Der Teilnehmer der aktuellen Technologiegespräche in Alpbach erklärt im science.ORF.at-Interview, warum sich der Tiroler Bergort besonders gut eignet, um über derlei Dinge nachzudenken.
Waren Sie schon bei Erwin Schrödinger, der nur ein paar Meter entfernt vom Kongresszentrum hier in Alpbach begraben ist?
James Kakalios: Ja, bereits als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal hierhergekommen bin, musste ich mich vergewissern, ob er wirklich mit seiner Frau da liegt (lacht). Ich habe das Grab fotografiert und verwende es in meinen Vorträgen, wenn ich über Schrödingers Katze spreche. Offenbar gibt es tatsächlich eine Parallelwelt, in der Katzen die Wissenschaftler sind, die Physiker in eine Kiste stecken, und dann schauen, ob die Physiker tot sind. Und jetzt wissen wir auch, was dabei herauskommt (lacht).

ORF/Milenko Badzic
James Kakalios ist Professor für Physik an der University of Minnesota in Minneapolis.
Links zu dem Interview:
- James Kakalios: The Amazing Story of Quantum Mechanics
- Pulp-Magazin: Amazing Stories
- Erwin Schrödinger, Wikipedia
- Richard P. Feynman: Quantum Mechanics
Technologiegespräche in Alpbach:
Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1 -Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Die Zukunft der Innovation: Voraussetzungen - Erfahrungen - Werte".
Bereits vorab hat science.ORF.at einige der bei den Technologiegesprächen anwesenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern interviewt:
- Astrid Björnsen Gurung: Wie der Klimawandel die Alpen verändert
- Andreas Knie: "In 20 Jahren gibt es keine Privatautos mehr"
- Karin Wey: "Überwachung ist erwünscht"
- Diane-Gabrielle Tremblay: "Nicht jede Technik bedeutet Fortschritt"
- Ivona Brandic: "Daten, die wie Nomaden wandern"
- Nikolaus Franke: Eine Zukunft ohne Unternehmen?
- Martin Faulstich: "Bis 2050 den Verkehr elektrifizieren"
- Birgit Murr: "Es soll ja keine Entwicklungshilfe sein"
- Ian Brown: "Prism hat mich nicht überrascht"
- Thomas Heimer: "Es geht um die Bedürfnisse der Bürger"
Links:
- Technologiegespräche Alpbach 2013
- Europäisches Forum Alpbach
- Technologiegespräche Alpbach 2012 in science.ORF.at
Ö1-Hinweise:
Eine Reihe von Sendungen begleitet das Europäische Forum Alpbach 2013 in Ö1. Die Technologiegespräche stehen im Mittelpunkt von Beiträgen in den Journalen, in Wissen aktuell, in den Dimensionen und bei der Kinderuni.
Ist Alpbach für Sie also ein ganz spezieller Ort, um über Quantenmechanik zu sprechen?
Absolut, ja. Anfang 1926 hat Schrödinger seine berühmte Gleichung veröffentlicht, die zur Grundlage der modernen Quantenmechanik wurde. Interessanterweise ist im April des gleichen Jahres das allererste Pulp-Magazin in den USA erschienen - die "Amazing Stories" von Hugo Gernsback, ausschließlich mit Science-Fiction-Geschichten, darunter solche mit Flash Gordon und Buck Rogers. Es haben da also innerhalb weniger Monate zwei verschiedene Visionen der Zukunft begonnen. Die eine, die zu Laserstrahlen führen sollte, die andere zu Todesstrahlen.
Ein Zufall?
Komplett. Aber ein lustiger, weil die Science-Fiction-Geschichten der "Amazing Stories" dachten, dass unsere Zukunft voll wäre von Raketenrucksäcken und fliegenden Autos. Stattdessen haben wir nun aber Handys und Laptops. Die SF-Autoren dachten, dass es zu einer Revolution bei der Energiefrage kommen würde, dass wir superstarke, tragbare Energiequellen haben würden, die man ja auch bräuchte, um ein Auto zum Fliegen zu bringen. Die tatsächliche Revolution hat sich aber bei der Information abgespielt. Und die beruht auf Halbleitern und Fortschritten in der Festkörperphysik, die der Quantenmechanik zu verdanken sind.
Welche der beiden Schriften hat die Welt nachhaltiger verändert: die von Schrödinger oder die von Gernsbeck?
