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Überwachungskamera an Hauswand

"Überwachung ist erwünscht"

Die meisten Menschen fühlen sich durch die vielen Kameras im öffentlichen Raum nicht beobachtet, sondern wollen gerne überwacht werden - etwa in Bahnhöfen und auf Flughäfen. Das sagt Karin Wey, die für ein ziviles Sicherheitsforschungsprogramm der deutschen Bundesregierung zuständig ist.

Technologiegespräche Alpbach 07.08.2013

Im science.ORF.at-Interview erklärt sie, wie "Sicherheit" überhaupt gemessen werden kann. Außerdem: Sicherheit sei etwas, das meist viel Geld kostet, aber selten Gewinn bringt. Es brauche aber dennoch einen Markt, um Ergebnisse aus dem Bereich der zivilen Sicherheitsforschung praktisch umzusetzen, so die deutsche Verfahrenstechnikerin.

Karin Wey, VDI

Wey

Zur Person:
Karin Wey ist Verfahrenstechnikerin und seit 22 Jahren am Technologiezentrum des Verbands der deutschen Ingenieure in Düsseldorf tätig. Seit 2007 ist sie bei diesem Projektträger für das Programm "Forschung für die zivile Sicherheit" der deutschen Bundesregierung zuständig. Zuvor hat Wey am VDI-Technologiezentrum im Bereich Oberflächenschichttechnologie und Nanotechnologie gearbeitet.

Technologiegespräche Alpbach:

Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Die Zukunft der Innovation: Voraussetzungen - Erfahrungen - Werte".
Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Diane-Gabrielle Tremblay wird am Arbeitskreis "Industrie 4.0 - Auswirkungen auf die Arbeitswelt der Zukunft" teilnehmen.

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Ö1 Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 7.8., 13:55 Uhr.

science.ORF.at: Ich habe bei meiner Recherche nichts über Sie gefunden, keinen Lebenslauf, kein Foto. Ist das eine Sicherheitsmaßnahme oder reiner Zufall?

Karin Wey: Lebensläufe stellen wir aus Datenschutzgründen nicht ins Internet. Aus dem gleichen Grund sind wir auch davon abgekommen, Bilder unserer Mitarbeiter im Internet zu veröffentlichen. Dies ist nicht nur bei uns in der Sicherheitsforschung gängige Praxis, sondern auch bei anderen Projektträgern, etwa im Bereich der optischen Technologien und der Nanotechnologie.

Sie beschäftigen sich mit der Förderung von Sicherheitsforschung. Welche Art der Sicherheit steht da im Zentrum?

Das Programm "Forschung für die zivile Sicherheit", wie es korrekt heißt, beschäftigt sich ausschließlich mit ziviler Sicherheitsforschung. Es ist vergleichsweise breit aufgestellt und adressiert verschiedene Themen. Schwerpunkte sind der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Risiken einer sich wandelnden, globalisierten Welt, der Schutz kritischer Infrastrukturen und die Sicherheit der Wirtschaft. Aber auch die Erforschung von Schutzmaßnahmen in Zusammenhang mit Naturkatastrophen und Rettungseinsätzen sind beispielsweise ein Thema.

Der aktuelle Datenskandal hat ja die Frage, was alles im Dienste der Sicherheit gemacht werden darf, wieder einmal aufgeworfen. Inwieweit sind solche Überlegungen bei Ihnen Thema?

Ich möchte vorausschicken, dass IT-Sicherheit im deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung ein eigener Bereich ist, der nicht im Programm "Forschung für die zivile Sicherheit" angesprochen wird. Wohl aber der Schutz von kritischen Infrastrukturen, zu denen auch die Kommunikationsinfrastruktur gehört. Um Ihre Frage zu beantworten: Wir haben einen zusätzlichen Schwerpunkt, der nicht nur technisch motiviert ist. Wir forcieren ganz bewusst den Bereich der Begleitforschung. Weil technische Aspekte der Sicherheitstechnik alleinstehend nicht zielführend wären. Da geht es genauso um die Sicherstellung der freiheitlichen Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger wie auch um Datenschutz oder soziologische, psychologische und auch ethische Aspekte, die durch diese Begleitforschung in die Projekte integriert werden.

