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Ein Graphen-Molekül

Zweidimensionaler Superstar

Graphen gilt als zweidimensionales "Wundermaterial" und Hoffnungsträger der Elektronikindustrie. In Touchscreens von Mobiltelefonen kommt es bereits zum Einsatz. Seine Anwendungsmöglichkeiten sind jedoch noch lange nicht ausgeschöpft, ist einer seiner Entwickler, der Physiker Konstantin Novoselov, überzeugt.

Technologiegespräche Alpbach 23.08.2013

2010 wurde Novoselov gemeinsam mit Andre Geim für die erstmalige Herstellung und Erforschung von Graphen mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet. Seitdem konnten die Wissenschaftler von der Universität Manchester in Großbritannien weitere zweidimensionale Kristalle herstellen. Die Europäische Union hat die Erforschung des Graphen zudem mit einem der Flagschiffprojekte der Europäischen Union prämiert.

Im Interview mit science.ORF.at spricht der britisch-russische Physiker über die Entwicklung von Sandwich-Materialien, Freitagabend-Experimente und warum er fast nach Österreich gekommen wäre.

science.ORF.at: Graphen gilt als Material der Superlative. Welche Eigenschaften zeichnen diese Kohlenstoffkristalle aus?

Der Physiker Konstantin Novoselov

ORF/Milenko Badzic

Konstantin Novoselov ist Professor für Physik an der Universität Manchester in Großbritannien.

Technologiegespräche in Alpbach:

Von 22. bis 24. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1 -Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Die Zukunft der Innovation: Voraussetzungen - Erfahrungen - Werte".

Beiträge Technologiegespräche:

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Ö1-Hinweise:

Eine Reihe von Sendungen begleitet das Europäische Forum Alpbach 2013 in Ö1. Die Technologiegespräche stehen im Mittelpunkt von Beiträgen in den Journalen, in Wissen aktuell, in den Dimensionen und bei der Kinderuni.

Konstantin Novoselov: Es ist mit einer Dicke von nur einem Atom das bisher dünnste bekannte Material. Seine Kohlenstoffatome vernetzen sich in einer Ebene zu einem perfekten Bienenwabenmuster, und das ist eine Million Mal dünner als ein Blatt Papier. Gleichzeitig ist es das härteste Material, stabiler als ein Diamant. Es leitet Elektrizität und Wärme besser als vergleichbare Stoffe. Es ist absolut undurchlässig, auch für Gase. Und es ist extrem elastisch und wesentlich dehnbarer als alle anderen bekannten Kristalle.

Hinzu kommt, dass Graphen transparent ist. Warum ist das etwas Besonderes?

Weil nur sehr wenige Materialien hergestellt werden können, die transparent sind und gleichzeitig elektrischen Strom leiten. Wenn man ein Material nimmt und es dünner und dünner macht, dann wird es vielleicht irgendwann durchsichtig, aber es verliert seine Leitfähigkeit. Dafür gibt es mehrere Gründe, zum Beispiel weil Unterbrechungen in der Struktur auftreten. Es gibt also nur eine Handvoll Materialien, die gut leiten und transparent sind. Graphen ist eines davon und dazu hat noch die vielen anderen wertvolle Eigenschaften, wie die Elastizität und die Undurchlässigkeit. Es hat gegenüber vergleichbaren Materialien also einige Vorzüge.

Sie haben Graphen gemeinsam mit Ihrem Doktorvater Andre Geim im Jahr 2004 entwickelt. Seitdem wird das Material erforscht. Welche weiteren Eigenschaften konnten Sie entdecken?

Mittlerweile haben wir begonnen, mit dem Graphen ein bisschen mehr herumzuexperimentieren: Man kann es beispielsweise falten oder in anderer Weise beanspruchen und dadurch die elektrische Leitfähigkeit beeinflussen. Beim Silizium, das etwa in Mikrochips verwendet wird, geht das nur durch Ätzen. Wir können die Undurchlässigkeit des Materials verändern und bestimmte Moleküle durchschleusen. Es gibt also eine Menge Dinge, die man mit Graphen machen kann und das bietet Raum für die Arbeit vieler Wissenschaftler.

