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Blauer Himmel mit Wolken

"Die Uhr tickt": Klimamodelle falsch?

Höhere Temperaturen, steigende Meeresspiegel, extremere Wetterereignisse - das sagt der neue UNO-Weltklimabericht bis zum Ende des Jahrhunderts voraus. Die Prognosen haben aber einen Haken: Frühere Vorhersagen über den Anstieg der Oberflächentemperatur der Erde bewahrheiteten sich nicht. Seit rund 15 Jahren stieg sie kaum an.

Weltklimabericht 02.10.2013

Das scheint dennoch nicht im Widerspruch zu den aktuellen Prognosen zu stehen, die der Weltklimarat (IPCC) am Montag in seiner jüngsten Studie veröffentlicht hat. Leopold Haimberger, Mitautor der Studie und Klimaforscher an der Universität Wien, erklärt die Erwärmungsbremse mit natürlichen Klimaschwankungen.

Er warnt aber zugleich: Sollte es in den nächsten fünf Jahren nicht wieder deutlich wärmer werden, könnten bestehende Klimamodelle einen systematischen Fehler beinhalten.

Science.ORF.at: Stagniert die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Erde seit 1998?

Leopold Haimberger: Das nicht, aber die Erwärmung hat sich in dem Zeitraum deutlich abgeschwächt. Die drei oder vier globalen Temperaturdatensätze, mit denen man das ausrechnen kann, zeigen für den Zeitraum eine Erwärmung von 0,04 Grad Celsius pro Jahrzehnt. Davor war sie deutlich stärker.

Science.ORF.at: Wie erklärt sich das die Wissenschaft bzw. der aktuelle IPCC-Bericht?

Haimberger: Die plausibelste Erklärung liegt in der natürlichen Klimavariabilität. Das Klima wird zum Beispiel vom Zyklus der Sonnenflecken beeinflusst. Alle elf Jahre gibt es ein Maximum an Sonnenflecken. In dieser Zeit strahlt die Sonne speziell im UV-Bereich stärker, und das führt zu einer Erwärmung auch der Erde. Wenn sie nur wenige Flecken hat, strahlt sie entsprechend schwächer. Um das Jahr 2000 hat es ein Maximum gegeben, danach gab es immer weniger Sonnenflecken, und das hat sich auch auf die Temperatur der Erdoberfläche ausgewirkt.

Ein zweiter Grund liegt im Ozean. Er ist in den vergangenen 15 Jahren zwar an der Oberfläche kaum wärmer geworden, wie Messungen gezeigt haben, sehr wohl aber in der Tiefe. Der Ozean scheint also einen großen Teil der zusätzlichen Wärme und Energie über seine Zirkulation in tieferen Schichten - tiefer als 300 Meter - aufgenommen zu haben. Die zusätzliche Energie durch gestiegene Treibhausgaskonzentrationen ist im letzten Jahrzehnt offenbar nicht nahe der Erdoberfläche gespeichert worden, wo sie zu einer spürbaren Erwärmung geführt hätte, sondern ist über die Ozeanzirkulation in tiefere Schichten transportiert worden.

Science.ORF.at: Wie funktioniert diese Zirkulation?

Haimberger: Ganz grob gesagt kann man Wasser mit zwei Methoden zirkulieren lassen. Entweder Sie erhitzen es von unten - so wie im Kochtopf. Oder Sie kühlen es von oben - durch die Abkühlung wird es schwerer, es beginnt zu sinken und zu zirkulieren. Das geschieht in den Polargebieten, und zwar manchmal stärker und manchmal schwächer.

Science.ORF.at: Vor kurzem haben Forscher berichtet, dass auch ein ungewöhnlich kühler Pazifik für die aktuelle Abschwächung der Erderwärmung verantwortlich sein könnte. Stimmen Sie dem zu?

Haimberger: Ja, das kann ein weiterer Grund sein und wäre somit eine Folge des natürlichen Klimaphänomens "El Nino". Bei "El Nino" ist die Oberfläche des Pazifiks sehr warm, und dabei gibt er viel mehr Energie in die Atmosphäre ab als normal. In den Perioden danach lädt er seinen Energiespeicher wieder auf. Warum sich der Pazifik an der Oberfläche so deutlich abgekühlt hat, ist noch nicht geklärt. Möglicherweise gibt es da tiefergreifende Zirkulationen, die in den Klimamodellen noch nicht richtig dargestellt sind.

Science.ORF.at: Gibt es noch andere Erklärungen, zum Beispiel die kleinen Schwebeteilchen in der Atmosphäre, die Aerosole?

Haimberger: Aerosole machen die Berechnungen noch komplizierter. Speziell mineralische Aerosole, wie sie etwa von Vulkanen ausgestoßen werden, aber auch bei manchen industriellen Prozessen entstehen, können Teile der Sonnenstrahlung zurück in das Weltall reflektieren. Damit wird der Erwärmungseffekt der Treibhausgase abgeschwächt, wenn ihre Konzentration steigt.

Science.ORF.at: Die verwendeten Klimamodelle konnten die geringe Erwärmung der vergangenen 15 Jahre nicht vorhersagen, was vor allem Klimawandelskeptiker freuen wird: Warum gibt es bisher keine Modelle, die alle anderen Einflussfaktoren auf des Weltklima integrieren und Voraussagen treffen, die auch wirklich eintreten?

Haimberger: Das ist eine berechtigte Frage, die uns Klimaforscher auch stutzig macht. Eine Grafik des IPCC-Berichts zeigt, dass das Ensemble von Klimamodellen für die Periode 1984 bis 1998 eine zu geringe Erwärmung vorhergesagt hat, für die Zeit zwischen 1998 und 2012 hingegen eine zu große. Das heißt, es ist offenbar so, dass die beobachtete Klimavariabilität stärker ist als die Variabilität in den Modellensembles. Wenn sich der aktuell sehr schwache Erwärmungstrend fortsetzen sollte, müssen die Klimaforscher in sich gehen und schauen, ob ihre Modelle die Klimaerwärmung nicht doch überschätzen. Es ist zu erwarten, dass die Klimaskeptiker damit im Aufwind sein werden. Gegen die Beobachtungen kann man kaum argumentieren, wir können nur versuchen, sie nach bestem Wissen mit natürlicher Variabilität zu erklären. Aber wir müssen immer selbstkritisch sein und können nicht ausschließen, dass die Klimamodelle einen Fehler haben, der einmal entdeckt und korrigiert wird.

Science.ORF.at: Gibt es einen Zeitraum, ab dem Sie sagen: Wenn sich bis dahin der schwache Erwärmungstrend fortsetzt, müssen wir über die Modelle nachdenken?

Haimberger: Nachgedacht darüber wurde und wird jetzt schon. Namhafte Kollegen sagen, dass die derzeitigen Prognosen spätestens in fünf Jahren ein Problem haben, falls die Erwärmung bis dahin nicht wieder an Fahrt gewinnt. Dann müsste man wirklich annehmen, dass die Modelle einen systematischen Fehler haben und das Klimasystem etwas langsamer auf den enormen anthropogenen Treibhausgasausstoß reagiert, als prognostiziert wird. Die Uhr tickt sozusagen.

Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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