Die Schädelüberreste von insgesamt fünf Individuen sehen ziemlich unterschiedlich aus, obwohl sie an der gleichen Stelle entdeckt wurden und gleich alt sind. Dies spreche dafür, dass auch Funde aus Afrika, die bisher verschiedenen Arten zugerechnet wurden, aus derselben Homo-Linie stammen.
Diesen - umstrittenen - Schluss zieht eine Gruppe von Anthropologen um David Lordkipanidze vom georgischen Nationalmuseum in Tiflis in einer neuen Studie. Andere Forscher sehen das anders (siehe Interview mit dem Anthropologen Gerhard Weber).
Die Studie:
"A Complete Skull from Dmanisi, Georgia, and the Evolutionary Biology of Early Homo" von David Lordkipanidze und Kollegen ist am 18.10.2013 in "Science" erschienen, ebenso der Begleitartikel "Stunning Skull Gives a Fresh Portrait of Early Humans" von Ann Gibbons.

Guram Bumbiashvili/Georgian National Museum
Das aktuelle "Science"-Cover mit dem ausgegrabenen "Schädel Fünf"
Ö1 Sendungshinweis:
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 18.10., 13:55 Uhr.
Acht Jahre lange Knochenarbeit
Er ist exakt zwischen 1,77 und 1,85 Millionen Jahre alt: der "weltweit erste komplett erhaltene Hominidenschädel aus dem frühen Pleistozän", wie es in der Studie heißt. Entdeckt haben ihn die Forscher und Forscherinnen in einer Fundstätte, die die ältesten menschlichen Fossilien außerhalb Afrikas beherbergt.
Der Unterkiefer zu "Schädel Fünf" wurde bereits 2000 in Dmanisi im südlichen Georgien entdeckt, der Schädel selbst 2005. Nach acht Jahren intensivster Analyse sind die Experten nun sicher: Zwar ließen die Knochen einst nur Platz für ein relativ kleines Gehirn - in der Größe vergleichbar mit einem Australophithecus, einer noch älteren Gattung von Menschenvorfahren - die anderen Eigenschaften wie langgezogenes Gesicht und große Zähne ähnelten aber Homo.
Aber welcher Art Homo? Die nach Fundort und Geschicklichkeit unterschiedenen H. erectus, H. habilis, H. rudolfensis und H. georgicus standen bei der Beantwortung der Frage zur Auswahl. Ob und wie sie sich diese aber tatsächlich unterscheiden, wird in der Paläoanthropologie seit Langem diskutiert.
Ein "früher Homo"
Lordkipanidze und seine Kolleginnen meinen nun, dass die Unterscheidung sinnlos ist. Sie haben insgesamt fünf Homo-Exemplare in Dmanisi ausgegraben und miteinander verglichen. Obwohl sie vom gleichen Ort und aus der gleichen Zeit stammten, unterscheiden sie sich in mehreren Details deutlich. Die Variabilität innerhalb einer Art wurde also bisher offenbar unterschätzt, sagen die Forscher. Die Neigung ihrer Zunft bei Unterschieden in den Knochenfunden von verschiedenen Arten zu sprechen, sei hingegen umso größer.
Damit wollen die Forscher in ihrer neuen Studie nun Schluss machen. Sie haben dem Schädel zwar den wissenschaftlich korrekten Namen "Homo erectus ergaster georgicus" gegeben. Aber eigentlich bevorzugen sie die Sammelbezeichnung "früher Homo", die sie auch im Studientitel verwenden.
"Wären die Gehirnkammer und die Vorderseite von 'Schädel Fünf' einzeln an verschiedenen Orten in Afrika entdeckt worden, hätte man sie wahrscheinlich unterschiedlichen Arten zugeordnet", erklärt Studienmitautor Christoph Zollikofer von der Universität Zürich.
Vielfalt innerhalb einer Art, so der Wissenschaftler, sei die Regel und nicht die Ausnahme. Die fünf Dmanisi-Individuen unterscheiden sich Zollikofer zufolge tatsächlich stark voneinander, "aber auch nicht mehr als fünf beliebige Menschen oder fünf beliebige Schimpansen aus einer modernen Population".
Forscher neigen zur Artenbildung
Dass die Anthropologie dennoch zur "Artenbildung" neigt, hänge ein wenig mit ihrer "Denkschule " zusammen, meint Zollikofer. "Stellen Sie sich vor, Sie finden nach zehn Jahren Buddeln ein Fossil. Dann nimmt man natürlich implizit an, dass das wichtig ist für die menschliche Evolution. Man nimmt auch implizit an, dass es die Art, zu der es gehört hat, gut repräsentiert", so der Experte.
Einen einzelnen Fund als "Typusexemplar" für eine angenommene Spezies zu nehmen, sei aber "statistisch nicht sehr klug. Das ist, wie wenn ich von mir selbst annehmen würde, dass ich quasi den Mittelwert der modernen Menschheit repräsentiere", so Zollikofer.
Es brauche demnach zumindest kleine Stichproben, um sich ein Bild darüber machen zu können, wie verschieden Vertreter einer Art untereinander sein können.
Gründe für die verschiedenen Gestalten
Ein Grund für die relativ große Variabilität innerhalb der Population in Dmanisi könnte sein, dass es zwischen männlichen und weiblichen Vertretern von "Homo erectus" - ähnlich wie bei heutigen Schimpansen - große Unterschiede gegeben haben könnte.
Zudem habe man herausgefunden, dass die Zähne der verschiedenen Fossilien unterschiedlich abgenutzt waren, was auf unterschiedliches Alter rückschließen lasse. Zollikofer: "Wir haben festgestellt, dass diese Abnützung einen enormen Einfluss auf die Gesichtsform hatte."
Zudem sei denkbar, dass - unter der Annahme, alle Frühmenschen zu dieser Zeit waren "Homo erectus" - die Spezies von tropischen Regionen bis in deutlich kühlere Regionen verbreitet war und sich dementsprechend gut an die verschiedenen Bedingungen angepasst hat, was sich wahrscheinlich auch im Aussehen niederschlug.
Lukas Wieselberg, science.ORF.at/APA
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