Der Autor Alexander Mitterer und der Medienhistoriker Josef Seethaler diskutieren über das turbulente Leben der österreichischen Schauspielerin und Erfinderin.
science.ORF.at: Wer war Hedy Lamarr und warum ist sie interessant?
Theaterstück
"Secret Communication 88 - Das Leben der Hedy Lamarr" von Alexander Mitterer und Erik Jan Rippmann hatte am 7. November Premiere.
Weitere Aufführungen: 8., 9., 13., 14., 15., 22. und 23. Nov., 20 Uhr im TTZ Tanz und Theaterzentrum Graz, Viktor Franz Straße 9.
Alexander Mitterer: Hedy Lamarr war die erste Nackte der Filmgeschichte. Der Film "Ekstase" wurde 1933 uraufgeführt, löste einen Riesenskandal aus und rief sogar heftige Proteste des Vatikans hervor. Sie war auch die erste "Sissy" im Theater an der Wien. Später heiratete sie den Waffenproduzenten Fritz Mandl - im Laufe dieser Ehe hat sie sich autodidaktisch ein immenses technisches Wissen erworben.
Dann floh sie vor ihrem Mann, landete in Amerika, wurde in Hollywood als "Schönste Frau der Welt" beworben und zur am besten verdienenden Schauspielerin. Im Jahr 1942 machte sie mit George Antheil, dem "Bad Boy" der amerikanischen Musik, eine aufsehenerregende Entdeckung: das sogenannte Frequenzsprungverfahren, das die Grundlage für die Mobilfunkkommunikation und Teile des Internets darstellt.
Lecture
Am 11. November findet der nächste Termin der "Hedy Lamarr Lectures" statt, einer Veranstaltungsreihe der Akademie der Wissenschaften, die sich mit Kommunikationstechnologien und deren gesellschaftlichen Folgen beschäftigt.
Susanne Fengler, Leiterin des Erich-Brost-Instituts für internationalen Journalismus an der TU Dortmund, spricht um 18.15 Uhr im Theatersaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Wien 1, Sonnenfelsgasse 19) über "Journalisten im Twitter-Gewitter: Der Bürger als neue 'fünfte Gewalt'".

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Josef Seethaler: Ein Grund, warum wir uns mit Hedy Lamarrs Leben beschäftigen sollten: Sie verkörperte schon zu ihrer Zeit ein modernes Frauenbild, dessen Realisierung noch nicht einmal heute gelungen ist. Sie hatte ein entkrampftes Verhältnis zu ihrem Körper - was im Übrigen dazu geführt hat, dass der Film "Ekstase" nur in zensurierter Fassung gezeigt wurde.
Die Bilder in diesem Text stammen aus: "Hedy Darling - Das filmreife Leben der Gedy Lamarr". Von Jochen Förster und Anthony Loder. Ankerherz Verlag 2012.

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Und sie hinterfragte ihre Vermarktung äußerst kritisch, obwohl sie diese Rolle natürlich auch angestrebt hat. Kritische Beweggründe hatte sie auch bei ihren anderen Erfindungen, sie hat ja nicht nur das Frequenzsprungverfahren entwickelt.
Alexander Mitterer: Zum Beispiel bewegliche Flugzeugflügel, Toilettensitze …
Josef Seethaler: Hitlers Machtübernahme und der Zweite Weltkrieg waren für Sie mit Sicherheit eine wichtige Motivation, um sich mit technischen Problemen zu beschäftigen.
Lamarr war offenbar auf mehreren Gebieten Pionierin. Wie ist zu erklären, dass sie bis vor kurzem in Österreich völlig unbekannt war?
Alexander Mitterer: Nicht nur in Österreich. Wenn Sie heute Passanten auf dem Walk of Fame den Stern von Hedy Lamarr zeigen - niemand weiß, wer diese Frau war. Sie war der Big Star der 40er und 50er Jahre und wurde total vergessen.
Warum?
Alexander Mitterer: Vielleicht gab es rechtliche Gründe, ihr Andenken möglichst in den Hintergrund zu schieben. Eines ist klar, in den 50er Jahren hat die US-Navy an dem Patent von Hedy Lamarr und George Antheil weitergearbeitet, ohne die beiden zu informieren. 1959 ist das Patent ausgelaufen. Ich spekuliere - und als Autor darf ich ja spekulieren: Mit diesem Patent verdienen Firmen heute Milliardenbeträge, Tantiemen wurden dafür nie bezahlt.
Ö1-Sendungshinweis
Über dieses Thema berichtet auch "Wissen aktuell", 8.11.2013; 13:55 Uhr

