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eine alte Filmrolle

"Bilder zum Sprechen bringen"

Historische Vorgänge zu illustrieren ist alles andere als einfach. Das gilt nicht zuletzt für die Geschehnisse im Nationalsozialismus. Noch schwieriger ist es, die Bilder selbst "zum Sprechen zu bringen", weil Filme eine begrenzte Lebensdauer haben und durch die Bearbeitung beschädigt werden können.

Filmwissenschaft 16.12.2013

Die Digitalisierung bietet dabei gute Möglichkeiten. Der Historiker Ingo Zechner skizziert in einem Gastbeitrag eine Technologie, die eine genaue Beschreibung historischer digitalisierter Filmaufnahmen ermöglicht.

Ephemere Filme: Nationalsozialismus in Österreich

Von Ingo Zechner

Über den Autor:

Porträtfoto des Historikers Ingo Zechner

Ingo Zechner

Ingo Zechner ist Co-Leiter des Projekts "Ephemere Filme: Nationalsozialismus in Österreich" sowie Wissenschaftskoordinator und stellvertretender Direktor des IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien.

Veranstaltungshinweis:

Am 16.12. hält Ingo Zechner einen Vortrag mit dem Titel "Das Evidenz-Bild: Nationalsozialismus in Österreich"

Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien; Zeit: 18 Uhr c.t.

Links:

Jahrestage sind beliebte Anlässe für Fernsehsendungen. Der 12. März, der 9. und 10. November 1938 sind dabei keine Ausnahmen. Wer hatte beim Ansehen von Dokumentationen über die NS-Zeit noch nie das Gefühl, das eine oder andere Bild schon einmal gesehen zu haben? Das Projekt "Ephemere Filme: Nationalsozialismus in Österreich" widmet sich der Frage nach alternativen Bildern.

Am Anfang steht in der Regel das Skript. Erst dann folgen die Bilder. Die Herstellerinnen und Hersteller von Dokumentationen wissen bereits, was ein Bild darstellen soll, bevor sie es haben. Im professionellen Produktionsprozess ist normalerweise zwar Raum für Anpassungen des Skripts an die Bilder, jedoch nicht für ein Skript, das erst aus den Bildern entsteht.

Dafür gibt es meist ökonomische Gründe. Produzenten wollen üblicher Weise wissen, was am Ende herauskommt und wie lange es dauert. Für Film und Fernsehen gilt seit jeher in besonderer Weise die Formel: Zeit ist Geld. Nicht nur der Dreh neuer Bilder, auch die Suche nach Bildern in Film- und Fotoarchiven braucht Zeit. Ihre Nutzung kostet zusätzliches Geld (Videotransfers, Lizenzgebühren).

Fehlende Bilder

Hinzu kommt eine Art horror vacui des Filmemachens: die Angst vor den schwarzen oder weißen Bildern, vor den Leerstellen im Skript. Wenn nicht gleich zum Reenactment gegriffen wird, werden die Lücken gerne durch symbolische Archivbilder gefüllt. Warum nicht ein Ereignis aus dem Jahr 1938 durch Bilder aus dem Jahr 1939 darstellen und umgekehrt, wenn der Bildinhalt sonst ungefähr passt? Selbst bei vermeintlich passenden Bildern ist das Verhältnis zwischen Bild und Text meist ein illustratives.

Dass ein und dieselben Bilder in unterschiedlichsten Kontexten auftauchen, hat auch mit der begrenzten Menge verfügbarer Bilder zu tun. Filmarchive haben nur einen Teil ihrer Bestände so weit erschlossen, gesichert und in analoge oder digitale Videoformate transferiert, dass sie für die Weiterverwendung ohne größeren Aufwand bereit stehen.

Das sind meist jene Bestände, die bereits einmal nachgefragt wurden. Und nachgefragt wurde, was sich zur Illustration bestimmter Geschichten besonders gut eignet. Das heißt, dass die Menge verfügbarer Bilder zum Teil von der Art ihrer Verwendung abhängt, nicht umgekehrt.

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filmmuseum.at

Alltagsgesten vor einem Hitler-Altar, Wien, Loos Haus, Frühjahr 1938

Verschwindende Bilder

Ephemere Filme sind solche, die in besonderer Weise vergänglich sind. Jeder Film hat eine begrenzte Lebensdauer, wenn man berücksichtigt, dass jede analoge Kopie einen Generationensprung einschließt und jeder Videotransfer nicht nur eine Übertragung, sondern eine Transformation.

