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Karlstrakt: Erweiterungsbau der Technischen Hochschule Wien

"Ingenieure" gibt es seit dem Ersten Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg gilt als "Krieg der Ingenieure". Gemeinsam mit Naturwissenschaftlern entwickelten sie Giftgase, Flugzeuge und Panzer und vervielfachten damit die bis dahin bekannten Tötungsmöglichkeiten. Wie Wissenschaft, Technik und Militär zusammenhingen, versucht eine Tagung an der Technischen Universität (TU) Wien zu ergründen.

Geschichte 13.11.2013

Juliane Mikoletzky, die Leiterin des Archivs der TU Wien, hat die Rolle der ehemaligen "Technischen Hochschule Wien" genauer untersucht und sich dazu Akten und Unterlagen aus der Zeit vor 100 Jahren angesehen. Ihr vorläufiges Resümee ist ambivalent: Zum einen hat die Hochschule Studierende und Lehrende "an den Krieg verloren".

Veranstaltungshinweis:

Vom 14.-15.11.2013 findet das von der Ignaz-Lieben-Gesellschaft veranstaltete Symposion "Wissenschaft, Technik, Industrie und das Militär in der Habsburgermonarchie im 1. Weltkrieg" statt.
Ort: TU Wien, Boecklsaal, Karlsplatz 13, 1040 Wien

Links:

Ö1 Sendungshinweis:

Über das Thema berichtet auch "Wissen Aktuell" am 13. November 2013 um 13.55 Uhr.

Zum anderen wurden die technischen Wissenschaften und der Beruf des Ingenieurs durch den Krieg gesellschaftlich aufgewertet. Und das schlug sich mehrfach nieder, an der Technischen Hochschule in Wien etwa in der Gründung neuer Abteilungen und in der rechtlich gesicherten Standesbezeichnung "Ingenieur".

science.ORF.at: Den Titel Ihres Vortrags schmückt das Zitat "An der Seite der Heerführer steht der Ingenieur" - woher stammt das?

Juliane Mikoletzky: Aus der Antrittsrede des Rektors Max Bamberger im Herbst 1916. Er hat darin über den Wert der chemischen Forschung für den Krieg gesprochen und festgestellt, dass technische Geräte und Verfahren deutlich stärker zum Einsatz kommen, als man das aus bisherigen Kriegen kannte. Bamberger rief die Ingenieurswissenschaften auf, ihren Beitrag dazu zu leisten.

War das die Mehrheitsmeinung unter den Technikern?

Andere Professoren des Hauses haben sich ähnlich geäußert. Die allgemeine vaterländische Euphorie wurde zumindest zu Kriegsbeginn auch an der Technischen Hochschule geteilt. Man hat die Möglichkeiten, die der Krieg für die Ingenieure geboten hat, sofort gesehen. Seit dem 19. Jahrhundert hatten sie für eine Verbesserung ihres sozialen Status gekämpft. Ihre Hoffnung während des Kriegs - aber auch danach - war es, dass sie mit ihren Kompetenzen sozial stärker anerkannt werden.

Das hat ja offenbar funktioniert. Im titelwütigen Land Österreich wurde der Titel des "Ingenieurs" 1917 eingeführt …

Ingenieur war vor und nach 1917 kein Titel oder akademischer Grad, sondern eine sogenannte Standesbezeichnung. Aber es stimmt: Das Recht, dass sich Absolventen eines Technikstudiums "Ingenieur" nennen dürfen, wurde 1917 eingeführt. Der Krieg und die Rolle, die Ingenieure in diesem Krieg gespielt haben, haben den Erlass dieser kaiserlichen Verordnung zweifellos befördert.

Was hat der Erste Weltkrieg die Technische Hochschule konkret verändert?

Zuerst das Faktische: Es sind sehr schnell sehr viele Angehörige des Hauses rekrutiert worden. Vor dem Krieg 1913/14 gab es ca. 3.000 Studierende, 1917 nur noch ca. 500. Der Aderlass war also beträchtlich, auch viele Lehrende sind eingezogen worden oder haben in ihrem Beruf Kriegsdienst geleistet. In den ersten Kriegsmonaten bot das Rektorat auch zahlreichen Stellen Hilfsdienste an, - etwa Studierende als Chauffeure oder Versorger der durchreisenden Truppen. Aber diese Angebote wurden zumeist nicht angenommen, weil durch die Mobilisierung der Arbeitsmarkt total zusammengebrochen und die Produktion mit Ausnahme der Rüstung größtenteils stillgestanden war.

Gab es Bereiche, die als kriegsnotwendig eingeschätzt und somit von diesen Entwicklungen ausgespart wurden?

