Standort: science.ORF.at / Meldung: ""Nicht jede Technologie bedeutet Fortschritt""

Maus mit Laptop

"Nicht jede Technologie bedeutet Fortschritt"

Das Internet hat die Arbeitswelt stark verändert. Es sind aber nicht Technologien alleine, die sich auf unser Leben auswirken, sondern die Art, wie wir sie einsetzen. Bewusste Gestaltung statt blinden Technikgehorsams - dafür plädiert die kanadische Ökonomin Diane-Gabrielle Tremblay.

Technologiegespräche Alpbach 05.08.2013

Warum sich arbeitende Menschen heutzutage häufig behandelt fühlen, als wären sie Maschinen, und was das Internet mit der Abwanderung von Jobs zu tun hat, erklärt Tremblay im Interview mit science.ORF.at.

science.ORF.at: Häufig ist die Rede davon, das Internet habe eine vierte Industrielle Revolution ausgelöst. Im Bezug auf Arbeitswelt und Beschäftigung - stimmen Sie dieser Sichtweise zu?

Zur Person:

Diane-Gabrielle Tremblay, TELUQ University, Montreal

Tremblay

Diane-Gabrielle Tremblay ist Professorin für Arbeitsökonomie und Human-Ressource-Management an der Télé-université an der University of Québec à Montréal in Kanada. Sie hat außerdem den Canada Research Chair on the socio-organizational challanges of the Knowledge Economy inne. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, Arbeitszeit, Selbstständigkeit, Telearbeit, Beschäftigungspolitik, Arbeitsorganisation und Teamwork.

Technologiegespräche Alpbach:

Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Die Zukunft der Innovation: Voraussetzungen - Erfahrungen - Werte".
Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Diane-Gabrielle Tremblay wird am Arbeitskreis "Industrie 4.0 - Auswirkungen auf die Arbeitswelt der Zukunft" teilnehmen.

Weitere Beiträge:

Links:

Diane-Gabrielle Tremblay: Ich persönlich sehe das eher als ein Kontinuum. Veränderungen passieren die ganze Zeit, manche sind signifikanter als andere. Was ich als wirklich wichtig erachte, ist es, die soziale Dimension solcher Umbrüche nicht zu vernachlässigen. Diese Veränderungen sind nicht etwas, das uns von externen Kräften auferlegt wird und dem wir blind folgen müssen. In vielen Sektoren wird der technische Fortschritt nicht sonderlich stark hinterfragt. Es herrscht diese vereinfachte Sichtweise vor, dass jede neue Technologie Fortschritt bedeutet. Ich bin gegen so einen technisch-deterministischen Zugang. Die Firmen müssen sich viel stärker dessen bewusst sein, dass das auch immer eine Frage des Managements ist: Es gibt immer Entscheidungsmöglichkeiten, und diese Entscheidungen werden von Menschen getroffen. Also ist auch der technische Fortschritt im Bezug auf die Arbeitswelt etwas, das die Gesellschaft selbst formen kann.

In welche Richtung gehen denn Ihrer Meinung nach diese Veränderungen derzeit und welche Entscheidungen sind es, die von den Firmen getroffen werden sollten?

Eine der größten Veränderungen ist der Umstand, dass es heute möglich ist, jederzeit und überall zu arbeiten. Also ist eine der größten Herausforderungen sicher zu stellen, dass auch genug Zeit für das Privatleben bleibt. In vielen Sektoren sind die Menschen heutzutage von Burn-Out betroffen. Nicht in erster Linie aufgrund der Veränderungen, sondern aufgrund dessen, wie die Dinge gemanagt werden. Viele Firmen verkleinern sich derzeit, sie bauen Personal ab. Dadurch ergibt sich eine Intensivierung der Arbeit, die Pensen, die Mitarbeiter erledigen müssen, überschreiten häufig das, was in einer Arbeitswoche möglich ist. Und so wandert die Arbeit häufig in die Freizeit, weil sie eben von überall erledigt werden kann. In Interviews, die ich in Firmen gemacht habe, stelle ich fest, dass gleichzeitig die Anerkennung für die geleistete Arbeit fehlt, obwohl das eines der größten Bedürfnisse der Arbeiter bzw. Angestellten ist. Sie haben häufig das Gefühl, wie Maschinen behandelt zu werden.

Das Internet bringt aber nicht nur Veränderungen in Bezug auf die individuelle Arbeitszeit, sondern auch für die Art der Beschäftigung und die Verteilung der Arbeit insgesamt. Welche Trends können Sie hier erkennen?

Die größte Veränderung hat bereits vor dem Internet begonnen, und das ist die Delokalisierung von Arbeitsplätzen. Am Anfang war es etwa die Textilindustrie, die nach Mexiko, China und in viele andere asiatische Länder verlagert wurde. Heute werden aber auch höher qualifizierte Jobs ausgelagert, beispielsweise im IT-Sektor, der immer stärker nach Indien wandert. Früher waren es also die einfachen Dinge, heute passiert das auf allen Ebenen. Das ist insbesondere ein Risiko für Nordamerika und Europa. Das Produktionsvolumen der industrialisierten Länder könnte sich dadurch massiv verkleinern.

Und innerhalb der industrialisierten Länder - welche Veränderungen ergeben sich hier?

