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Neuronen im Hirn

Wie das Gehirn die Sucht "erlernt"

US-Forscher haben Mäusen im Labor Kokain verabreicht - Resultat: Das Gehirn der Versuchstiere reagierte mit einem äußerst starken Lernimpuls. Das könnte erklären, wie sich das Verlangen nach Drogen im Empfinden einnistet.

Gehirn 26.08.2013

Bei Menschen würde folgender Versuch naturgemäß an der Ethikkommission der Universität scheitern. Bei Mäusen indes ist so ein Eingriff durchaus im Rahmen des Erlaubten. Forscher um Linda Wilbrecht von der University of California in Berkeley haben die Nager mit Koks versorgt - freilich zu Forschungszwecken:

Ziel der Versuche war es, die Wirkung von Kokain im Gehirn sichtbar zu machen. Wie die US-Forscherin mit ihren Kollegen im Fachblatt "Nature Neuroscience" schreibt, waren die ersten neuronalen Veränderungen bereits nach zwei Stunden zu sehen. In der vorderen Hirnrinde wuchsen manchen Neuronen neue Dornfortsätze - pilzförmige Ausstülpungen, an denen Synapsen sitzen.

Neuronen bilden Dornfortsätze

Die Studie

"Cocaine-induced structural plasticity in frontal cortex correlates with conditioned place preference", Nature Neuroscience (DOI: 10.1038/nn.3498).

Am nächsten Tag waren es vier Mal so viele als zuvor. Synapsen sind gewissermaßen die Hardware für Lernvorgängen und mit Lernen hat offenbar auch die drogeninduzierte Veränderung des Gehirns zu tun. Laut den Versuchen bevorzugten die koksenden Mäuse (im Gegensatz zur Kontrollgruppe) fortan jene individuell gestalteten Bereiche des Geheges, wo sie das Suchtmittel erhalten hatten. Diese Reaktion war wiederum bei jenen Versuchstieren am stärksten, die die meisten Dornfortsätze gebildet hatten.

"Es ist schon länger bekannt, dass Langzeitkonsumenten von Drogen in der vorderen Hirnrinde eine herabgesetzte Erregung bei alltäglichen Aufgaben zeigen - und eine erhöhte bei Erlebnissen, die mit Drogen zu tun haben", sagt Wilbrecht. "Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, wie das Gehirn drogenbezogene Assoziationen bildet."

"Übersteigerter Lernstimulus"

Dass sich an den Neuronen nach dem Kokainkonsum neue Dornfortsätze gebildet haben, sei an sich nichts Ungewöhnliches, sagt Wilbracht. Das würde auch beim alltäglichen Lernen passieren. Aber die Reaktion auf die Droge sei so etwas wie ein übersteigerter Lernstimulus, der die Rauscherfahrung gewissermaßen in die Anatomie des Gehirns einschreibe.

Die betroffene vordere Hirnrinde, auch frontaler Cortex genannt, ist unter anderem an langfristigen Planungen, an bewussten Entscheidungen, an Urteilsvermögen und Selbstdisziplin beteiligt. Alles geistige Vorgänge, die bei Süchtigen geschwächt bzw. in den Einflussbereich der Abhängigkeit verschoben werden.

Ein mögliches Gegenmittel haben Forscher im April dieses Jahres vorgestellt. Sie schleusten ein lichtempfindliches Protein in die durch die Sucht veränderten Neuronen von Ratten ein und inaktivierten diese durch Lasersignale. Auf diese Weise verschwand tatsächlich das Suchtverhalten der Tiere.

Beim Menschen wäre das zwar nicht möglich, gestehen die Forscher ein. Allerdings könnte man gewisse Hirnbereiche auch durch äußerlich angelegte Magnetfelder hemmen bzw. stimulieren. Mit dieser Methode wurden etwa bereits Depressionen behandelt. Nun sollen Versuche mit Süchtigen folgen.

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