Standort: science.ORF.at / Meldung: "Kindheit zwischen Propaganda und Ernüchterung"

Deutsche Kriegsgefangene tragen verwundete britische Soldaten an der Westfront des Ersten Weltkriegs, 1916 bei der Schlacht an der Somme .

Kindheit zwischen Propaganda und Ernüchterung

Der Erste Weltkrieg veränderte nicht nur Europa und die Welt nachhaltig, sondern er hinterließ auch Spuren in den Seelen der Menschen, die ihn durchlebten. Besonders betroffen davon waren die Kinder dieser Zeit.

Erster Weltkrieg 07.11.2013

Eine Tagung des Instituts für Österreichkunde widmete sich in St Pölten drei Tage lang dem Thema "Kindheit und Schule im Ersten Weltkrieg". Dabei zeigte sich ein Bild, das zwischen der Indienstnahme der Kinder für den Krieg und - letztlich - Ernüchterung angesichts der drohenden Niederlage oszilliert.

Instrumentalisierung der Kinder

Begonnen hat alles im Sommer 1914 mit "Hurra-Patriotismus" und Kriegsbegeisterung auf allen Ebenen - natürlich auch in den Schulen! Gleich zu Beginn meldeten sich in Österreich mehr Jugendliche zu Kriegs- oder Hilfsdiensten, als anfangs genommen werden konnten. Gerade bei den Kindern und Jugendlichen wirkte die gar nicht subtile, sondern eher handfeste Kriegspropaganda. Mit Eifer strickten die Mädchen Kleidung als "Liebesgaben" für die Frontsoldaten, sammelten Buben und Mädchen Beeren und Kräuter, andere Materialien und Geld.

Ö1 Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen Aktuell am 7.11. um 13:55.

"Man kann sagen, dass diese 'Schulfront' im Ersten Weltkrieg auch als Hebel in die Familien eingesetzt wurde", erklärt die Wiener Historikerin Christa Hämmerle. Nicht wenige Eltern zeichneten Kriegsanleihe, weil sie von ihren Kindern dazu gedrängt wurden!

Im Ersten Weltkrieg sei es zu einer sehr weitgehenden "Aufhebung von Kindheit als Schonraum und Instrumentalisierung der Kindheit durch den kriegsführenden Staat" gekommen, sagt Hämmerle.

Um bei der auch über die Schulen durchgeführten Sammelaktion "Gold gab ich für Eisen" besonders gute Ergebnisse zu erzielen, wurde das Konkurrenzgefühl zwischen Schülern und Schülerinnen gefördert, indem die Ergebnisse in ein Sammelbuch eingetragen und besonders "fleißige" Kinder belohnt wurden.

Veränderter Unterricht

Besonders interessant ist aber die Entwicklung der "Schulfront" im Spiegel des eigentlichen Unterrichts.

Der Salzburger Historiker Alexander Pinwinkler hat sich speziell den Schulbüchern in den Fächern Geschichte und Geographie jener Jahre gewidmet. Von den patriotischen Kriegsanhängen an die Lesebücher bis zu den geradezu mythischen Heldenepisoden aus der Habsburgergeschichte reicht der Bogen, aber gegen Ende, als die Väter schon gefallen waren, zeigte sich bei den meisten Schülern und auch Lehrern Ernüchterung. Pinwinkler zitiert einen Maturanten des Salzburger Akademischen Gymnasiums, der im Oktober 1918 in seiner Arbeit schrieb:

"Der Weltenbrand sinkt allmählich in sich zusammen. Der Friede wird kommen, und eine neue Zeit muss sich die Menschheit in neuen Verhältnissen schaffen…. Dem Frieden eine Stätte! Dem Schönen ein Heim!"

Was noch ein Jahr zuvor wohl wie bei Karl Kraus so oft zitiert- als "Friedenswinselei" denunziert worden wäre, stieß hier auf Verständnis der Lehrerschaft : Der Schüler wurde belobigt, die Maturaarbeit mit einem "Sehr gut" versehen. Anders als im Zweiten Weltkrieg konnte zumindest 1918 also die Kriegsmüdigkeit offen geäußert werden - sogar mit einer guten Note bedacht …

Martin Haidinger, Ö1 Wissenschaft

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