Nein, an der Hochschule wie auch im Rest der Gesellschaft dachte man zu Beginn des Kriegs, dass er bald vorbei sein würde. Deshalb hat es die erwähnten Entwicklungen gegeben. Erst mit Dauer des Kriegs begann man zu überlegen, wer für die Fortführung des Krieges notwendig ist und wer nicht. Erst dann gab es Ansuchen um die Befreiung vom Kriegsdienst - etwa für Labordiener, wiewohl in deutlich geringerem Umfang, als das im Zweiten Weltkrieg der Fall war.

Inwiefern war die Hochschulforschung wichtig für den Krieg?

Die Hochschule ist zunächst von verschiedenen Institutionen als Ressource genutzt worden. Zu Kriegsbeginn wurde wie an anderen Universitäten ein Hilfsspital eingerichtet, die Vermisstensuchstelle vom Roten Kreuz war ab 1916 hier untergebracht, dazu unterschiedliche Militär- und Verwaltungsstellen. Die Heeresverwaltung hat in den durch den Studentenmangel leerstehenden Labors der Hochschule geforscht, zum Teil mit Assistenz von Wissenschaftlern, die selber an ihrem Arbeitsplatz zum Kriegsdienst abgeordnet waren. Das ist nicht im engeren Sinne Hochschulforschung, sondern Forschung direkt für das Militär oder für Militär-Zulieferer, etwa im Bereich der Chemie. Generell ist die Frage nicht einfach zu beantworten, weil es im Archiv der TU Wien nur wenige Dokumente dazu gibt: Aber soweit ich das überblicke, gibt es - ganz anders als im Zweiten Weltkrieg - keine Forscher, die aus eigenem Antrieb kriegswichtige Forschungsprojekte begonnen haben.

Karlstrakt: Erweiterungsbau der Technischen Hochschule Wien

Archiv der TU Wien

Karlstrakt: Erweiterungsbau der Technischen Hochschule Wien; das Kriegshilfsspital war im Untergeschoss, in Teilen des Erdgeschosses und in den drei Stockwerken darüber untergebracht. Bild: Archiv der TU Wien

Was wäre eines der wenigen Beispiele?

Die meisten waren natürlich geheim. Aber man weiß etwa, dass Richard Knoller im aeromechanischen Laboratorium in enger Zusammenarbeit mit dem k.u.k. Fliegerarsenal Flugzeuge konstruiert hat. Der Chemiker und spätere Rektor Max Bamberger hat sich u.a. mit Ammoniaksynthese beschäftigt, allerdings nicht an der TH, sondern v.a. in der Pulverfabrik Blumau.

Hat die k.u.k.-Verwaltung alles von der Hochschule bekommen, was sie wollte?

Nein, sie hat z.B. versucht, kriegsrelevante Vorlesungen als Pflichtfächer mit Prüfungszwang zu etablieren. Das Ziel war salopp formuliert, das "Kanonenfutter" besser zu konditionieren, damit es im Krieg schneller eingesetzt werden kann. Das ist aber auf keiner Hochschule in Österreich gelungen, alle Rektoren haben sich gleich dagegen ausgesprochen und diese Kriegsfächer verhindert. So zivil waren die Hochschulen in ihrem Selbstverständnis also schon: Sie wollten nicht, dass Externe in ihre Autonomie eingreifen, und schon gar nicht das Kriegsministerium.

Gibt es Bereiche, wo die Hochschule durch den Krieg definitiv profitiert hat?

Bestimmte Entwicklungen, die zum Teil schon vor dem Krieg begonnen haben, wurden durch den Krieg beschleunigt. 1920 wurde die Unterabteilung für technische Physik eingerichtet, und das war sicher eine direkte Folge der Aufwertung der anwendungsorientierten technischen Physik durch Kriegsforschungen. Ähnliches gilt für die Einrichtung einer Unterabteilung für Gas- und Feuerungstechnik im gleichen Jahr.

Prinzipiell ist es schwierig zu beantworten, ob die Hochschule vom Krieg profitiert hat oder nicht. Das ist ambivalent. Zum einen: Es wurde zwar wie im ganzen Hinterland nichts zerstört, aber die Einrichtungen sind im Krieg stark abgenutzt worden, nichts wurde repariert, im Zuge der Metallablieferungen wurden Türklinken, Kerzenhalter, aber auch wissenschaftliche Geräte abgeliefert. Es hat also neben den Studierenden auch viel anderes gefehlt.

Aber zum anderen: Die Studierenden sind wieder gekommen, und zwar in sehr viel größerer Zahl als vor dem Krieg, und es ist zu den erwähnten strukturelle Neuerungen gekommen. Profitiert hat die TH Wien sicher davon, dass das Militär nach Kriegsende in Österreich stark reduziert wurde, sonst hätte sie das Gelände am Getreidemarkt, wo früher das k.u.k. Technische Militärkomitee gesessen ist, nicht bekommen.

Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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