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Ist das plausibel aus ihrer Sicht?
Josef Seethaler: Ja, durchaus. Obwohl es, wie gesagt, eine Spekulation ist. Dass sie als Erfinderin in Vergessenheit geraten ist, wundert mich zunächst nicht so sehr. Denn Lamarr war eine Frau und Antheil war Musiker. Die beiden gehörten nicht zu den In-Zirkeln der Wissenschaft und konnten sich in diesem Bereich mit Sicherheit nicht vermarkten. Dass sie auch als Künstlerin in Vergessenheit geraten ist, wundert mich schon mehr. Ich vermute, weil sie sich sehr früh gegen Vermarktungsstrategien gewehrt hat.
Alexander Mitterer: Sie hatte ein geschicktes Händchen dafür, Rollen in Filme abzulehnen, die Legenden wurden: Casablanca, Schnee am Kilimandscharo, et cetera. Eine Zusammenarbeit mit Hitchcock hat sie abgelehnt, er war ihr "zu schwammig". Ganz eigenartig. Einerseits hatte sie einen ausgeprägten Instinkt, aber in diesem Bereich hat sie total versagt.
Josef Seethaler: Ich würde das nicht "Versagen" nennen. Sie war eine ungemein selbstsichere Frau, hochintelligent und unangepasst. So sind Aussagen wie gegenüber Hitchcock zu erklären.
Alexander Mitterer: Sie war auch der erste Popstar, noch bevor es Pop überhaupt gab.

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Ein Superstar im Warhol'schen Sinne?
Alexander Mitterer: So ist es, Warhol hat übrigens 1966 einen Kurzfilm über Hedy Lamarr gedreht, "Hedy, the shoplifter".
Josef Seethaler: Nicht zufällig!
Alexander Mitterer: Ein wunderbarer Film …
Herr Mitterer, Sie haben ein Theaterstück über Hedy Lamarr geschrieben. Bitte um eine Kurzfassung.
Alexander Mitterer: Das Stück beginnt mit einer Rückblende im Kaufhaus. Lamarr wurde zwei Mal bei einem Kaufhausdiebstahl ertappt, 1966 und 1991. Ich vermische diese beiden Begebenheiten, um ein Gespräch zwischen dem Kaufhausdetektiv und Lamarr entstehen zu lassen. Das ist der Rahmen. Ihr Leben wird in Rückblenden erzählt.
Bei der Festnahme 1966 rief Lamarr: "Die Welt ist mir etwas schuldig!" Ein Satz, den damals niemand verstehen konnte. Das versuche ich in meinem Stück zu beantworten. Warum ist die Welt Hedy Lamarr etwas schuldig?
Herr Seethaler, was sagen Sie als Medienhistoriker zu dem Stück?
Josef Seethaler: Das Stück hat meiner Ansicht nach zwei Komponenten. Auf der einen Seite die Beschäftigung mit der Persönlichkeit Hedy Lamarrs. Ihre Konflikthaftigkeit ist für mich besonders in jener Szene verdichtet, in der Lamarr und Antheil das Frequenzsprungverfahren erfinden: Hier ringen zwei ganz unterschiedliche Menschen in wechselseitiger Anerkennung, Respekt und erotischer Anziehung um eine gemeinsame Lösung eines Problems. Diese respektvolle Anerkennung war es, die beide immer gesucht haben.