Fühlen sich Menschen überhaupt sicherer, wenn es mehr offensichtliche Sicherheitsmaßnahmen wie etwa Kameras gibt? Oder fördert nicht gerade das ein Unsicherheitsgefühl?

Dazu gibt es Untersuchungen, einige wurden auch im Rahmen unserer Projekte durchgeführt. Dabei hat man festgestellt, dass sich die Bürger durch Überwachung im öffentlichen Raum - im Gegensatz zu dem, was uns die Presse immer vermitteln möchte - nicht gestört, behindert, diskriminiert oder ähnliches fühlen. Im Gegenteil, sie finden es gut, wenn am Bahnhof Überwachungskameras hängen. Denn es hat ja in Deutschland einige Fälle gegeben, wo Personen schwer misshandelt wurden, es gab auch Todesfälle durch Prügeleien. Auf Bahnhöfen, Flughäfen oder auch in Schalterhallen von Banken, stört die Menschen Überwachung nicht. Ganz anders schaut das in abgeschlosseneren Bereichen aus. Niemand möchte in einem Cafè oder einer Hotel-Lobby überwacht werden.

Wie kann man denn überhaupt Sicherheit messen und feststellen, wann sich Menschen sicher fühlen?

Man muss sich fragen, wovor die Menschen Angst haben. Nachdem wir einen demografischen Wandel haben, ist zum Beispiel eine wichtige Frage, wie sich eine alternde Gesellschaft auf die Sicherheit auswirkt. Und Studien haben ergeben, dass ältere Menschen nicht an erster Stelle Angst haben überfallen zu werden, sondern viel mehr davor, in eine soziale Schieflage zu geraten. Im Alter arm zu sein, sich die Wohnung nicht mehr leisten zu können. Das steht an erster Stelle. Und es ist auch herausgekommen, dass ältere Menschen mehr Angst haben im Dunkeln hinauszugehen als junge Menschen. Obwohl die Statistik besagt, dass jüngere Menschen mehr gefährdet sind als ältere. Das hat auch mit dem Einfluss der Medien zu tun: Es wird unter Umständen etwas hochgepusht, das rein statistisch gesehen gar nicht so relevant ist.

Die Umsetzung der Forschungsergebnisse, die auch mithilfe der Förderung durch Ihr Programm zustande kommen, ist dennoch auch auf politische Rahmenbedingungen angewiesen. Wie funktioniert dieses Zusammenspiel?

Es ist durchaus keine Seltenheit, dass am Ende eines Projekts auch eine konkrete Handlungsempfehlung für die Akteure steht. Aber beispielsweise bei den Einsatzkräften handelt es sich um Einrichtungen, die dem Bund oder der Stadt gehören. Wenn die etwas anschaffen wollen, muss das öffentlich ausgeschrieben werden. Und die öffentlichen Stellen neigen dazu, dann nicht das Beste und Neueste, das in der Forschung entwickelt wurde, zu nehmen, sondern einfach das Billigste. Das ist eine Diskrepanz, mit der man sich jetzt beschäftigen will. Auch die EU ist dahinter, dass diese vielen guten Forschungsergebnisse tatsächlich auch den Weg in die praktische Anwendung finden.

Im Beschreibungstext des Arbeitskreises, an dem Sie in Alpbach teilnehmen werden, wird das "Nicht-Funktionieren eines Marktes für Sicherheitsforschung auf EU-Ebene" kritisiert. Sehen Sie dieses Problem ebenfalls?

Auf europäischer Ebene spielt sich vieles anders ab. An den Projekten müssen zwangsläufig verschiedene Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten. Das sind die Rahmenbedingungen der EU. Und das Problem ist, dass das, was am Ende steht, nicht immer in allen Mitgliedsstaaten tragfähig ist. Weil die politischen Rahmenbedingungen nicht übereinander gehen. Deswegen ist es leider oft so, dass viele Projektergebnisse in der Schublade verschwinden, weil vieles nicht harmonisiert ist. Ich denke, das ist ein Problem, das die EU wirklich angehen sollte.