Ich habe mich zum Beispiel intensiv mit Telework, also der Arbeit von Zuhause, beschäftigt, und es war eigentlich sehr überraschend, dass sich das weitaus nicht so stark durchgesetzt hat, wie wir Anfangs erwartet hatten. Nördliche europäische Länder und die USA haben es verstärkt genutzt. In den südlicheren europäischen Ländern hingegen hat sich das kaum durchgesetzt. Beispiel Frankreich: Dort wollen die Manager ihre Angestellten in der Firma haben. Man setzt kaum auf "management by results" sondern viel mehr auf "management by observing". Aber auch in jenen Ländern, die bisher stärker die Arbeit von Zuhause gefördert haben, gibt es einen Trend, die Leute zurück in die Firma zu holen. Die Chefin von Yahoo hat etwa kürzlich gesagt, sie wolle die Leute zurück ins Haus holen, damit der Teamgeist und die innovative, gemeinsame Entwicklung nicht verloren gehen.

Wohin wird sich das in Zukunft entwickeln?

Ich denke es braucht eine gute Mischung. Man muss sicher stellen, dass die Menschen zusammenkommen, um Ideen zu entwickeln und sich auch in einem sozialen Gefüge wiederzufinden. Gleichzeitig wissen wir, dass bei der Arbeit in Büros auch viel Zeit verloren geht. Es muss also die Möglichkeit geben, dass bestimmte Dinge zuhause erledigt werden können. Insbesondere für junge Menschen, die gerade erst in eine Firma einsteigen, ist es wichtig, vor Ort zu sein, um alle kennen zu lernen und sich einzuleben. Viele Unternehmen erlauben deshalb Telework erst, wenn jemand zwei Jahre in der Firma ist. Eine andere Sache, von der wir in den 70ern angenommen haben, dass sie sich stark verbreiten würde, ist das Modell von "flexitime", also die flexible, individuelle Gestaltung der Arbeitszeit. Auch das hat sich nicht wirklich durchgesetzt. Die Daten zeigen, dass heute kaum jemand in so einem Beschäftigungsverhältnis ist.

Welchen Zugang zu Arbeit hat die junge Generation heutzutage eigentlich? Wie wichtig ist die Karriere gegenüber einem erfüllten Privatleben?

In wirtschaftlich guten Zeiten, trauen sich die Menschen Wünsche, wie etwa mehr Zeit für die Familie, auszudrücken. Sind die Zeiten aber eher schwierig, geht der Trend dahin, dass sowohl jüngere wie auch ältere Menschen mehr Arbeitsstunden akzeptieren. Aber die Ansprüche der Jungen an einen Arbeitsplatz haben sich verändert. Früher war man zufrieden damit, einen Job zu haben, der einem gefällt. Heute ist auch die Arbeitsumgebung wichtig: Menschen wollen sich sicher fühlen, sie wollen ein kommunikatives Umfeld, sie wollen, dass sich die Bosse als Supervisoren verstehen, die offen für das sind, was in ihren Firmen passiert. Und wie schon erwähnt: Die Menschen wollen Anerkennung. Die aktuellen Beispiele von Unternehmen, die Personal abbauen und die Angestellten das am Tag davor aus den Zeitungen erfahren, laufen diesen Wünschen natürlich stark entgegen.

Diese unsicheren Verhältnisse sind doch allgegenwärtig: Wer heute einen Job bekommt, kann sich nicht sicher sein, diesen sein Leben lang zu behalten. Die wenigsten wissen, wo sie in fünf Jahren sein werden.

Definitiv. Wenn man sich die Daten ansieht, zeigen diese klar, dass es viele Menschen gibt, die Teilzeit arbeiten, die in zeitlich begrenzten Jobs sind oder überhaupt nur auf Werkvertragsbasis arbeiten. Insbesondere Frankreich ist sehr kreativ, wenn es darum geht, Namen für diese Jobs zu finden, die jungen Menschen helfen sollen, in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Diese Schemata werden vom Staat unterstützt. Eine solche Erschaffung von prekären Jobs führt meiner Meinung nach dazu, dass die Menschen diese Art der Beschäftigung als einen normalen Weg begreifen, in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Das ist es aber nicht. Denn das hört ja nicht nach einem Jahr auf, die Menschen wandern von einem Werkvertrag zum nächsten - über Jahre.

Es gibt auch den sogenannten "internen Arbeitsmarkt" in den Firmen nicht mehr. Es gibt nur mehr selten die Möglichkeit, die Karriereleiter hausintern hinauf zu klettern, sondern es werden wichtige Bereiche an externe Selbstständige auf der Basis von befristeten Verträgen vergeben. Und diese Selbstständigen gehen von einem prekären Beschäftigungsverhältnis zum nächsten. Das führt auch dazu, dass von den Menschen erwartet wird, sich individuell um Fortbildung zu kümmern. Das ist aber sehr schwierig, wenn man eigentlich nie weiß, was als nächstes kommt.

Diese Beschäftigungsverhältnisse sind also ein guter Boden für moderne Formen der Ausbeutung. Welche gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen kann das haben?

Die Jobstabilität ist derzeit eine sehr große Herausforderung. Und eine Sache, die dabei nicht vergessen werden darf, ist, dass das ganz klar gesellschaftliche Auswirkungen hat. Um das zu erkennen, braucht man nur nach Südeuropa zu schauen. Die Wirtschaftskrise hat etwa deutliche Auswirkungen auf die Geburtenraten, sie sinken. Und das wiederum wird längerfristig enorme makroökonomische Auswirkungen habe. Die Idee muss sein, die Beschäftigung zu stabilisieren. Da müssen kollektive Anstrengungen geleistet werden, die parallel in den einzelnen Ländern passieren. Unglücklicherweise sehen wir aber derzeit, dass viele Länder in eine andere Richtung gehen. Sie reduzieren die Sicherheitssysteme und die Angebote für die arbeitenden Menschen.

Interview: Theresa Aigner, science.ORF.at

Mehr zu dem Thema: