Zahlreiche Innovations-Rankings werden heute heran gezogen, um zu überprüfen, ob ein Land als "fit für die Zukunft" gilt. Diesen Rankings werden Größen wie staatliche Forschungsquoten, industrielle Forschungsausgaben und die daraus resultierende Wertschöpfung zu Grunde gelegt. Soziale Aspekte oder gar soziale Innovationen spielen dabei eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Auch wird in diesen Rankings selten untersucht, wie groß der Beitrag von Userinnen und Bürgern zur Innovationsleistung eines Landes ist. Denn klassisch wird unter Innovation verstanden, dass in Forschungslabors ein neues Produkt oder ein neues Verfahren entwickelt wird, das sich in weiterer Folge am Markt durchsetzt.
Demgegenüber steht die Idee der sozialen Innovation. Diese wird nicht an ihrer Markttauglichkeit gemessen, sondern daran, dass sie ein soziales Problem löst. Und zwar durch Veränderung einer sozialen Praktik, erklärt Josef Hochgerner, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI). "Diese Praktiken müssen von den Betroffenen akzeptiert und angewandt werden, ansonsten sprechen wir von einer sozialen Idee und noch nicht von einer Innovation", sagt Hochgerner. Insofern erfordern soziale Innovationen stets offene Prozesse - also die Einbindung der Betroffenen, da nur so jene Lösungen gefunden werden können, die auch von allen getragen werden, ist Hochgerner überzeugt.
Der Wettbewerb:
Der Ideenwettbewerb im Rahmen von "Soziale Innovationen für Österreich" wurde von Ö1 in Kooperation mit der Open Innovation Plattform neurovation.net gestartet. Die Community von neurovation.net und die Ö1-Hörerinnen und -Hörer waren aufgerufen, ihre Ideen zur Lösung eines sozialen Problems zu nominieren. Zehn Projektideen haben es ins Finale geschafft und wurden am 24.10.2013 beim "Ö1 Open Innovation Forum" im ORF-Funkhaus dem Publikum präsentiert. In diesem Rahmen wurden auch die drei gleichrangigen Siegerprojekte bekannt gegeben. Diese können nun mittels Crowdfunding über die Plattform 1000x1000.at unterstützt werden.
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Wettbewerb "Innovation.Leben"
Dem Ideenwettbewerb "Soziale Innovationen für Österreich", der von Ö1 in Kooperation mit der Open Innovation Plattform neurovation.net ins Leben gerufen wurde, wurden diese Prinzipien zu Grunde gelegt: Die Community von neurovation.net und Ö1-Hörerinnen und -Hörer waren aufgerufen, ihre Ideen für soziale Innovationen einzureichen. Rund 60 Konzepte wurden eingereicht, zehn dieser Ideen haben es in die letzte Runde des Wettbewerbs geschafft und die drei Siegerkonzepte wurden am Donnerstagabend beim "Ö1 Open Innovation Forum" im ORF-Funkhaus einem breiten Publikum präsentiert.
"Kriterien waren vor allem die Wirksamkeit und die Neuheit einer Idee. Außerdem haben wir versucht, sehr unterschiedliche Bereiche abzudecken. Denn soziale Innovationen sind praktisch in jedem Bereich möglich: etwa in der Schule, in der Finanzwelt, in den Medien, aber auch in öffentlichen und privaten Einrichtungen", kommentiert Josef Hochgerner, Mitglied der fünfköpfigen Jury, die Entscheidung. Auf dieser Basis wurden drei Projektideen zu gleichrangigen Siegern gewählt. Sie sollen nun via Crowdfunding über die Plattform 1000x1000.at unterstützt werden.
Bildungscenter statt Schule
Eine der siegreichen Ideen stammt von Anton Edler. Ziel seines Projekts ist es, die Schule zu einem offenen Ort des Lernens für Groß und Klein und Alt und Jung zu machen. Seiner Meinung nach verhindert die Tatsache, dass die Schule derzeit nur einem bestimmten Personenkreis, also den Schülerinnen und Schülern offen steht, das Konzept des lebenslangen Lernens.
Edlers Idee: Die Schulen sollen zu so genannten Bildungscentern weiterentwickelt und für alle geöffnet werden. Sei es für die Eltern der Schüler, die Interesse daran haben mit ihren Kindern zu lernen, Erwachsene mit Migrationshintergrund, die ihre Deutschkenntnisse aufbessern möchten, oder eben einfach für all jene, die Interesse an Bildung haben. Insbesondere schwächere Schülerinnen und Schüler könnten von diesem Angebot profitieren: Beispielsweise durch gemischten Förderunterricht gemeinsam mit anderen bildungsinteressierten Menschen, ist Edler überzeugt.
Das Ende des Wegwerfens
Eine andere Idee, die es unter die Gewinner geschafft hat, setzt sich mit einem Problem auseinander, das jede und jeder kennt: Oft besitzen wir Gegenstände, die zwar noch einwandfrei funktionieren, für die wir aber keine Verwendung mehr haben. Anstatt diese Dinge wegzuwerfen, wäre es doch schlauer, sie jemanden zu schenken, der oder die sie gebrauchen kann, hat sich Maria Tagwerker-Sturm gedacht. Nur, wie findet man diese potenziellen neuen Besitzer?