Zweifellos jene von Schrödinger. Ohne Quantenmechanik gäbe es keine Transistoren. Es würde zwar Computer geben, aber die würden noch immer mit Elektronenröhren arbeiten. Elektronenröhren sind sehr unhandlich, sie erzeugen viel Wärme. Computer, die viele Rechenoperationen durchführen, würden auf dieser Basis riesige Räume beanspruchen. Dank der Quantenmechanik haben wir aber Transistoren, integrierte Schaltkreise und Mikrocomputer. Rechner, die früher ganze Räume ausgefüllt haben, können wir uns heute auf den Schoß setzen. Mit den Riesencomputern von früher würde es auch kein World Wide Web geben, weil sie nur eine geringe Anzahl von Staaten oder Unternehmen besitzen und so nicht vernetzt werden würden. In Sachen Vorliebe für Raketenrucksäcke komme ich gleich hinter der Comicfigur NoMan. Aber wenn ich vor die Wahl gestellt würde, "Raketenrucksäcke oder Internet", würde ich mich für letzteres entscheiden.
Ganz sicher?
Ja, weil wenn ich Informationen will, geht es via Web auf jeden Fall schneller, als wenn ich dort mit meinem Raketenrucksack hinfliegen würde - egal wie cool das sein mag. (lacht)
OK, Schrödinger ist also wichtiger gewesen als Gernsback. Dennoch haben sich Wissenschaft und Science Fiction oft gegenseitig inspiriert …
Das stimmt. Wirklich gute Wissenschaft und wirklich gute Science Fiction arbeiten mit dem gleichen Prinzip des "Was wäre wenn?", "Was wäre, wenn dies oder jenes geschieht?". Die Quantenmechanik hat sich aufgrund von Überraschungen entwickelt. Es hat empirische Beobachtungen gegeben, die sich nicht mit der Theoretischen Physik der damaligen Zeit erklären ließen. Daraus wurde geschlossen, dass es einer neuen Physik bedarf, eines neuen Verständnisses von Atomen und ihrer Wechselwirkung mit dem Licht. Wenn man von Ergebnissen im Labor überrascht wird, bedeutet das, dass die Erwartungen falsch gewesen sind. Dann muss man sich fragen, was geändert gehört und wo sich die Physik von alten Überzeugungen verabschieden muss. Gute Science Fiction arbeitet genauso: Was können wir an der Natur oder der Welt um uns verändern, und danach eine interessante Geschichte erzählen? In gewisser Weise beansprucht das die gleichen mentalen Muskeln. Insofern finde ich es auch nicht überraschend, dass viele Wissenschaftler große Fans sind von SF-Literatur und umgekehrt viele SF-Autoren von Wissenschaft.
Der Physiker Richard Feynman hat einmal geschrieben: "Ich denke, ich kann mit Sicherheit sagen, dass niemand Quantenmechanik versteht." Verstehen Sie sie?
Sicher nicht besser als Richard Feynman (lacht). Aber es war ja schon bei Schrödinger so, dass er seine berühmte Gleichung anfangs nicht richtig interpretiert hat. Erst Max Born hat dann ein Jahr später die korrekte Interpretation geliefert, wie wir heute wissen. Und so verläuft die Geschichte der Quantenmechanik bis heute: Wir kennen die richtigen Gleichungen, können mit ihnen in verschiedenen Situationen rechnen, können sie auch interpretieren hinsichtlich unserer Resultate im Labor, und dennoch: Was das alles bedeutet, darüber streiten sich die Physiker seit 1926. Ich halte das für eines der faszinierendsten Dinge an der Quantenmechanik: Man kann sie produktiv und korrekt nutzen und dennoch noch immer von ihr verwirrt sein.
In gewisser Weise haben Sie die Quantenmechanik sicher verstanden, sonst hätten Sie nicht Ihr sehr erfolgreiches Buch "The Amazing Story of Quantum Mechanics" schreiben können, das allerdings noch nicht auf Deutsch erschienen ist …
… was sich nach diesem Interview mit Sicherheit ändern wird …
… davon bin ich überzeugt. Jedenfalls bemühen Sie sich sehr darum, das Thema auch einer breiteren Öffentlichkeit verständlich zu machen, nicht zuletzt mit Hilfe von populären Beispielen aus Comics. Wie schwierig ist das?
