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Kopf eines Raben

"Raben sind die Affen unter den Vögeln"

Schimpansen und Raben sind einander in sozialer Hinsicht sehr ähnlich, sagt Thomas Bugnyar in einem Interview. Die Vögel seien strategisch versiert, so der Wiener Kognitionsbiologe: Sie pflegen ihre eigenen Freundschaften und verhindern sogar, dass Konkurrenten neue freundschaftliche Bande knüpfen.

Verhaltensforschung 16.09.2013

Seit Jänner hat Thomas Bugnyar eine Professur für kognitive Ethologie an der Universität Wien inne. Im Gespräch mit science.ORF.at erzählt er von seiner persönlichen Beziehung zu den Tieren und der Schwierigkeit, Intelligenz bei Tieren zu definieren.

science.ORF.at: Gibt es Unterschiede zwischen menschlicher und tierischer Intelligenz?

Thomas Bugnyar: Intelligenz ist ein Begriff für uns Menschen. Wir verwenden ihn, um über uns zu reden. Den Begriff bei Tieren anzuwenden ist schwierig - nicht zuletzt, weil sie oft andere Sinnesorgane haben. Wir sprechen daher lieber allgemeiner von Kognition.

Thomas Bugnyar

Uni Wien

Thomas Bugnyar ist seit 8. Jänner 2013 Professor für Kognitive Ethologie. Der Forschungsschwerpunkt des studierten Zoologen liegt auf höherer kognitiver Intelligenz bei Vögeln und Primaten. In seinen bisherigen Studien hat er vor allem das Sozialverhalten von Raben untersucht.

Gibt es dafür Beispiele?

Es ist ein bisschen unfair, unser Konzept bei einem Delfin oder einer Fledermaus anzuwenden, weil sie sich in einem Medium bewegen, das für uns nicht wirklich greifbar ist. Sie verwenden andere Sinne und brauchen daher bestimmte Fähigkeiten, die wir normalerweise nicht einsetzen. Die Grundaussage der biologischen Intelligenzforschung besagt: Wir können nicht davon ausgehen, dass Intelligenz immer das Gleiche ist. Wir müssen zunächst einmal herausfinden, um welche Art von Intelligenz es sich handelt und wie gut man das vergleichen kann.

Der Biologe Justin Gregg hat kürzlich ein Buch veröffentlicht, in dem er behauptet: Delfine sind doch nicht so intelligent, wie man gedacht hat. Was denken Sie darüber?

Es kommt darauf an, wie man Intelligenz definiert. Ich finde, dass Delfine in einigen kognitiven Bereichen sehr tolle Leistungen vollbringen. In anderen Bereichen eben nicht. Wenn man eine sehr hohe Meinung von ihnen hat und dann gerade in einem Bereich forscht, in dem nicht viel herauskommt, ist man eben ein bisschen enttäuscht. Starke Kategorisierungen wie "besonders intelligent" oder "nicht intelligent" sind meiner Meinung nach ohnehin übertrieben.

Sie arbeiten vor allem mit Raben. Warum?

Die offizielle Erklärung ist, dass sie ziemlich interessante Vögel sind. Das weiß man schon seit tausenden Jahren: In Mythen haben Raben immer eine Sonderstellung gehabt. Sie sind die Trickser, die etwas wissen. Entweder sie geben dieses Wissen dann an bestimmte Leute weiter oder sie spielen die Leute damit immer wieder aus. Ich finde, beides ist ziemlich treffend. Offensichtlich haben Menschen schon sehr früh verstanden, dass Raben anders sind, als man sich einen Durchschnittsvogel vorstellt. Ich versuche dem auf den Grund zu gehen.

Und was hat Sie persönlich dazu gebracht, sich mit Raben zu beschäftigen?

Eigentlich eine Kombination von Dingen. Ich habe als Student zunächst mit Affen gearbeitet. Dann begannen zwei gute Freunde von mir Raben aufzuziehen. Ich habe sie natürlich besucht und war ziemlich überrascht, weil sie mich nicht wirklich an Vögel erinnert haben, sondern an junge Hunde. Das erste Interesse wurde somit geweckt. Der zweite Aspekt war, dass der Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau, Kurt Kotrschal, mich angeworben hat. Mit der Idee, dass ich mir die Raben anschaue, weil sie gewissermaßen die Affen unter den Vögeln sind.

Sie haben herausgefunden, dass Raben sich gegenseitig anhand der Stimmen erkennen. Erkennen die Raben Sie auch?

Jaja, sicher.

An der Stimme? Oder glauben Sie, dass es auch etwas anderes ist?

