben kann", erklärt Gerhard Hensler vom Institut für Astronomie der Universität Wien. Sie sei zwar nicht sichtbar, aber permanent in Bewegung.

Eine Frage lassen Pitjev und Pitjeva in ihrer Studie offen. Ist überhaupt genug Dunkle Materie da, um noch die Bewegungen der Galaxien erklären zu können? "Ja", sagt Henslers Institutskollege Thomas Posch. "Die Dichte der Dunklen Materie wurde in den letzten Jahren zwar nach unten revidiert. Sie ist noch nicht so gering, als dass wir Schwierigkeiten bekommen würden. Die Galaxienmodelle funktionieren noch." Probleme sieht auch Hensler nicht: "Die Studie zeigt, was zu erwarten war: Wir können die Dunkle Materie mit diesem Ansatz noch nicht nachweisen. Die Methoden sind noch zu ungenau."

Robert Czepel, science.ORF.at

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