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Eine Zukunft ohne Unternehmen?

Das Internet hat die Wirtschaft stark verändert. Innovative Produkte werden nicht zuletzt wegen der neuen Medien zunehmend in offenen Prozessen entwickelt. Eine Tendenz, die dazu führen könnte, dass Unternehmen in bestimmten Bereichen eines Tages komplett durch die Community abgelöst werden.

Technologiegespräche Alpbach 22.07.2013

Schon jetzt ist in hochentwickelten Volkswirtschaften sowohl der Aufwand als auch der Output, der in Sachen Innovation durch User generiert wird, größer als jener der Unternehmen, sagt Nikolaus Franke. In den offiziellen Innovations-Statistiken taucht dieser Umstand allerdings nicht auf, meint der Wirtschaftswissenschaftler im Interview.

Zur Person:

Nikolaus Franke, WU Wien

Nikolaus Franke

Nikolaus Franke ist Leiter des Instituts für Entrepreneurship und Innovation an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf "Open and User Innovation", also der Frage danach, wie Unternehmen von der Kreativität der User profitieren können. Zudem ist er Direktor des TU/WU Entrepreneurship Centers, einer gemeinsamen Einrichtung zum Technologietransfer von TU und WU Wien, Akademischer Direktor des Professional MBA zu Entrepreneurship and Innovation, Gründungsmitglied des Forschungsinstituts für Family Business und Leiter der User Innovation Research Initiative Vienna. Frühere Stationen seiner wissenschaftlichen Karriere waren die Ludwig-Maximilians-Universität München sowie das Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Technologiegespräche Alpbach:

Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Die Zukunft der Innovation: Voraussetzungen - Erfahrungen - Werte".
Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Nikolaus Franke wird am Arbeitskreis "Das Potenzial von IKT-Tools im Open Innovation-Prozess" als Experte teilnehmen.

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science.ORF.at: Offene Prozesse werden in Sachen Innovation immer wichtiger, man versucht die Menschen einzubinden. Wie würden Sie diese Umbrüche im unternehmerischen Umfeld beschreiben?

Nikolaus Franke: Wir befinden uns im Moment in einer Phase der industriellen Revolution. Man muss es mit diesen - doch relativ großen Worten - benennen. Typisch für solche Revolutionen ist, dass dieser Prozess, während er stattfindet, leicht übersehen wird. Im Moment verändern sich Innovationsprozesse - angestoßen durch die Veränderungen im IKT-Bereich (Informations- und Kommunikationstechnologie, Anm.), insbesondere durch das Internet - dramatisch. Wir haben völlig neue Möglichkeiten, mit der Außenwelt eines Unternehmens in Kontakt zu treten und auch die Außenwelt, also die User, haben völlig andere Möglichkeiten zu interagieren. Deshalb spreche ich meistens von "Open and User Innovation" und betone das "User" sehr stark. Das Modell, wonach Innovationsprozesse hauptsächlich innerhalb von Unternehmen, in den F&E-Labors passieren, ist einfach nicht mehr richtig.

Inwieweit hat sich das in den Unternehmen bereits herumgesprochen?

Das ist natürlich eine massive Umstellung. Die meisten Manager haben mitbekommen, dass wir uns inmitten eines Megatrends befinden. Es wird experimentiert, aber es gibt vielfach noch Unklarheit, wie man das konkret umsetzen kann. Aber das Bewusstsein dafür, dass man etwas tun sollte, ist angekommen.

Die Länder befinden sich in einem massiven Wettbewerbe um Innovation, bei dem die Stärkung der nationalen Position eine große Rolle spielt. Wie passt da der Gedanke von Öffnung und gemeinsamen Entwickeln dazu?

Wir haben es auf jeden Fall mit einem internationalen Trend zu tun. Das Denken in nationalen Egoismen ist wenig sinnvoll, denn auch die User-Community ist international. Ein Beispiel: Wir haben vor einiger Zeit mit dem österreichischen Unternehmen Kapsch ein Lead-User-Projekt umgesetzt. Die 20 User, die wir eingebunden haben, kamen aus 15 verschiedenen Ländern. Das Denken in nationalen Kategorien passt also gar nicht mehr richtig in eine vernetzte und globale Welt.

Wie funktioniert die "Lead-User-Methode"?