Ein Grund für die vielen herausragenden Eigenschaften von Graphen ist seine zweidimensionale Struktur. Welche Vorteile bringt das?

Die reduzierte Dimensionalität bringt interessante Eigenschaften mit sich: Wenn man sich von dreidimensional auf zweidimensional verringert, entfällt beispielsweise das Risiko von Verknotungen im Material. Das hat wichtige Folgen für die Eigenschaften der Kristalle. Schon vor dem Graphen wurde etwa mit zweidimensionalen Gasen experimentiert, aber erst beim Graphen haben sich alle diese neuen Anwendungsmöglichkeiten eröffnet.

Der Versuchsablauf zur Herstellung des Graphen liest sich ein wenig wie die Anleitung zu einem Schulexperiment im Physikunterricht. Sie haben mit einem Stück Klebestreifen das Graphen von einem großen Stück Graphit abgenommen?

Das ist in der Tat der Fall. Mein Kollege Andre Geim hatte die Idee, dass wir mit Graphit experimentieren und es ausdünnen sollten. Ein Wissenschaftler unserer Gruppe versuchte das Graphit mit einem Saphir abzuschleifen, das funktionierte nicht, wir bekamen nur einen Haufen Graphitpuder.

Dann kamen wir auf die Idee, die Graphitoberfläche mit einem Stück Klebeband zu glätten. Das ist eine bekannte Technik, um auf dem Graphit eine vollkommen glatte Oberfläche zu bekommen. Wir haben diesen Klebestreifen dann aber genommen und die kleinen Graphitpartikel, die sich darauf befunden haben, auf eine Siliziumfläche transferiert. Dort haben wir die elektrischen Eigenschaften des Materials getestet. Und zu unserer Überraschung hat diese Anwendung wunderbar funktioniert.

Das Ganze ist an einem Freitagabend passiert. Worum handelt es sich bei diesen "Fridaynight experiments"?

Das betrifft die Struktur unserer Arbeitsgruppe und wurde von Andre Geim eingeführt. Die Idee dahinter ist, dass die Wissenschaftler zwar hauptsächlich etablierte Forschungsthemen bearbeiten, aber daneben immer wieder unerwartete Experimente machen sollen. Man macht also etwas komplett Neues, das mit der alltäglichen Forschungsarbeit nur wenig zu tun hat. Zu viel Zeit sollte es aber nicht beanspruchen - eben nur den Freitagabend.

So sind einige erfolgreiche Dinge entwickelt worden, etwa das Gecko-Tape. Die Entdeckung des Graphen zählt auch dazu. Wir haben verschiedene Methode ausprobiert, es hat nicht geklappt, ein paar Wochen später haben wir das nächste Experiment gemacht. Und plötzlich hatten wir eine funktionsfähige Anwendung - ohne irgendwelche teuren Gerätschaften in einem extra dafür eingerichteten Labor zu benutzen. Es gab auch viele Dinge, die nicht funktioniert haben. Aber solche Experimente machen einfach Spaß.

Sie haben gerade das Gecko-Tape erwähnt, ein extrem haltbarer Klebestreifen, den Sie mitentwickelt haben. Wenn Sie physikalische Grundlagenforschung betreiben, haben Sie dann die möglichen Anwendungsgebiete bereits im Kopf?

Es ist sehr schwer, diese beiden Dinge auseinanderzuhalten. In der Wissenschaft kann man nicht vorhersagen, was bei einem Experiment herauskommen oder was sich in Folge daraus entwickeln wird. Wenn man das Ergebnis bereits davor kennen würde, dann wäre es nicht Wissenschaft, sondern Ingenieursarbeit.

Wenn man die ersten Resultate bekommt, beginnt man nachzudenken: Was sagen uns diese Erkenntnisse über die Physik im Allgemeinen, wo muss ich die Ergebnisse einordnen? Und sofort fallen einem Anwendungsmöglichkeiten ein. Wir arbeiten an einem universitären Institut, also entwickeln wir unsere Erkenntnisse sehr selten weiter zu Produkten. Aber wir können in unseren Publikationen Anwendungsgebiete vorschlagen. Es wäre schön, Leute im Labor zu haben, die sich um die weitere Produktentwicklung kümmern. Aber das passiert unglücklicherweise eher selten.