Meist ist der Aufwand dafür zu hoch und die Dinge landen der Einfachheit halber auf dem Müll. Dabei schmerzt Maria Tagwerker-Sturm weniger der materielle Verlust, als die ökologische Dimension dieser Wegwerfkultur. Deshalb hat sie sich eine Möglichkeit zur Vernetzung von "Wegwerfer" und neuem Besitzer ausgedacht: Bei den örtlichen Müllsammelstellen sollte ein Bereich eingerichtet werden, in dem die nicht mehr gebrauchten Gegenstände gesammelt, aber nicht weggeworfen werden.
Wer dort beispielsweise eine Lampe abgeben möchte, trägt diese vorher auf einer digitalen Plattform ein, damit ersichtlich ist, was es wo gibt. Holt dann jemand die Lampe von der Sammelstelle ab, ändert er oder sie auf der Plattform den Status der Lampe auf "abgeholt". Gekoppelt werden könnte diese Sammelstelle mit gezielten Sammelaktionen für karitative Organisationen, so die Idee von Tagwerker-Sturm.
Idee sucht Umsetzung
Viele gute Ideen von Bürgerinnen und Bürgern schaffen es erst gar nicht an die Orte, wo Innovationen umgesetzt werden. Das hat Gerfried Cebrat dazu bewogen, sich eine Art Begegnungsstätte von Idee und potenziellem Abnehmer zu überlegen. So genannte "Innovation Labs" sollen einerseits offene Begegnungszentren für kleine und mittlere Unternehmen sein, die Ideen suchen, aber gleichzeitig auch Raum für alle Menschen bieten, die im eigenen Bereich Ideen mit handwerklichen Geschick umsetzen wollen.
In diesen "Open Innovation Labs" soll es so genannten "Incubation Support" geben. Das heißt: Betreuerinnen und Betreuer helfen den Ideengebern beim Umgang mit den Tools, die dort für den Prototypenbau existieren, helfen bei der CAD-Visualisierung, bewerten mittels Geschäftsmodellen und stellen den Kontakt zu potenziellen Partnern für die Umsetzung her oder unterstützen beim Crowdfunding. Für den Zugang zu diesen "Innovation Labs" sollte das Einkommen kein Kriterium sein - die Finanzierung dieser Zentren könnte etwa vom Austria Wirtschaftsservice (aws) übernommen werden, so Cebrat.
Technischer Fortschritt vs. Soziale Innovation
Dass soziale Innovationen gegenüber technischen und industriellen Innovationen häufig ins Hintertreffen geraten, hat Josef Hochgerner vor zwanzig Jahren dazu bewogen, das ZSI zu gründen. "Als Soziologe habe ich mich gefragt, wie es sein kann, dass wirtschaftliche Effekte von industrieller Innovation sogar noch finanziell gefördert werden, während die soziale Innovation außen vor bleibt", sagt Hochgerner.
Inzwischen habe sich aber ein Bewusstseinswandel - auch unter Politikerinnen und Politikern - ergeben. "Krisenbedingt sind soziale Innovationen und deren Förderung heute im Mainstream angekommen. Politiker haben eingesehen, dass technische Innovation alleine die Probleme nicht lösen wird, nehmen Sie etwa die hohe Jugendarbeitslosigkeit", so Hochgerner.
European School of Social Innovation
Um Organisationen, wissenschaftliche Institutionen und all jene, die sich in Europa mit sozialer Innovation beschäftigen, besser zu vernetzen, wurde nun vom ZSI gemeinsam mit Kollegen von der Sozialforschungsstelle (sfs) der TU Dortmund der Verein "European School of Social Innovation" (ESSI) ins Leben gerufen. Ziel ist neben der Vernetzung, dem Sichtbarmachen und Bündeln von neuen Aktivitäten, übergreifende Grundlagen auf dem Gebiet der sozialen Innovation zu schaffen.
Darunter fallen einerseits wissenschaftliche Grundlagen, Definitionen und Methoden. Aber auch die Frage nach der Ausbildung bzw. der Qualifikation, die ein Mensch mitbringen muss, wenn er sich beruflich mit sozialen Innovationen beschäftigt, soll innerhalb dieser Dachorganisation bearbeitet werden. In Österreich etwa gibt es seit dem Frühjahr 2013 den weltweit ersten Studiengang M.A. In Social Innovation an der Donau Universität Krems.
Josef Hochgerner geht davon aus, dass sich in den kommenden Jahren immer mehr Institutionen der European School of Social Innovation anschließen werden. Denn bereits jetzt bestehe ein reges Interesse, und ein britischer Kollege habe ihm bereits prophezeit, dass die Idee dieses Netzwerks "zum Erfolg verdammt ist".
Theresa Aigner, science.ORF.at
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