Dabei geht es darum, für spezifische Fragestellungen im Innovationsprozess gezielt jene Menschen zu finden, die einem am Besten weiter helfen können. Man versucht nicht mehr, das klassisch mit den Spezialisten, die man im Unternehmen angestellt hat, zu lösen. Erfahrungsgemäß führt das ja meist zu eher inkrementellen Innovationen, also kleinen Verbesserungen. Für radikale Innovationen gilt dagegen der Gedanke: "Irgendwo auf der Welt gibt es Menschen, die schon heute in der Zukunft leben, und die versuchen wir jetzt zu finden". Also jene User, die diejenigen Trends anführen, die für das spezielle Problem wichtig sind.

Der erste Schritt ist, diese Trends zu identifizieren. Dafür führt man Interviews mit Experten, beobachtet Blogs, scannt wissenschaftliche Beiträge, geht in die Communities und sucht dort nach den Pfaden, die in die Zukunft führen. Im zweiten Schritt versucht man jene Personen zu finden, die diese Trends anführen. Auch dafür werden Interviews geführt, Foren durchsucht, etc. Den Aufwand sollte man nicht unterschätzen. Doch wenn man die Suchmethoden beherrscht, kommt man relativ schnell zu einer bestimmten Personengruppe - und die versucht man in Form eines gemeinsamen Lead-User-Workshops in den Innovationsprozess einzubinden.

Wie werden diese Lead-User darüber hinaus eingebunden und was ist deren Motivation sich zu beteiligen? Braucht es da finanzielle Anreize?

Zunächst sind Lead-User fasziniert davon, mit anderen Lead-Usern zusammen zu treffen und diesen Austausch der Spitze zu pflegen. Der zweite Punkt ist, dass man als User daran interessiert ist, ein verbessertes Produkt zu bekommen - und das kann man allein oft nicht hinkriegen, man braucht andere und einen Produzenten. Und der dritte Punkt ist, dass sich die Lead-User davon vielleicht eine längerfristige Zusammenarbeit mit den anderen Usern und vor allem mit dem Unternehmen versprechen. Direkte monetäre Kompensation spielt normalerweise eine untergeordnete Rolle.

Aber widerspricht die kommerzielle Verwertung durch Unternehmen der Idee von offen generierten Innovationen nicht zwangsläufig? Es klingt nicht ganz fair, dass die User, die sich einbringen, für ihre Dienste lediglich die Chance zum Netzwerken als Dank bekommen.

Hier tun sich tatsächlich Widersprüche auf, das ist ein wichtiger Punkt. Dazu haben wir erst kürzlich ein Forschungsprojekt durchgeführt. Es gibt Unternehmen, die Open Innovation als eine Art "Freibier" interpretieren und denken, sie könnten sich grenzenlos und ohne Gegenleistung an der Kreativität der User bedienen. Dazu haben wir ein Forschungsprojekt mit mehreren tausend Usern durchgeführt. In einem ausgeklügelten Experiment haben wir untersucht, wie sie unter verschiedenen Anreizbedingungen reagieren, also ob sie mitmachen würden. Die Quintessenz: Die Leute schauen nicht nur auf ihren eigenen Nutzen, es beschäftigt sie darüber hinaus, ob die Aufteilung der geschaffenen Werte zwischen Usern und Unternehmen fair ist.

Das wirklich Bemerkenswerte ist, dass sie bei einem Geschäftsmodell nicht mitmachen würden, das ihnen zwar selbst nützt, insgesamt aber nicht fair ist. Das Unternehmen muss der Community also etwas zurückgeben. Langfristig erfolgreiche Unternehmen machen sich daher viele Gedanken darüber, wie sie eine beiderseitig nützliche Beziehung mit der User-Community aufbauen und sie ihrerseits unterstützen können. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel die Bereitstellung von Web-Infrastruktur für die Community und natürlich die Einbindung in Entscheidungen.

Neben der Lead-User-Methode: Welche anderen Formen der User-Einbindung werden derzeit noch angewandt?

