Laut den Forschern um Julia Mossbrigde von der Northwestern University kann man mit Messungen derselben umgekehrt auch feststellen, ob jemand ein guter oder ein schlechter Leser ist.
Den Sinn erfassen
Die Studie in "Frontiers in Human Neuroscience":
"Neural activity tied to reading predicts individual differences in extended-text comprehension" von J. Mossbridge et al., erschienen am 6. November 2013.
Sinnerfassendes Lesen ist eines der Schlagworte in gängigen Bildungsdebatten. Diese Fähigkeit braucht man in fast allen Lebensbereichen, nicht nur, um Bücher zu verstehen. Schon beim Lesen von Gebrauchsanleitungen muss man begreifen, welche Bedeutung sich hinter den einzelnen Wörtern versteckt.
Dass es hier bei Jung und Alt große Defizite gibt, zeigen die Auswertungen der letzten PISA-Studie sowie die erst vor kurzem veröffentlichten Ergebnisse PIAAC-Studie der OECD, einer Art PISA-Test für Erwachsene. Dieser zeigte, dass schon sehr einfache alltägliche Aufgaben, wie das Verstehen einer Liste von Kindergartenregeln, manche an die Grenze ihrer Möglichkeiten bringt.
Was macht jedoch einen guten Leser aus? Einzelne Wörter und ihren Sinn zu erfassen, ist nur die unterste Basis. Schon auf Satzebene müssen die richtigen Querverbindungen gefunden werden. Für das Verstehen eines längeren Textes, muss das Gehirn eine ganze Menge leisten: Zusammenhänge erfassen und behalten, zeitliche oder kausale Reihenfolge erkennen, einen roten Faden legen, etc. Das reicht bis zur Verknüpfung mit der Welt bzw. anderen Texten.
Denkleistungen messen
Ob man diese Mehrarbeit des Gehirns auch messen kann, hat das Team um Mossbridge jetzt untersucht. Bei den von ihnen durchgeführten Experimenten mussten die Probanden vordergründig einen Worterkennungstest absolvieren. Auf einem Bildschirm wurden dafür hintereinander einzelne Wörter gezeigt. Die Teilnehmer mussten diese lesen. In einer Version gaben die Wörter einen zusammenhängenden Text wieder, in einer anderen wurden dieselben Wörter in zufälliger Anordnung abgespielt. Bei der geordneten Darstellung wurden die Probanden zusätzlich aufgefordert, den Sinn zu erfassen, um hernach einen Verständnistest zu absolvieren.
Während dieser Tätigkeiten wurde die Gehirnaktivität der Teilnehmer mittels EEG (Elektroenzephalografie) aufgezeichnet. Die Messung der Gehirnströme ergab eine erhebliche Diskrepanz zwischen guten und schlechten Lesern. Bei jenen, die trotz Aufforderung zum Verstehen, nicht sehr gut begriffen hatten, worum es in dem Text geht, unterschied sich die Gehirnaktivität kaum von der Verarbeitung der ungeordneten Wörter. Bei den guten Lesern hingegen hatte diese bei der Verständnisaufgabe deutlich zugelegt - für die Forscher ein Beleg dafür, dass sinnerfassendes Lesen dem Gehirn auch einiges abverlangt.
Anhand der gemessenen Aktivität konnten die Forscher eigenen Angaben zufolge mit einer Genauigkeit von fast 90 Prozent angeben, wie gut die Teilnehmer den Text verstanden hatten. Leseverständnis sei offenbar eine eigenständige Fertigkeit des Gehirns, die manchen einfach fehlt, obwohl sie prinzipiell lesen können. Die Methode stelle eine neue Möglichkeit dar, dieses mangelnde Verständnis mit Hilfe von Gehirnstrommessungen zu identifizieren. Um diese Form der Leseschwäche zu bekämpfen, braucht es aber vermutlich andere Ansätze.
Eva Obermüller, science.ORF.at