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Die zweite Komponente ist der historische Hintergrund. Der Kampf gegen Hitler und seine perverse Ideologie war in Lamarrs Leben ein entscheidendes Moment. Und ihr Mann, der Waffenproduzent Fritz Mandl, war eine schillernde aber auch problematische Figur. Er hat sowohl mit den Austrofaschisten als auch mit Mussolini Geschäfte gemacht. Sie aber war von seinem klaren Denken fasziniert. Von ihr gibt es den Satz: "'I don't know' was not in him. He knew everything." Ab 1937 war allerdings klar: Sie wollte weg von Mandl, raus aus dieser Ehe.
Alexander Mitterer: 1936 war sie die Geliebte des Vizekanzlers, Fürst Starhemberg...
Josef Seethaler: … den sie instrumentalisiert hat: Sie wollte raus aus dem Goldenen Käfig, in den sie Mandl gesteckt hat und zurück ans Theater.
Alexander Mitterer: Die Szene, in der Mandl die beiden in Budapest aufspürt, habe ich leider nicht in meinem Stück untergebracht.
Josef Seethaler: Man muss dazusagen: Mandl und Starhemberg waren gute, scheinbar beste Freunde. Und Mandl hatte Lamarr das Schauspielen verboten. Er hat auch in einem Anfall der Eifersucht sämtliche Kopien von "Ekstase" aufkaufen lassen.
Alexander Mitterer: Was wiederum zu einem phantastischen Schwarzhandel geführt hat. Denn Mandl hat bar bezahlt und gut bezahlt. Zur Anbindung an die Politik möchte ich noch sagen: Für mich ist Hedy Lamarr noch viel besser als Forrest Gump, der ja auch die Weltgeschichte durch Zufälligkeiten mitgelenkt hat. Denn in ihrem Leben spiegelt sich die ganze Kultur und Unkultur des 20. Jahrhunderts. Und im Gegensatz zu Forrest Gump ist es wahr - und viel, viel schöner.
Josef Seethaler: Sie war der festen Überzeugung, den Dritten Weltkrieg verhindert zu haben, weil John F. Kennedy in der Kubakrise auf eine ihrer Erfindungen zurückgreifen konnte.
Kann man das so sehen?
Alexander Mitterer: Belegt ist, dass die US-Navy das Frequenzsprungverfahren 1962 während der Kubakrise erstmals für die Kommunikation eingesetzt hat. Und die Russen konnten es nicht knacken. Sie wussten nicht, was die Amerikaner planen. Und das wusste Hedy Lamarr. Ich glaube, es war für sie eine tiefe Kränkung, dass sich nie jemand bei ihr bedankt hat. Das ist die Tragödie ihres Lebens.
Josef Seethaler: Das ist ganz sicher so. Ob ihre Einschätzung in Bezug auf den Weltkrieg stimmt - das ist eine andere Frage. Das Interessante für mich ist, dass sich Lamarr im fortgeschrittenen Alter viel stärker über ihre Tätigkeit als Technikerin und Erfinderin definiert hat als über ihre Schauspielkarriere. Da stand sie vor einem riesigen Problem: Als Frau konnte man sich in der Wissenschaft in den 40er und 50er Jahren kaum Gehör verschaffen. Und grundlegend hat sich das bis heute nicht verändert.

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Herr Mitterer, Ihr Stück heißt "Secret Communication 88". Was hat es mit dem Titel auf sich?
Alexander Mitterer: "Secret Communication" hieß das interne Kommunikationssystem der US-Navy im Jahr 1962. "88" nimmt Bezug auf die Tatsache, dass die Erfindung des Frequenzsprungverfahrens auf einer musiktheoretischen Überlegung basiert. Das Klavier hat 88 Tasten: George Antheil wollte bei der Uraufführung seines Hauptwerkes 16 Pianolas zu synchronisieren - was ihm nicht gelang. Zusammen mit Lamarr, der er in Hollywood begegnete, konnte er dieses Problem lösen.
"88" ist auch das numerologische Zeichen für HH. Lamarr wollte mit ihrer Erfindung zum Sieg gegen Nazideutschland beitragen. Und wenn man die Acht querlegt, ergibt sich das Zeichen für Unendlichkeit. Mit diesem Verfahren gibt es fast unendlich viele Möglichkeiten, Frequenzen zielgenau zu senden.
Josef Seethaler: Dieses Zusammenspiel ist für mich faszinierend …
Alexander Mitterer: … in einer Hinsicht hat das Schicksal offenbar einen Fehler gemacht - das tut mir sehr leid. Als Lamarr wegen Ladendiebstahls verhaftet wurde, lag der Wert der gestohlenen Waren nur bei 86 Dollar, nicht bei 88.
Josef Seethaler: Das wäre im Stück gut gekommen!
Alexander Mitterer: Vielleicht haben sich die Verkäufer verrechnet.
Josef Seethaler: Können wir aus der Geschichte lernen?
Alexander Mitterer: Zu dieser Frage sollten eigentlich Frauen sprechen. Lamarr war eine Vorreiterin in Bezug auf Emanzipation, Freiheitswillen und Selbstbestimmung. Sie wollte ein Hollywoodstar werden - und musste dadurch viel dümmer erscheinen, als sie tatsächlich war. In dem Moment, da sie sich von diesem Schein verabschiedete und ihrem wirklichen Sein zuwandte, wurde sie fallen gelassen. In diesem Moment begann ihr Abstieg.
Josef Seethaler: Ich glaube, wir sollten uns fragen, wie es um unsere Lebenswelt bestellt ist. Leben wir in offenen Systemen, die Nonkonformität zulassen und sich dadurch verändern und weiterentwickeln können, oder leben wir in geschlossenen, starren Systemen?
Dazu gehört auch die von Ihnen zu Beginn des Gesprächs erwähnte Nacktszene in "Ekstase": War es wirklich die Nacktszene, die zu einer so großen Empörung geführt hat? Oder weil sie eine Frau verkörperte, die die patriarchale Ordnung auf den Kopf stellt? Sie heißt in diesem Film nicht zufällig Eva. Aber diese Eva ist eine aktive Frau, die sich ihren Adam sucht - und nicht umgekehrt.
Moderation: Robert Czepel
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