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gläserner Kopf

Was den Menschen antreibt

Ohne Motivation wäre der Mensch nicht lebensfähig. Philosophen und Psychologen versuchen schon lange zu verstehen, woher er diese eigentlich nimmt. Erst in der jüngeren Vergangenheit suchen auch Neurowissenschaftler nach Erklärungen, wie die Hirnforscherin Birgit Derntl in einem Gastbeitrag ausführt.

E-Forum Alpbach 12.08.2013

Warum tun wir, was wir tun?

Von Birgit Derntl

Porträt Birgit Derntl

Birgit Derntl

Birgit Derntl ist Klinische Psychologin und seit Oktober 2011 Juniorprofessorin für Translationale Hirnforschung in Psychiatrie und Neurologie (JARA BRAIN), Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Uniklinik RWTH Aachen, Deutschland. An der Universität Wien führt sie ein FWF gefördertes Projekt zum Thema "Der Einfluss des Geschlechts auf die verhaltensmäßigen und neuronalen Korrelate der Stressreaktion" durch. An der Uniklinik in Aachen widmet sie sich vor allem der Untersuchung der neuronalen Grundlagen von emotionalen Kompetenzen und der Stressreaktion bei Frauen und Männern als auch deren Dysfunktionen bei Patienten mit psychischen Störungen wie z.B. Schizophrenie oder Depression.

Seminare beim Forum Alpbach:

Derntl leitet beim Europäischen Forum Alpbach 2013 gemeinsam mit Christian Windischberger das Seminar "Motivation – Biologische und soziale Ursprünge" (13.-18.8.2013). science.ORF.at stellt dieses und weitere Seminare in Form von Gastbeiträgen vor.

Weitere Alpbach-Gastbeiträge:

Ö1-Hinweise:

Eine Reihe von Sendungen begleitet das Europäische Forum Alpbach 2013 in Ö1. Die Technologiegespräche stehen im Mittelpunkt von Beiträgen in den Journalen, in Wissen aktuell, in den Dimensionen und bei der Kinderuni.

Mitglieder des Ö1-Clubs erhalten beim Europäischen Forum Alpbach eine Ermäßigung von zehn Prozent.

Was treibt uns dazu, jeden Tag aufzustehen? Was verleiht uns die Energie, täglich in die Arbeit, zur Schule oder zu einem Seminar zu gehen? Wieso wollen wir Teil einer Gruppe sein? Warum tun wir, was wir tun?

Diese Frage beschäftigt die Menschheit schon seit Anbeginn. Vor allem Psychologen und Philosophen haben sich mit dem menschlichen Phänomen der Motivation ausführlich beschäftigt und unzählige Theorien aufgestellt. Überschaubarer ist dazu der Beitrag der Neurowissenschaften, die seit wenigen Jahrzehnten versuchen, das motivierte Gehirn zu verstehen.

Allgemeine Bedürfnisse des Menschen?

Spätestens seit der Bedürfnispyramide von Abraham Maslow, die sicherlich eine der bekanntesten Inhaltstheorien der Motivationsforschung darstellt, ist davon auszugehen, dass es gewisse Bedürfnisse eines jeden Menschen gibt, die befriedigt werden müssen, zum Beispiel Hunger oder Sicherheit. Daniel McClelland hat schließlich Anfang der 1960er seine Theorie der drei Grundbedürfnisse eines jeden Menschen aufgestellt - das Bedürfnis nach Erfolg, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und das Bedürfnis nach Macht.

Obwohl diese Bedürfnisse laut Theorie bei allen Menschen grundsätzlich vorhanden sind, so gibt es doch Unterschiede, vor allem in der Bedürfnisbefriedigung und in der intraindividuellen Wertigkeit dieser Bedürfnisse - sowohl zwischen den Geschlechtern als auch zwischen den Kulturen. Die Frage, ob sich diese Unterschiede auch im Gehirn nachweisen lassen, rückt immer stärker in den Fokus der Neurowissenschaften, vor allem bezüglich der Art und Weise wie bedürfnisrelevante Aufgaben gelöst werden, z.B. Unterdrückung anderer als Befriedigung des Machtbedürfnisses.

Motivation und Neurowissenschaft

Um einen Schritt über die Bedürfnisse hinauszugehen, können wir die folgenden Fragen formulieren. Was passiert in unserem Körper, wenn mehr von uns gefordert wird oder wir mehr wollen? Was passiert wenn die Grenzen unserer Bedürfnisse - so sie existieren und auch spürbar sind - überschritten werden? Wie schnell bin ich und wie viel bin ich bereit zu leisten - und für welchen (sozialen oder monetären) Preis bzw. welche Belohnung? Experimentell können wir uns den Bedürfnissen nur annähern. Sie tatsächlich zu erheben, oder das Gehirn dabei zu messen ist nicht machbar.

