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IT-Center des CERN

"Daten, die wie Nomaden wandern"

Umweltschutz durch Informatik? Das ist wegen der fortschreitenden Digitalisierung eine der zentralen Herausforderungen bei der Entwicklung von Software, sagt die Informatikerin Ivona Brandic. Denn schon jetzt sei der CO2-Ausstoß, der durch das IT-basierte Leben verursacht wird, so groß wie jener der Luftfahrtindustrie.

Technologiegespräche Alpbach 29.07.2013

Um diesen Energieverbrauch zu minimieren, müssen Programme geschaffen werden, die Daten wie Nomaden umherwandern lassen. Ist es etwa in Helsinki gerade eisig kalt, sollen ganze Datenzentren virtuell dorthin migrieren, um Energie für Kühlung zu sparen. Wie das funktioniert, erklärt Brandic im Interview mit science.ORF.at.

TU-Informatikerin Ivona Brandic

Brandic, TU Wien

Zur Person:
Ivona Brandic ist Assistenzprofessorin an der Technischen Universität Wien (Distributed Systems Group, Information Systems Institute). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem auf "Service level agreement and quality of service management in large scale distributed systems, autonomic computing, workflow management for scientific applications and energy efficient large scale distributed systems (Cloud, Grid, Cluster, etc.)". Zuvor war Brandic Assistenzprofessorin an der Universität Wien (Department of Scientific Computing). 2011 erhielt sie den "Distinguished Young Scientist Award" der TU Wien für ihr Projekt zum Thema "Holistic Energy Efficient Hybrid Clouds".

Technologiegespräche Alpbach:

Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Die Zukunft der Innovation: Voraussetzungen - Erfahrungen - Werte".
Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Ivona Brandic wird am Arbeitskreis "Identität 2.0: der digitale Mensch" als Expertin teilnehmen.

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Ö1 Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in "Wissen aktuell am 29.7. um 13.55 Uhr.

science.ORF.at: Man hört immer wieder, die Digitalisierung verändere uns so stark wie die industrielle Revolution. Teilen Sie diese Ansicht?

Ivona Brandic: Das ist definitiv so. Der allgegenwärtige Zugriff auf Information verändert sehr viel: die Arbeitsprozesse, aber auch unser soziales Leben. Was ich daran interessant bzw. gefährlich finde, sind die Side-Effects, die damit einhergehen. Auch bei der Industriellen Revolution sind die erst viel später sichtbar geworden. Man war froh, dass Arbeitsschritte automatisiert werden konnten, hat sich aber kaum Gedanken gemacht, welche Auswirkungen das auf die Umwelt hat. Dazu kamen dann natürlich auch noch soziale und gesundheitliche Aspekte. Die Technologie ist immer weiter gewachsen, und plötzlich waren die Effekte da. Die Digitalisierung wird ebenfalls solche Side-Effects hervorbringen. Wir sind jetzt in einem Entwicklungsstadium, wo noch alle von den positiven Aspekten begeistert sind. Diese anderen Effekte werden wir aber erst in 20 bis 30 Jahren spüren.

Welche Effekte könnten das sein?

Brandic: Darüber kann man nur spekulieren. Im Bezug auf unser soziales Verhalten kann man schon jetzt feststellen, dass es die Stabilität im realen sozialen Netz, die man früher hatte, nicht mehr gibt. Wenn ich meinen Lebenslauf oder jenen von Kollegen anschaue: Man lebt auf zwei bis drei verschiedenen Kontinenten, es entwickeln sich ganz andere Strukturen, man hat zu unterschiedlichen Lebenszeitpunkten unterschiedliche Freundeskreise. Welchen Stellenwert reale Beziehungen in Zukunft haben werden und wie wir diese pflegen, ist eine wichtige Frage.

Man spricht von der digitalen Welt häufig als "Parallelwelt". Aber sind digitale und reale Welt nicht längst miteinander verschwommen?

Brandic: Man darf den Trade-off zwischen realer und digitaler Welt nicht vergessen. Meine Erscheinung im Internet, die durch Suchmaschinen und Soziale Netzwerke geprägt wird, ist eine Sache. Die andere ist, was ich im realen Leben mache. Die Gefahr ist, dass das, was in der digitalen Welt repräsentiert wird, nicht mit dem übereinstimmt, wie ich im realen Leben bin. Und die Frage ist, was diese falsche Abbildung einer Person im Laufe des Lebens für Konsequenzen hat. Also welche Wechselwirkung diese ständige Suggestion von falschen Angeboten und falschen Wünschen in meinem realen Leben erzeugt.

Kommunizieren Sie selbst über soziale Netzwerke?

Brandic: Ja, aber ich versuche das stark zu minimieren. Als publizierende Wissenschaftlerin sind diese Medien für mich insofern relevant, weil ich ja möchte, dass meine Forschungsergebnisse von vielen gesehen werden. Ich versuche damit, meine beruflichen Netzwerke zu pflegen und so weit wie möglich davon zu profitieren. Aber ich glaube, dass ich einen anderen Zugang habe als Leute, die einen ganz anderen Job machen.

Was bedeutet die Digitalisierung insgesamt für die wissenschaftliche Kommunikation?