Bei Amateurfilmen, Institutionenfilmen, Industriefilmen, Werbefilmen und anderen ephemeren Filmen ist die Lebensdauer durch zusätzliche Faktoren begrenzt. Mit stark limitiertem Zweck und Publikum waren sie nur selten für die dauerhafte Aufbewahrung bestimmt. Von Filmarchiven und Forschung gleichermaßen vernachlässigt, sind sie - wenn überhaupt - oft nur in einer einzigen Kopie und das heißt im Normalfall im Original erhalten.

Die bei diesen Filmen meist verwendeten Schmalfilmformate (16mm, 9,5mm und 8mm) bestehen aus Celluloseacetat, das - abhängig von den Lagerbedingungen - früher oder später zu schrumpfen und sich zu zersetzen beginnt. Kaum nötig zu sagen, dass die Lagerung auf Dachböden, in Kellern oder sonstigen Abstellräumen diese Prozesse meist beschleunigt. Hinzu kommen mechanische Beschädigungen durch frühere Nutzungen wie ausgerissene Perforationslöcher und Kratzer. Lässt man einen solchen Film durch einen Projektor oder sogar durch den Schneidetisch laufen, kann ihn eine einzige Sichtung schwer beschädigen oder zerstören.

Keine gute Voraussetzung für eine intensive Sichtung. Eine solche ist jedoch Voraussetzung, wenn man nicht die Bilder zum Text, sondern den Text zu den Bildern sucht und eine Mikroanalyse der Bilder anstrebt.

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filmmuseum.at

Einer von vielen, Wien, Burgring, Frühjahr 1938

Digitale Bildtechnologien

Die Anfertigung analoger Kopien auf traditionellem Weg ist meist keine Option mehr, weil viele Labors geschlossen haben und die verbleibenden Liebhaberpreise für Schmalfilme verrechnen. Daran lässt sich ablesen, dass der Film mittlerweile zu einem historischen Medium geworden ist: Die Epoche des Films ist vorbei.

Das Medium, das den Film abgelöst hat, ist gleichzeitig jenes, das sich zur Rettung der verschwindenden Bilder anbietet: das digitale Video. Während die Filmindustrie schon länger auf die vollständige Ersetzung analoger durch digitale Formate setzt, haben letztere nur langsam Eingang in die Filmarchive gefunden. Bis heute gibt es keine international verbindlichen Standards für den digitalen Transfer analoger Filme.

Viele Digitalisierungsverfahren tragen die Last des Erbes analoger Fernsehtechnologien (PAL, NTSC). Einmal getroffene Fehlentscheidungen lassen sich in Filmarchiven nur schwer korrigieren, weil die Korrektur meist mit erheblichen Kosten verbunden ist.

filmmuseum.at

Wien, nicht identifizierter Ort, Frühjahr 1938

Im Projekt "Ephemere Filme" wurden daher Mindeststandards definiert: die Berücksichtigung, dass analoge Filme aus Einzelbildern bestehen (Frame by Frame Scans), dass diese Bilder unterschiedliche Seitenverhältnisse haben können (korrektes Bildseitenformat), dass sie an den üblicherweise abgedeckten oder abgeschnittenen Rändern zusätzliche Bildinformationen beinhalten (Open Gate Scans) und dass bei Schmalfilmen die Zahl der Bilder pro Sekunde von Film zu Film zwischen 16 und 24 variiert (korrekte Frames per Second).

Historische Filme müssen nicht die volle Fläche eines Breitbildfernsehers füllen und viel zu schnell laufen.

Synchrone Bildannotation

Für die Tiefen- und Detailerschließung der Filme wurde ein Verfahren entwickelt, das eine präzise Verbindung jeder beliebigen Einheit eines Films (von der Sequenz über die Szene bis zur Einstellung und zum Einzelbild) mit Notizen, geografischen Informationen, weiteren Bildern und anderen Informationen ermöglicht.

Ziel war es, die Konkordanz zwischen dem analogen Original und der digitalen Kopie zu gewährleisten, die Zerteilung von Filmen in einzelne Clips zu vermeiden, den Film in seiner integralen Einheit zu erhalten und dennoch den gezielten Einstieg bei jeder beliebigen Einheit eines Filmes zu ermöglichen.

Die damit verbundene Grundlagenforschung im Bereich der Archivwissenschaften, der Filmkonservierung, der digitalen Technologien und der Digital Humanities (Metadatenstandards, etc.) ist nicht nur Voraussetzung, sondern Bestandteil der kulturwissenschaftlichen Fragen, die sich an diese Filme richten: die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Wissen, Wissen und Gedächtnis, nach einem Umschreiben der Geschichte anhand neuer Bilder, dem Verhältnis von Amateurismus und Dilettantismus, der Beziehung zwischen dem Alltäglichen und Besonderen, den vielsagenden Details am Rande und all dem, was niemand gesehen haben wollte, aber doch da war.

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