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Augen einer Fruchtfliege unter dem Mikroskop

Als die Natur explodierte

Als "Kambrische Explosion" bezeichnen Paläontologen das plötzliche Auftauchen der Tierstämme vor 540 Millionen Jahren. Forscher haben nun erstmals die Evolutionsgeschwindigkeit dieser Phase bestimmt: Die Evolution verlief etwa fünfmal schneller, als sie es heute tut.

Evolution 13.09.2013

Charles Darwin war ein ehrlicher Mann. Ansonsten hätte er den offenen Fragen seiner Evolutionstheorie in der "Origin of Species" nicht ein ganzes Kapitel gewidmet. Kopfzerbrechen bereiteten ihm etwa die Lücken im "fossil record", dem Fossilbestand.

Das gilt zumal für das Präkambrium, die Zeit vor 540 Millionen Jahren und mehr. Fossilien dieses Alters waren damals kaum bekannt, jüngere hingegen sehr wohl. Die Tierstämme schienen im Kambrium wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein. Heute stellt sich die Sache freilich anders da. "Darwins Dilemma", wie der US-Paläontologe William Schopf schreibt, ist keines mehr.

Mit Statistik die Evolution rekonstruieren

Studien

"Rates of Phenotypic and Genomic Evolution during the Cambrian Explosion", Current Biology (12.9.2013; doi: 10.1016/j.cub.2013.07.055).

"Interacting Gears Synchronize Propulsive Leg Movements in a Jumping Insect", Science (12.9.2013; doi: 10.1126/science.1240284).

"A Biological Screw in a Beetle’s Leg", Science (1.7.2011; doi: 10.1126/science.1204245).

Gleichwohl hat bis heute niemand untersucht, wie schnell die "Kambrische Explosion" tatsächlich verlaufen ist. Das haben nun Forscher um Mike Lee von der University of Adelaide nachgeholt. Die Methode war eine indirekte: Wo Stammbäume, genetische Sequenzdaten und äußerliche Merkmale bekannt sind, kann man mit Hilfe der Statistik die Evolution quasi zurückrechnen.

Tausenfüßer auf Fossilien

Michael Lee

Arthropoden einst und jetzt: Ein Tausendfüßer krabbelt über seine fossilen Ahnen

Das ist etwa bei den sogenannten Arthropoden der Fall, jene große Tiergruppe, zu der die Insekten, Krebse und Spinnentiere gehören. Wie Lee im Fachblatt "Current Biology" berichtet, tickte die Evolutionsuhr zu Beginn des Kambriums ungefähr vier Mal schneller als heute, sofern man die äußerlich sichtbaren Änderungen in den Bauplänen der Tiere als Maßstab nimmt. Auf Ebene der DNA war die Geschwindigkeit noch ein bisschen höher: Faktor 5,5 im Vergleich zur Gegenwart, schreiben die Forscher.

Das ist hohes Tempo, doch keineswegs so flott wie einst angenommen. So gesehen wäre "Kambrische Beschleunigung" vielleicht der passendere Begriff für jene Phase, in der viele bekannte Merkmale der Arthropoden entstanden sind. Als da wären: Außenskelett, Beine mit Gelenken, Facettenaugen.

"Wir finden im Fossilbestand des Kambriums auch die ersten Antennen, die Insekten und Krebse bis heute besitzen", sagt Greg Edgecombe, ein Co-Autor der Studie. "Auch die ersten Kieferkonstruktionen entstanden in dieser Zeit."

Tierische Mechanik: Zahnräder ...

Insekten-Zahnräder unter dem Elektronenmiksroskop

Malcolm Burrows

Zahnrad aus dem Labor der Insekten

Interessante Features im Insektenbauplan entstanden auch in späteren Phasen der Naturgeschichte, wie ein Artikel in der aktuellen Ausgabe von "Science" zeigt. Malcolm Burrows, Zoologe an der Cambridge University, hat bei der Käferzikade "Issus coleoptratus" eine Zahnradkonstruktion entdeckt. Dass Issus ausgezeichnet springen kann, wusste man schon bisher. Nun wird klar, wie die Zikade das tut. Kleine Zahnräder an der Basis der Beine sorgen offenbar für einen synchronen Bewegungsablauf.

Wäre das nicht der Fall, käme die Zikade mit ihrem kräftigen Absprung unweigerlich ins Trudeln, schreibt Burrows. Die mechanische Lösung des Problems ist seiner Ansicht nach sogar die bessere Wahl als es über synchrone Nervenreize zu probieren: "Die Impulse der Neuronen sind zu langsam, um diese außerordentliche Koordination zu erreichen."

... und Schraubengelenke

Schraubengelenk unter dem Elektronenmikroskop

Science/AAAS

Käfergelenk: Beine zum Schrauben

Mechanisch ausgefuchst ist auch der Körperbau von "Trigonopterus oblongus". Der Rüsselkäfer aus Papua-Neuguinea besitzt äußerst bewegliche Beine und kann den Schenkel in der Hüfte mehr als 400 Grad rotieren lassen - Dank einer Aufhängung, die wie ein Schraubengewinde aufgebaut ist.

Mutter und Schraube im Tierreich? Kein Einzelfall, sagt Co-Entdecker Alexander Riedel vom Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe. "Wir haben mittlerweile verschiedene andere Rüsselkäferarten untersucht und immer Schraubengelenke gefunden. Das Gelenk scheint bei allen Rüsselkäfern vorzukommen." Und von denen gibt es nicht wenige: 50.000 Spezies sind zurzeit bekannt. "Die Rüsselkäfer laufen wahrscheinlich bereits seit etwa 100 Millionen Jahren mit einer derartigen Konstruktion herum."

Robert Czepel, science.ORF.at

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