Eine Anwendung von Graphen, die bereits auf dem Markt ist, sind Touchscreens für Mobiltelefone. Welchen Vorteil hat Graphen gegenüber den Seltenen Erden, die bis jetzt für Touchscreens verwendet werden?

Traditionellerweise kommt Indiumzinnoxid in Touchscreens zum Einsatz. Indium ist mittlerweile relativ teuer. Hinzu kommt, dass sich die Hersteller immer mehr in Richtung elastischer Elektronik bewegen, was mit Indiumzinnoxid einfach nicht möglich ist. Graphen schneidet dagegen gut ab, es ist relativ günstig. Aber am wichtigsten ist der Aspekt, dass die Entwicklung von elastischen elektronischen Geräten momentan so spannend ist.

Es wurde auch spekuliert, dass Graphen ein ernstzunehmender Konkurrent von Silizium in der Mikrochipproduktion werden könnte.

Das ist eine größere Herausforderung als die Touchscreens und liegt an der elektronischen Struktur von Graphen. Das Graphen hier den Vorzug gegenüber Silizium bekommt, darauf würde ich nicht wetten.

Welche weiteren Produkte mit Graphen wird es in naher Zukunft geben?

Verbundmaterialien, also Kunststoffe versetzt mit Graphen, und leitende Tinten und Farben werden wohl als nächstes auf den Markt kommen. Auch in Batterien und anderen Energiespeicherprodukten wird Graphen demnächst eingesetzt werden. Was danach kommen wird, kann ich nicht sagen. Klar ist, von der Entwicklung des Materials zu den ersten Anwendungen hat es fast zehn Jahre gedauert.

Ein Grund dafür ist, dass die Produzenten sehr vorsichtig sind, wenn es um neue Technologien und neue Materialien geht. Jetzt, wo die ersten Produkte mit Graphen am Markt sind, werden die Leute begreifen, dass man mit diesen Materialien wirklich arbeiten kann, dass man sie in großen Mengen kaufen und produzieren kann. Dementsprechend gehe ich davon aus, dass in den nächsten Jahren viele weitere Anwendungen kommen werden.

Sie haben in der Zwischenzeit weitere zweidimensionale Kristalle entwickelt, die ebenfalls nur ein Atom dick sind. Worauf konzentrieren Sie sich hier im Moment?

Diese zweidimensionalen Kristalle haben alle andere Eigenschaften und Vorzüge. Sie können dementsprechend für unterschiedliche Anwendungen und Produkte eingesetzt werden. Aus diesen Materialien machen wir dann ein "Sandwich", also ein Material aus verschiedenen Schichten von zweidimensionalen Kristallen. So können wir die elektronischen Eigenschaften des Stoffes nach unseren Vorstellungen gestalten und verändern bzw. an die Funktionalität der gewünschten Anwendung anpassen.

Für uns sind natürlich die physikalischen Eigenschaften dieser Sandwich-Materialien interessant. Aber man kann in diesem Zusammenhang natürlich noch anwendungsorientierter forschen. Diese Experimente haben gerade erst begonnen, aber sie sind sehr aufregend für uns. Wir erwarten uns sehr viel davon. Definitiv mehr als vom Graphen allein.

Sie werden heute 39 Jahre alt. Den Physiknobelpreis haben Sie bereits mit 36 erhalten. Bleiben da noch wissenschaftliche Ziele für die restliche Karriere?

Ich habe nie für den Nobelpreis gearbeitet. Wissenschaft ist für mich aufregend und interessant, deswegen habe ich diesen Beruf gewählt. Es gab auch schon Momente, wo ich mich nicht mehr mit Graphen beschäftigen wollte, wo ich der Kohlenstoffatome ein bisschen überdrüssig war. Ich habe lange darüber nachgedacht, meinen Forschungsschwerpunkt zu verändern und wäre deswegen auch fast ans IST nach Österreich gekommen.

Doch mit der Entwicklung der weiteren zweidimensionalen Kristalle hat sich das schlagartig geändert. Wegen der Heterostrukturen dieser Materialien und den "Sandwiches", die wir erzeugen können, hat sich mein Forschungsspektrum extrem vergrößert. Es gibt sehr viele Experimente, die noch gemacht werden müssen.

Interview: Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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