Nun ja, auf der einen Seite streiten die Physiker selbst noch um die korrekte Interpretation der Quantenmechanik. Auf der anderen Seite kann man einige ihrer Prinzipien anhand von Beispielen recht gut erklären: etwa wie ein Transistor, Laser oder Magnetresonanztomograf funktioniert. Die Grundprinzipien lassen sich vermitteln, auch wenn man kein Meister der Matrizenmechanik ist. Warum es wichtig ist, das für eine breitere Öffentlichkeit zu tun? Ich denke, dass kaum einer der Leser meines Buchs Wissenschaftler oder Ingenieur wird. Aber sie sind alle Staatsbürger und als solche wahlberechtigt. Deshalb sollten sie informiert sein über wissenschaftliche Belange wie Nanotechnologie, alternative Energieformen oder Klimawandel. Je mehr wir über grundlegende Dinge Bescheid wissen und uns eine eigene Meinung bilden können - und nicht den Leuten im Fernsehen folgen, die am lautesten schreien -, desto besser werden unsere Entscheidungen sein. Aber wie uns schon die Comicfigur Spiderman gelehrt hat: Mit größerer Macht kommt auch größere Verantwortung. Unsere Entscheidungen sollten also wohlinformiert und umsichtig sein.
Sie haben schon einige Anwendungen der Gegenwart erwähnt, die ohne Quantenmechanik nicht möglich gewesen wären, wie der Laser. Zeitgenössische Physiker nennen bei der Frage nach der Anwendbarkeit oft den Quantencomputer. Wie wahrscheinlich ist es, dass der einmal besser rechnet als herkömmliche PCs?
Bei Quantencomputern gehöre ich zu den Agnostikern. Ich bin nicht 100 Prozent sicher, dass sie die Versprechen erfüllen werden. Es gibt aber viele andere, heute schon existierende Dinge, die verbessert werden könnten. Ein Beispiel: Ähnlich wie Solarzellen Sonnenenergie in Elektrizität umwandeln, machen das auch thermoelektrische Geräte; wobei sie Temperaturunterschiede in Elektrizität verwandeln. Nun: Unter der Kühlerhaube eines Autos ist es sehr warm, und diese Wärme wird nicht genutzt, sondern einfach an die Umwelt abgegeben. Was aber, wenn man diese Wärme in Energie verwandeln und etwa die Batterien eines Hybridfahrzeugs wiederaufladen könnte? Die Autos der Zukunft werden also vielleicht nicht fliegen, aber eine viel größere Reichweite haben, und das aufgrund der Quantenmechanik.
Haben Sie noch ein weiteres Beispiel für Anwendungen?
Ja, die Spintronik. Die Quantenmechanik sagt, dass jedes Elektron einen Spin hat, also über ein bestimmtes magnetisches Moment verfügt. Bis heute haben alle Elektrogeräte nur die elektrische Ladung genutzt. Was aber, wenn wir auch das Magnetfeld nutzen könnten und neben einem elektrischen Strom auch einen magnetischen Strom haben? Das Ziel wäre, beide gemeinsam zu nutzen, und zwar auf einem einzigen Chip, der Daten sowohl verarbeitet als auch speichert. So klein Computer heutzutage schon sind, könnten sie auf diese Weise noch viel mehr schrumpfen.
Das ist Wissenschaft und nicht Science Fiction?
Ja, daran wird in der Grundlagenforschung gearbeitet. Noch gibt es große physikalische, chemische und materialwissenschaftliche Hürden, die überwunden werden müssen. Aber vom Prinzip her spricht nichts dagegen, dass das funktioniert.
Sie waren auch wissenschaftlicher Berater für die Comic-Verfilmung der "Watchmen" - hat es da Bezüge zur Quantenmechanik gegeben?
Ja, in dem Film kommt ein Wissenschaftler vor - Jon Osterman - der nach einem misslungenen Experiment all seine Atome verloren hat. Durch reine Willensanstrengung gelingt es ihm, sich wieder zusammenzusetzen. Auf diese Weise bekommt er seine Superkräfte, und die basieren auf der Quantenmechanik. Er kontrolliert seine quantenmechanischen Eigenschaften, d.h. er kann sich von einem Ort zum anderen beamen, er kann sich in mehrere Versionen seiner selbst aufteilen etc. Abgesehen davon, dass das natürlich komplett unmöglich ist, beruhen seine Fähigkeiten auf der Quantenmechanik (lacht).
Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at