Sollten Belange der Sicherheit überhaupt in den Einflussbereich irgendwelcher Märkte gestellt werden?

Grundsätzlich ist ja Sicherheit etwas, das häufig Geld kostet, aber nicht unbedingt einen Gewinn bringt. Das sind Dinge, die einfach notwendig sind. Andererseits: Wenn die Industrie an bestimmten Projekten mitarbeitet, will sie natürlich für die Ergebnisse auch einen Markt haben. So gesehen ist es eine Gratwanderung. Auf der einen Seite die Öffentliche Hand als Auftraggeber und Konsument, auf der anderen Seite die Industrie, die solche Dinge beforscht und herstellt und tatsächlich auch einen Markt braucht. Die Alternative wäre, dass man Unternehmen, die solche Technik herstellen und keinen Markt haben, mit Steuergeld unterstützen müsste. Das kann sicher auch nicht der richtige Weg sein.

Aber besteht nicht gerade durch die kommerzielle Verwertung solcher Technologien die Gefahr, dass ethische Gesichtspunkte in den Hintergrund rücken oder ganz wegfallen?

In Deutschland gibt es ziemlich feste Vorgaben. Beispielsweise dürfen die Bürger nicht beliebig überwacht werden. Ich musste im Laufe der Zeit lernen, dass der Bahnhof, den ich immer für einen öffentlichen Bereich gehalten habe, bestenfalls halböffentlich ist, weil er der Deutschen Bahn gehört, also einem Privatunternehmen. Dasselbe gilt für den Flughafen. Da müssen Genehmigungen eingeholt werden, um diesen Bereich überwachen zu dürfen. Das geht also nicht beliebig. Man kann aber nie hundertprozentig ausschließen, dass vielleicht auch irgendetwas missbräuchlich gemacht wird.

Welches Sicherheitsfeld hat bei Ihrem Programm höchste Priorität, und nach welchen Kriterien werden die Gelder verteilt?

Wir befinden uns in einem Rahmenprogramm, das zwar gewisse Themen adressiert, aber bewusst so organisiert ist, dass es auch Raum bietet um aktuelle Vorgänge aufzugreifen, mit denen man bisher nicht gerechnet hätte. Es werden im Jahr drei bis vier Bekanntmachungen zu bestimmten Themen von uns ausgeschrieben. Die Antragssteller reichen Ihre Vorschläge in Form von Projektskizzen ein. Das wird von uns, aber auch von externen Gutachtern bewertet. Nach einem Austausch mit den anderen Ministerien entscheidet dann das Forschungsministerium.

Im Augenblick haben wir eine Bekanntmachung zum Thema "Schutz und Rettung bei komplexen Einsatzlagen", wo die Rettungskräfte gefordert waren. Das ist vom Eingang der Projektskizzen unsere Größte, wir haben 103 Vorschläge bekommen. Auch finanziell ist die Schutz- und Rettungsthematik diejenige, die in der Vergangenheit die meisten Mittel bei uns gebunden hat. Insgesamt stehen im Jahr 56 Millionen für die Projektförderung zur Verfügung.

Welche wissenschaftlichen Disziplinen stellen die meisten Anträge? Gibt es erkennbare Trends?

Eigentlich nicht, es ist wirklich breit gefächert. Wir haben ja auch einen guten Anteil an Industrie in unserer Förderung. Über 43 Prozent unserer Partner, die sich an den Projekten beteiligten, sind Industrieunternehmen, davon mehr als 60 Prozent kleine und mittlere Unternehmen. Das stellt sicher, dass technische Lösungen gefunden werden. Aber ob das Maschinenbauer, Physiker, Chemiker oder andere sind, ist schwer zu sagen. Was wir aber schon feststellen, ist, dass der Anteil der geistes- und sozialwissenschaftlichen Partner in den letzten Jahren angestiegen ist. Ganz einfach deswegen, weil für diese Disziplinen mit unseren Projekten eine Tür geöffnet wurde. In diesen Disziplinen existieren wenige Fördermöglichkeiten, sodass unser Programm sehr gerne genutzt wird.

Interview: Theresa Aigner, science.ORF.at

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