Um einen Einblick zu bekommen, was Menschen antreibt, gehen die Neurowissenschaften einen indirekten Weg. Dabei wird beispielsweise die Verarbeitung von belohnenden oder bestrafenden Reizen untersucht. Die diesen Prozessen zugrundeliegenden neuronalen Systeme eignen sich gut, um aufzuzeigen, was Menschen motiviert Dinge zu tun, um positive Konsequenzen herbeizuführen, oder Dinge zu unterlassen, um negative Konsequenzen zu vermeiden.

Sozialer und monetärer Lohn

In den empirischen Neurowissenschaften wurde bisher die Reaktion unseres Gehirns auf Belohnungsreize - sowohl sozial als auch monetär - im Sinne der extrinsischen Motivation am ausführlichsten untersucht. Egal ob wir mit monetären oder sozialen Reizen wie etwa einem Lächeln belohnt werden, es werden immer wieder ähnliche Region im Gehirn aktiv, das sogenannte Belohnungssystem. Bislang wenig Beachtung bekam die Untersuchung der intrinsischen Motivation, also genau jener Bedürfnisse, die uns von allein dazu antreiben, etwas zu tun, weil wir zum Beispiel Interesse oder Freude daran haben.

Schnelligkeit und Leistungsbereitschaft sind wichtige Aspekte in der heutigen Zeit. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Stress häufig zur Statusbeschreibung herangezogen, um zu verdeutlichen, dass man hart arbeitet und in Arbeit wie in Freizeit an seine Grenzen geht. Sobald die Grenzen unserer körperlichen und geistigen Kräfte erreicht sind, entsteht eine Anpassungsreaktion - eine wichtige Fähigkeit, die Hans Selye, der Pionier der Stressforschung, der Stressreaktion zuschrieb.

Tagtäglich müssen wir uns an neue Gegebenheiten anpassen. Stress kann somit auch als vermittelnde Rolle zwischen Motivation und Verhalten gesehen werden. Die Stressreaktion treibt uns an und kann zu Verhaltenskonsequenzen führen, von denen wir uns positive Auswirkungen oder die Vermeidung negativer Auswirkungen versprechen. Die Untersuchung der Stressreaktion macht in Zusammenhang mit gewissen Grundbedürfnissen durchaus Sinn.

Stress: Geschlechtsspezifisch unterschiedlich?

Die Verwirklichung als auch die persönliche Wertigkeit von Bedürfnissen schlagen sich auch in der Stressreaktion und hier speziell in der Geschlechterforschung nieder: Einer Theorie von Shelley Taylor zufolge bauen Frauen und Männer in Stresssituationen auf andere Bewältigungsstrategien: Während Männer dazu tendieren, eine Kampf- oder Fluchthaltung einzunehmen, versuchen Frauen zu harmonisieren.

Basierend auf gängigen Geschlechterstereotypen kann nun auch weiter angenommen werden, dass sich Männer eher durch Misserfolg, Frauen eher durch sozialen Ausschluss gestresst fühlen. Diese Annahme wird aktuell in mehreren neurowissenschaftlichen Studien untersucht, um die subjektive, hormonelle und neuronale Stressreaktion von Frauen und Männern besser charakterisieren zu können.

Warum machen wir das?

Die Bedeutung der Neurowissenschaften in der Untersuchung von Motivation spielt eine besondere Rolle bei der Erklärung psychischer Störungen: Zum Verständnis, was manche Menschen dazu treibt, sozial geächtetes Verhalten zu zeigen oder sich vollkommen aus dem sozialen Leben zurückzuziehen und zu isolieren, ist es unumgänglich, die Funktionen des gesunden Gehirns zu kennen, um Dysfunktionen nachvollziehen zu können.

Außerdem hat ein Übermaß an Stress bzw. das Scheitern bei der Stressbewältigung weitreichende gesundheitliche Folgen, die individuell, in der wirtschaftlichen Leistung und im Gesundheitssystem spürbar sind. Hier kann die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Besonderheiten in der Stressreaktion wesentlich zu einem besseren Verständnis von Unterschieden in der Auftretenshäufigkeit von stressbezogenen Erkrankungen, wie Depression bei Frauen oder kardiovaskulären Erkrankungen bei Männern beitragen.

Um zurückzukommen auf die eingangs gestellte Frage, lässt sich festhalten, dass die Erkenntnisse der Neurowissenschaften wohl einiges zu unserem Verständnis der Grundlagen menschlichen Verhaltens beitragen, vor allem auch bezüglich der Auffälligkeiten bei Patienten mit psychischen Störungen, aber auch hinsichtlich potenzieller Geschlechterunterschiede. Trotzdem sind wir noch weit davon entfernt, vollständig erklären zu können, warum wir tun, was wir tun.

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