Die zweite Methode ist Crowdsourcing. Dabei kehre ich die Problemlösungslogik einfach um: Ich nenne als Unternehmen ein Problem und überlasse es wem auch immer auf dieser Welt, sich selbst diesem Problem zuzuordnen und eine Lösung anzubieten. So etwas wird häufig als Wettbewerb organisiert. Eine dritte Methode sind Toolkits für User Innovation und Design. Die Idee dahinter: Ich schaffe eine IKT-basierte Schnittstelle, mit der ich dem Kunden erlaube, sich die Produkte selbst zu gestalten. Überspitzt gesagt heißt das, dass ich darauf verzichte, den Kunden zu verstehen. Teure Marktforschung ist nicht mehr nötig - der Kunde gestaltet sein Produkt ja selbst. Aber auch bei dieser Methode befinden wir uns erst am Anfang dessen, was möglich ist. Denken Sie an 3D-Drucker: Irgendwann werden wir uns ganz einfach einen Bauplan, der im Web existiert, runterladen, ihn an unsere Bedürfnisse anpassen und uns dann das Produkt daheim ausdrucken. Für bestimmte Dinge werden wir insofern irgendwann gar keine Unternehmen mehr brauchen.

Mit welchen "IKT-basierten Tools" wird derzeit gearbeitet? Wie kann man sich das vorstellen?

Die Technologie, die wir brauchen, ist zwar im Detail sehr komplex, aber die Grundlogik ist sehr einfach. Es geht darum, eine Vernetzung zwischen dem Unternehmen und dem individuelle User zu schaffen. Ich brauche eine Plattform, die möglichst einfach, möglichst intuitiv und möglichst schnell nutzbar ist. Das ist etwa beim Thema Crowdsourcing keine Hexerei. Bei den Toolkits kommt es darauf an, dass ich dem Kunden erlaube, das Produkt möglichst gut zu simulieren. Diese Feedbackinformation ist extrem wichtig, damit die Kunden während des Designens lernen, was sie eigentlich wollen. Das muss mit der IKT-Struktur abgebildet werden.

Können Sie Beispiele von Unternehmen nennen, die im Bereich Open Innovation als Vorbild gelten könnten?

Die Firma Innocentive zum Beispiel betreibt von der Logik her Crowdsourcing im High-Tech-Bereich. Dieses Unternehmen sucht aber nicht für sich selbst Lösungen, sondern fungiert als Intermediär. Das heißt, es ist eine Plattform, die mit einem Netzwerk von mehreren Hunderttausend Wissenschaftlern, Ingenieuren, Technikern und sonstigen kreativen Problemlösern zusammenarbeitet. Unternehmen können ihr Problem, meist komplexe Technologieprobleme, in dieses Netzwerk gegen eine fixe Belohnung einbringen. Das Netzwerk selektiert und bietet Lösungen an. Die meisten Probleme werden sehr schnell und sehr gut gelöst - und zu einem Bruchteil der Kosten, die man intern gehabt hätte. Ich kann das tollste Unternehmen überhaupt sein - im Vergleich zum Rest der Welt ist es dennoch immer klein.

Sie haben vorher angeschnitten, dass es in bestimmten Bereichen irgendwann gar keine Unternehmen mehr brauchen wird. Wie darf man sich das vorstellen?

Es gibt schon heute das Phänomen, dass User in Netzwerken selbstorganisiert Produkte erschaffen, die völlig ohne Unternehmen auskommen. Ein amerikanischer Kollege vertritt die radikale These, dass wir vielleicht auf eine Zukunft zusteuern, wo Unternehmen im klassischen Sinn keine große Rolle mehr spielen werden. Ein Beispiel dafür: Wikipedia. Erst vor ein paar Wochen hat der Brockhaus endgültig aufgehört, Nachschlagewerke zu produzieren, weil er keine Chance mehr gegen die von Usern gespeiste Seite hat. Jüngst wurde eine Studie veröffentlicht, wo Innovationstätigkeiten durch User in bestimmten Volkswirtschaften untersucht wurde. Da waren Länder wie Großbritannien, Japan und die USA dabei.

Bei dieser repräsentativen Studie kam jeweils heraus, dass der Aufwand für Forschung und Entwicklung durch User in Summe größer war, als der Aufwand, den die Unternehmen in diesen Ländern betrieben haben. Und die Effizienz war nochmals größer. Doch in den offiziellen Innovations-Statistiken taucht dieser Umstand überhaupt nicht auf. Man hat offenbar noch nicht überall begriffen, dass Innovation mehr ist als das, was in F&E-Labors erschaffen wird. Sondern auch das, was netzwerkartig verteilt einfach überall passiert.

Interview: Theresa Aigner, science.ORF.at

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