Standort: science.ORF.at / Meldung: "Eigene Gefühle stören Empathie"

Zwei junge und traurige Mädchen umarmen sich

Eigene Gefühle stören Empathie

Empathie ist die Fähigkeit, sich in andere einfühlen zu können. Wie stark sie von unseren eigenen Gefühlen verzerrt werden kann, haben nun Wiener Psychologen herausgefunden. Sie haben auch jenen Gehirnbereich entdeckt, der dafür verantwortlich ist, dass wir unseren eigenen Gefühlszustand von dem anderer Menschen trennen können.

Psychologie 07.10.2013

Bei der Einschätzung von Umwelt und Mitmenschen tendieren Menschen dazu, den eigenen Gemütszustand auf andere zu projizieren. "Das geht allerdings nur so lange gut, wie wir uns im gleichen Zustand befinden wie unser Gegenüber. Sonst muss das Gehirn gegensteuern und korrigieren", so Claus Lamm vom Institut für Psychologische Grundlagenforschung in einer Aussendung der Uni Wien. Wie eigene Emotionen die Empathiefähigkeit beeinflussen, hat er nun mit einem internationalen Forschungsteam in einer Studie untersucht.

Die Studie:

"Right Supramarginal Gyrus Is Crucial to Overcome Emotional Egocentricity Bias in Social Judgments" von Giorgia Silani und Kollegen ist am 25.9.2013 in "The Journal of Neuroscience" erschienen.

Spielzeugschleim und Kunstfell

In einem Wahrnehmungsexperiment wiesen die Forscher zunächst nach, dass Gefühle tatsächlich die Empathiefähigkeit beeinflussen und der Egozentrismus sich auch messen lässt:
In Zweier-Teams wurden Probanden Bilder gezeigt, dazu gab es einen entsprechenden Berührungsreiz - etwa das Bild einer Schnecke und passenden Spielzeugschleim oder das Bild eines Kätzchens und flauschiges Fell.

Die visuellen und taktilen Reize waren entweder angenehm oder unangenehm. Die Probandinnen sahen außerdem, welchem Reiz ihr Teampartner gerade ausgesetzt war. Anschließend mussten die Studienteilnehmer die eigenen Gefühle oder die ihres Teampartners beurteilen.

Solange beide Probanden positiven bzw. negativen Reizen ausgesetzt waren, funktionierte dies gut - wer etwa gerade mit Stinkwanzen konfrontiert war, konnte sich gut vorstellen, wie unangenehm Anblick und Gefühl einer Spinne sein musste.

Empathie funktioniert v.a. bei ähnlichen Gefühlen

Wurde aber der eine Teilnehmer mit angenehmen und der andere mit unangenehmen Reizen bzw. umgekehrt konfrontiert, sank die Empathie. Hatte der Teilnehmer selbst gerade eine negative Erfahrung gemacht, wurden positive Erlebnisse des Partners weniger gut bewertet. Ging es dem Probanden gut, bewertete er negative Erlebnisse des Partners weniger schlimm.

Die Forscher fanden heraus, in welchem Gehirnareal die Selbstwahrnehmung von der Wahrnehmung anderer entkoppelt wird: im "Gyrus supramarginalis", einer Windung der Großhirnrinde ungefähr dort, wo Scheitel-, Schläfen- und Frontallappen zusammentreffen.

"Das war etwas unerwartet", erklärte Lamm, denn die Forscher hatten eigentlich ein anderes ein paar Zentimeter entferntes Gehirnareal im Visier.

Entscheidende Gehirnregion

In einem weiteren Experiment mit transkranieller Magnetsimulation (TMS) wurde der "Gyrus supramarginalis" vorübergehend gestört. Die Folge: Den Probanden fiel es wesentlich schwerer, ihre eigenen Gefühle nicht auf andere zu projizieren.

Ein weiteres Experiment zeigte, dass die Einschätzung der Gefühle anderer auch dann ungenauer wurde, wenn die Teilnehmer zu besonders schnellen Entscheidungen gedrängt wurden.

Zukünftige Experimente sollen zeigen, ob man das Fehlen von Empathie, wie es bei neurologischen Erkrankungen wie Autismus oder Depression vorkommt, auch auf neuronaler Ebene beobachten kann. Möglicherweise ließe sich so eines Tages mittels Magnetresonanztomografie verfolgen, ob eine Therapie erfolgreich ist oder nicht.

science.ORF.at/APA

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