Nachdem er 2009 den Nobelpreis für seine Forschungen an Telomeren erhalten hatte, wandte sich Jack Szostak neuen wissenschaftlichen Ufern zu. Wie andere Laureaten vor ihm. Francis Crick und Gerald Edelman etwa hatten sich einst nach ihrer Auszeichnung durch die schwedische Akademie auf die Hirnforschung verlegt und sich auf die Suche nach dem Geist in den Neuronen gemacht. Szostak nahm das zweite große Rätsel der Biologie in Angriff. Wie entstand das Leben auf der Erde?
"In den nächsten zehn Jahren wird es möglich sein, eine lebendige Zelle im Labor herzustellen", erklärte der US-Biologe Colin Pittendrigh anno 1967. Eine Prognose, die sich als etwas voreilig erweisen sollte. Die Verhältnisse verkomplizierten sich. Je mehr in den folgenden Jahren über die Chemie der Urzellen bekannt wurde, desto weiter entfernte sich das Ziel, dereinst die Ursuppe im Labor nachkochen zu können.
Das Kopier-Problem
Als Szostak in dieses Forschungsgebiet einstieg, war zumindest klar: Die DNA dürfte nicht von Beginn an das Erbmolekül gewesen sein. Bessere Chancen hat indes die RNA, sie ist chemisch reaktiv und kann, wie man seit den 80er Jahren weiß, nicht nur genetische Information speichern, sondern als Katalysator auch Reaktionen lenken und beschleunigen. Szostak fand heraus, dass sich RNA-Bausteine unter geeigneten Bedingungen an einen bereits vorhandenen RNA-Strang anlagern und so einen neuen Strang erzeugen. Etwas Ähnliches passiert auch bei der Zellteilung in unserem Körper. Zwar ist es hier die DNA, die kopiert wird, der Vorgang ist wesentlich komplizierter und bei weitem nicht so fehleranfällig, dennoch: Kopien werden da wie dort erzeugt.
Wer die Entstehung des Lebens vor vier Milliarden Jahren aufklären will, muss zunächst das Xerox-Problem lösen. Denn ein Erbmolekül, das nicht kopiert werden kann, ist praktisch betrachtet gar kein Erbmolekül.
Zerbrechliche Zellhüllen
Nachdem Szostak dieses Problem zumindest näherungsweise gelöst hatte, versuchte er die nächste Zutat der Ursuppe zu rekonstruieren. Eine Prise Selektion. Die Auslese als treibende Kraft der Evolution muss schon in Urzeiten gewirkt haben. Die Konkurrenz zwischen RNA-Molekülen funktioniert nur dann gut, wenn diese ihre Eigenschaften exklusiv an ihre Nachkommen vererben. Dazu braucht es eine Zellhülle.

Jack W. Szostak
Fettsäuren eignen sich für diese Aufgabe. Sie bilden in Wasser kugelförmige Gebilde, die sich spontan teilen. Diese "Vesikel" könnten wie mikroskopische Fettaugen in der Ursuppe geschwommen sein und mit eingewanderten RNA-Molekülen die erste Protozelle gebildet haben.
So einfach die Idee, so schwierig die Umsetzung im Labor. Szostaks RNA-Rezeptur lieferte nämlich nur dann die erwünschten Ergebnisse, wenn er der Molekülmischung Magnesium-Ionen zusetzte. Magnesium ermöglicht RNA-Kopien, allerdings zu einem hohen Preis. Denn das Ion hat einen verheerenden Einfluss auf die Stabilität der Fettsäure-Membranen.
Chemisches Fossil?
Entweder die Hülle oder die Fülle, beides schien man bei der Rekonstruktion der Protozelle nicht bekommen zu können. Bis Szostaks ehemalige Dissertantin Katarzyna Adamala eine erstaunlich einfache Lösung fand. Wie die beiden nun im Fachblatt "Science" schreiben, schützt Citrat (ein Salz der Zitronensäure) die Membranen vor dem Zerfall. Die Substanz umschließt das Magnesium wie die Hand einen Tennisball und macht das Ion dadurch unschädlich. Die positive Wirkung des Magnesiums auf die RNA bleibt hingegen erhalten. Problem gelöst.
Dass gerade Citrat die Stabilität der Zellmembranen ermöglicht, ist für die Leute aus der Branche eine gute Nachricht. Denn das Molekül spielt auch bei der Zellatmung von Tieren und Pflanzen eine zentrale Rolle - durchaus möglich, dass es sich dabei um ein chemisches Fossil handelt, das von Urzeiten bis heute in Zellen überdauert hat.
Freilich gibt es noch eine Reihe offener Fragen. Szostak hat für seine Versuche chemisch angeregte RNA-Bausteine verwendet, deren natürliche Entstehung bis heute ungeklärt ist. Streng genommen dürfte man auch keine RNA-Stränge in die Reaktionslösung geben, ohne zu wissen, wie sich diese spontan - also ohne die helfende Hand des Wissenschaftlers - bilden können.
Doch Szostak ist optimistisch, die ausstehenden Probleme ebenfalls lösen zu können. Sein Kollege Gerald Joyce sagte kürzlich gegenüber "Science": "Gegen Jack sollte man besser nicht wetten. Er hat eine gute Nase dafür, wie man vorankommt."
Robert Czepel, science.ORF.at
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