Federn nicht fürs Fliegen erfunden
Schon Charles Darwin schrieb in seinem Standardwerk "The Origin of Species", dass es Organe gibt, die ursprünglich einem Zweck dienen, später aber für einen anderen verwendet werden. Einen Namen bekam die Idee allerdings erst 1982 von den Paläontologen Stephen Jay Gould und Elisabeth Vrba. Sie führten den Begriff "Exaptation" ein - was nicht zufällig so ähnlich klingt wie "Adaptation" (lat. für "Anpassung").
"Die Häufigkeit solcher Exaptationen war damals eigentlich sehr umstritten", sagt Andreas Wagner, der an der Universität Zürich eine evolutionsbiologische Forschungsgruppe leitet. Der Grund dafür liegt in der Annahme, dass "die meisten Merkmale, die wir an einem Organismus sehen, dafür entstanden sind, wofür sie auch heute noch eingesetzt werden." Das wurden lange als der Normalfall angesehen.
Die Studie
"A latent capacity for evolutionary innovation through exaptation in metabolic systems", Nature (14.7.2013; doi: 10.1038/nature12301).
Mit der Zeit fanden Wissenschaftler allerdings immer mehr Beispiele für Exaptationen. So wurde etwa klar, dass sich Tiere bereits mit Federn schmückten, bevor ihre besonderen Eigenschaften ihnen das Fliegen ermöglichten. In die Welt der Moleküle konnte Darwin im 19. Jahrhundert zwar noch nicht vordringen, seine Idee hat aber auch im Kleinen Relevanz. Die durchsichtigen Proteine in den Linsen unserer Augen sind etwa ursprünglich Enzyme, die in Stoffwechselprozesse involviert sind - eine Funktion, die sie in den meisten Organismen auch noch ausüben.
Stoffwechsel: Alternativen in petto
Wagner: "Das Problem, dem wir in unserer Studie begegnen, ist, dass man bisher keine systematische Vorstellung davon hatte, was eigentlich häufiger ist - Adaptionen oder Exaptationen." Die Forscher konnten nun anhand von Untersuchungen mittels Computersimulationen grundlegender Stoffwechselprozesse Hinweise darauf finden, dass Exaptationen sogar öfter vorkommen.
Das gilt zumindest Stoffwechselreaktionen. "Jeder Organismus kann einen Teil dieser Reaktionen ausführen, aber keiner kann alle ausführen", sagt Wagner. Er und sein Kollege Aditya Barve haben Computeranalysen bei Stoffwechselprozessen durchgeführt, die Glukose als einzige Energiequelle nutzen. Dabei zeigte sich, dass "sie sozusagen zufällig auf Basis mehrerer anderer Kohlenstoffquellen lebensfähig sind, ohne dass wir sie danach ausgesucht haben", so Wagner.
Auch ein sehr spezialisierter Organismus, der etwa lange in einer isolierten Umgebung von einer bestimmten Kohlenstoffquelle gelebt hat, könnte also in anderen Umwelten lebensfähig sein, mit denen er nie in Berührung kam, ohne sich lange daran gewöhnen zu müssen. Das lässt sich mit dem Konzept der Exaptation besser erklären, als mit dem der klassischen Anpassung. Ihre Ergebnisse wollen die Wissenschaftler nun in Laborexperimenten überprüfen.
science.ORF.at/APA
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