Ich glaube, dass es die Stimme und das Aussehen sind. Das habe ich zwar nicht nachgewiesen, aber wir arbeiten daran. Bis vor kurzem hat man gesagt, es sei typisch für den Menschen mehrere Sinne zu einem gemeinsamen Bild zu verschmelzen. Dann hat man es auch Affen zugetraut und mittlerweile weiß man, dass es auch bei anderen Tieren der Fall ist. Ich gehe davon aus, dass das auch Raben können. Es würde mich sehr überraschen, wenn da nichts rauskäme.

Sie haben 2009 in einem Interview gesagt, dass Sie herausfinden wollen, inwiefern Raben von ihren Artgenossen profitieren. Haben sie schon eine Antwort?

Ja, einige. Wir sind ziemlich weit gekommen, das Problem ist nur, dass wir die meisten dieser Ergebnisse gerade erst publizieren. Aber ich kann ein bisschen etwas dazu sagen: Wir können zeigen, dass Sozialbeziehungen für Raben eine sehr starke Rolle spielen. Das haben wir auch angenommen. Aber wir wussten nicht genau, inwiefern sie mit Primaten vergleichbar sind. Es stellt sich heraus, dass es nahezu eins zu eins vergleichbar ist. Wir finden genau die gleichen Charakteristika wie bei den Schimpansen.

Wo liegen die Unterschiede zu den Schimpansen?

Bei den Raben ist das soziale Netz lockerer geknüpft als bei den Affen. Die Raben konzentrieren sich auf zwei "Freunde" und helfen einander auch gegenseitig. Was uns wirklich überrascht hat: Sie bauen nicht nur Beziehungen zu anderen auf, sondern verhindern auch, dass andere Beziehungen aufbauen können. Sie passen auf, wer sonst noch seine Freundschaften verbessert und fangen dann an, selektiv zu intervenieren. Das würde kognitiv wiederum heißen, dass sie nicht immer alles auf sich selber beziehen, sondern bis zu einem gewissen Grad abstrakt vorgehen: Das ist alles andere als trivial.

Merkt man bei den einzelnen Raben einen Unterschied hinsichtlich ihrer sozialen Intelligenz?

Ja, das ist zumindest die Annahme. Das nachzuweisen geht aber nicht von heute auf morgen. Es ist nicht schwer bei Tests für einzelne Individuen unterschiedliche Ergebnisse zu bekommen, aber diese Unterschiede können auf diverse Faktoren zurückzuführen sein. Es ist noch zu früh, um eine klare Antwort zu geben.

Merken Sie im persönlichen Umgang mit den Tieren trotzdem, dass es sozusagen intelligentere und weniger intelligente Tiere gibt? Auch ohne den empirischen Beweis?

Das ist definitiv der Fall. Man kriegt ziemlich schnell mit, dass einige ziemlich rasch begreifen und die anderen brauchen eben ein bisschen länger. Das wirklich Interessante ist, das es bei ihnen sehr stark davon abhängt, wer mit ihnen arbeitet. Das werden wir auch näher untersuchen.

Haben Sie nach den vielen Jahren mit Raben das Bedürfnis auch mehr mit anderen Tieren zu arbeiten?

Das mache ich schon längst. Ich hab in den letzten Jahren angefangen vergleichend zu arbeiten. Wir haben Nebelkrähen als Vergleichssystem etabliert. Außerdem kollaboriere ich mit Leuten, die mit Papageien arbeiten. Die dritte Schiene ist die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen von der Primatologie. Ich habe gerade ein Weißbüschelaffen-Labor übernommen, es wird gerade umgebaut und ich möchte es in Zukunft besser positionieren.

Denken Sie, dass man so intelligente Tiere wie Affen, Delfine oder eben Raben überhaupt in Gefangenschaft halten darf?

Natürlich könnten sie draufkommen, dass sie nicht so frei sind, wie es theoretisch möglich wäre. Aber um ehrlich zu sein: Ich glaube, das übersteigt die Vorstellungskraft der meisten Tiere. Wenn man Tiere gut hält, dann sind auch die Intelligentesten ganz zufrieden. Was nicht bedeutet, dass die Haltung von Tieren im Zoo oder in der Gefangenschaft keine Probleme erzeugen würde. Den Tieren wird schnell langweilig, vor allem den intelligenteren Arten. Wir müssen uns noch viel überlegen, um ihren Alltag möglichst interessant zu machen.

Was würde passieren, wenn Sie die Raben freilassen würden?

Das haben wir schon mal gemacht. Wir hatten einen Raben, der kam nach einem kurzen Ausflug wieder zurück und blieb in seiner Voliere. Zumindest für diesen Raben war es kein Problem eingesperrt zu sein - alles andere war für ihn offenbar mit zuviel Unsicherheit verbunden.

Interview: Stefanie Braunisch, science.ORF.at

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