Brandic: Das schafft eine eigene Dynamik, das ist für die Wissenschaftskultur ganz wichtig. Es eröffnet Wege, mit Menschen von überall auf der Welt zusammenzuarbeiten. Aber: Die persönliche Interaktion kann nie ersetzt werden. Ich habe den Eindruck, dass gerade durch die Digitalisierung persönliche Kommunikation und Diskussion in der Wissenschaft wieder stärker an Bedeutung gewonnen haben. Diese Überflutung mit Forschungsergebnissen, das ist schon ziemlich inflationär. Gute Vorträge und Keynotes - also von jemand, der viel Erfahrung hat, konzentriertes Wissen wiedergegeben zu bekommen - das ist wieder viel wichtiger geworden.

Stichwort "Open Acces" - da trägt das Internet in der Wissenschaft auch zu großen Veränderungen bei.

Brandic: Dadurch hat sich eine Öffnung der Publikationsprozesse ergeben, das etabliert sich in der Wissenschaft bereits. Eine Sache, die mich als Informatikerin beschäftigt, ist, wie man etwas, das nicht am Papier weiterentwickelt werden kann - zum Beispiel Codes und Algorithmen - wiederverwenden und teilen kann, da wird sich noch einiges tun. Und da ist die Informatik als wissenschaftliche Disziplin ja etwas anders gepolt: Alles, was wir entwickeln, ist Open Source. Und wir stellen es auch zur Verfügung.

Die Informatik wird in Sachen Offenheit tatsächlich immer als Vorreiter genannt. Wie lang wird es dauern, bis sich das auch in den anderen Disziplinen durchsetzt?

Brandic: Wir befinden uns inmitten eines laufenden Prozesses. Bei den anderen dauert es immer ein bisschen länger, bis die Infrastruktur da ist, bis die Prozesse und die Methodologien da sind. Ich habe lange in dem Bereich "Scientific Data" gearbeitet. Dabei geht es im Grunde darum, dass Forschungsergebnisse, die Wissenschaftler erzeugen, nicht irgendwo auf der Welt noch einmal gemacht werden, weil die anderen ja nicht wissen, dass es zu einem bestimmten Thema schon Ergebnisse gibt. Ich habe an großen Datenbanken gearbeitet, wo diese Ergebnisse gespeichert und von anderen Wissenschaftlern genutzt werden können. Da gibt es momentan viele Bestrebungen in den unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen.

Derzeit sind wir vielleicht technisch noch limitiert, weil es zum Beispiel in der Biologie oder Chemie sehr komplexe Daten sind. Da entstehen gerade völlig neue Datenbankformate, neue Standards und neue Arten des Zugriffs. Und wir arbeiten ständig daran, das leichter und besser zu gestalten. Aber es kommen mit der Zeit immer neue Probleme dazu. Zum Beispiel, dass wir riesige Datenmengen haben und diese Daten Unmengen an Energie verbrauchen.

Wenn wir über Energieverbrauch sprechen, dann ist die Industrie ein Thema, die privaten Haushalte sind ein Thema - das IT-basierte Leben wird in der öffentlichen Debatte aber wesentlich seltener in diesem Zusammenhang thematisiert.

Brandic: Das wird kein Randthema bleiben. Denn bereits jetzt ist ICT (Information and Communications Technology, Anm.) vom CO2-Ausstoß vergleichbar mit der Luftfahrtindustrie. Und das wird sich in Zukunft noch potenzieren. Die Geräte werden mehr, die Daten auch. Und nicht zu vergessen: Die Schwellenländer ziehen ja gerade erst nach. Die neuen Märkte, etwa in China oder Indien, werden das noch stark anwachsen lassen. Deshalb muss man Wege finden, den Energieverbrauch optimal zu gestalten, denn bisher waren diese Geräte und Prozesse nicht darauf ausgelegt. Es ist nur um Funktionalität gegangen.

Da entwickeln sich in der Informatik gerade komplett neue Forschungsrichtungen, um überhaupt erst einmal den Stromverbrauch messen zu können und nachzuweisen, wie viel CO2 ich mit meinem Datenzentrum produziere. Wenn wir etwa an große Softwaresysteme denken, die Banken verwenden, ist die Herausforderung: Wie kann die Software ausschauen, so dass die Kunden zwar bekommen, was sie wollen, trotzdem aber nur so wenig Energie verbraucht wird wie unbedingt nötig?

Und, wie macht man das?

Brandic: Das ist eine der großen Fragen in der Informatik: Wie können Systeme entwickelt werden, so dass sie genau die Energie beziehen, die gerade jetzt günstig ist? Und dabei ist "günstig" im Sinne von grüner, also erneuerbarer Energie zu sehen. In der Informatik ist es so, dass vieles nicht sofort erledigt werden muss. Es gibt die Möglichkeit, Datenzentren virtuell zu migrieren und die Energie an einem bestimmten Ort in dem Moment zu nutzen, in dem sie günstig ist. Das heißt: Wenn es in Helsinki gerade sehr kalt ist, transferiere ich ein ganzes Datenzentrum von Wien dorthin, weil ich mir dort Energie für die Kühlung sparen kann. Oder ich lasse meine Daten nach Spanien wandern, weil es dort gerade sehr heiß ist und Sonnenkollektoren große Mengen an erneuerbarer Energie erzeugen. Es eröffnen sich viele Möglichkeiten daraus, dass Daten physisch nicht auf einen Ort beschränkt sind und man diese Rechenkapazität-Kraftwerke dynamisch auf der Welt umherwandern lassen kann. Das bringt auch politische Fragen mit sich: Wie werden wir es rechtlich gestalten, wenn die Daten wie Nomaden umherwandern? Da haben wir in der Zukunft noch einiges zu lösen.

Das Gespräch führte Theresa Aigner, science.ORF.at

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