In seinem oft als nobelpreiswürdig bezeichneten Experiment realisierte Rauch den ersten Neutronen-Interferometer.
Paradoxe Phänomene
Am liebsten erklärt Rauch, emeritierter Professor für Kernphysik der Technischen Universität (TU) Wien, das Experiment mit dem berühmten Cartoon von Charles Addams, in dem ein Skifahrer verwundert auf seine Spur zurückblickt, die links und rechts eines Baumes verläuft. Solch paradoxe, im Widerspruch zur Alltagserfahrung stehende Phänomene gibt es in der Quantenwelt - etwa die sogenannte Welle-Teilchen-Dualität. Demnach haben Objekte der Quantenphysik sowohl Eigenschaften von Wellen als auch von Teilchen.

Österreichische Zentralbibliothek für Physik
Biographisches zu Helmut Rauch:
Der Weg in die Wissenschaft war für den am 22. Jänner 1939 in Krems (NÖ) geborenen Sohn eines Bundesbahn-Beamten nicht vorgezeichnet, der Vater hätte ihn lieber auf einem sicheren Bahn-Job gesehen. Sein Interesse an der Naturwissenschaft brachte ihn aber zum Studium der technischen Physik, das er ab 1957 an der Technischen Universität (TU) Wien absolvierte. 1965 dissertierte er als einer der ersten Studenten am Atominstitut der österreichischen Universitäten mit dem 1962 in Betrieb genommenen Forschungsreaktor und habilitierte sich 1970 für das Fachgebiet Neutronen- und Reaktorphysik. Mit nur 33 Jahren wurde Rauch 1972 zum Professor für experimentelle Kernphysik der TU Wien berufen und gleichzeitig Vorstand des Atominstituts. Diese Funktion behielt er - unterbrochen nur von einem einjährigen Gastaufenthalt an der Kernforschungsanlage Jülich (Deutschland) - bis 2005. Zwei Jahre später emeritierte er, ist aber weiterhin aktiv und hat noch "viel mehr Aufgaben, als man erledigen kann". Als Vizepräsident (1985-1990) und später als Präsident (1991-1994) des Wissenschaftsfonds FWF engagierte sich der Physiker auch für die Förderung der Grundlagenforschung. In seine Amtszeit als FWF-Chef fällt die Einrichtung von Spezialforschungsbereichen als neue Förderkategorie.
Zu Rauchs Schülern gehörte unter anderem der Experimentalphysiker Anton Zeilinger, heute Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Über seinen Doktorvater hat er einmal gesagt: "Er lehrte mich zu unterscheiden, was wichtig ist und was nicht und dass man nicht unbedingt alles verstehen muss, um eine interessante Frage zu stellen."
Von Lichtteilchen kannte man das schon lange: Fällt Licht durch einen Doppelspalt, entstehen durch Verstärkung und Auslöschung der Lichtwellen helle und dunkle Bereiche ("Interferenz"). Anfang der 1970er-Jahre wusste man auch, dass sich Elektronen so verhalten. Doch die Quantenmechanik sagte dieses Verhalten auch für massive Teilchen voraus, nur gesehen hatte dies noch niemand.
Rauch besuchte in den 1960er-Jahren den Münchner Physiker Heinz Maier-Leibnitz und wusste von dessen vergeblichen Versuchen, ein Neutronen-Interferometer zu realisieren. Der Wiener Physiker wählte deshalb eine andere Methode. Er orientierte sich an und kooperierte mit dem deutschen Physiker Ulrich Bonse, der mit einem Silizium-Kristall erfolgreich ein Interferometer für Röntgenstrahlen gebaut hatte.
Vorbereitung des Experiments
"Nachdem Röntgenstrahlen und Neutronen die gleiche Wellenlänge haben, war es naheliegend, dass man diese Technik vielleicht auch auf Neutronen übertragen kann", erinnert sich Rauch im Gespräch mit der APA. Klar sei gewesen, dass dies nur mit einem perfekten Siliziumkristall gelingen könne.
1971 reichte Rauch beim Wissenschaftsfonds FWF ein Projekt zur Realisierung eines Neutronen-Interferometers ein. Als erster Schritt war ein geeigneter Siliziumkristall notwendig. Aus einem quaderförmigen, rund zehn Zentimeter langen Rohling wurde ein E-förmiger Kristall gesägt. Mehrere Anläufe waren notwendig, bis der Kristall passte. Dann ging es darum, die Technik mit Neutronen aus dem Versuchsreaktor des Atominstituts zu testen.
Grundsätzlich sollte das Interferometer so funktionieren: Sobald die Neutronen auf den ersten Steg des Kristalls treffen, werden sie an den Gitterebenen des Siliziums gebeugt. Der Strahl teilt sich in zwei Strahlen auf, die im Abstand von mehreren Zentimetern parallel laufen. Nach den Gesetzen der Quantenmechanik befindet sich ein nicht teilbares Neutron gleichzeitig in beiden Strahlwegen, es ist also gleichzeitig an verschiedenen Orten.
Am mittleren Steg werden die Neutronen neuerlich gebeugt und am dritten Steg wieder überlagert - wodurch es zu Interferenzerscheinungen kommt. Diese lassen sich verändern, wenn in einem der beiden Strahlen ein Material die Welle geringfügig verzögert. In den Worten der Physiker heißt das, "die Phase der Welle wird verschoben". Mit einem solchen "Phasenschieber" lassen sich verschiedene Verstärkungen und Auslöschungen erzielen.
Rasche Publikation

TU Wien
Am 11. Jänner 1974 beobachtete Rauchs Dissertant Wolfgang Treimer tatsächlich "Interferenzoszillationen beim Drehen eines Phasenschiebers" - selbst ein so massives Teilchen wie ein Neutron, immerhin mit 1.800-mal mehr Masse als ein Elektron, zeigt also Welleneigenschaften. Nach weiteren Messungen mit ähnlichen Resultaten "beeilten wir uns, das zu publizieren", so Rauch. Weil man damals noch "stolz war, in europäischen Zeitschriften zu publizieren", fiel die Wahl auf das Fachjournal "Physics Letters", wo das Paper am 22. April 1974 unter dem Titel „Test of a single crystal neutron interferometer“ dann auch erschien.
Maier-Leibnitz war inzwischen Direktor am Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble (Frankreich) und lud Rauch und sein Team an das internationale Forschungszentrum mit der weltweit stärksten Neutronenquelle ein. "Das war für uns, von einem kleinen Reaktor und aus einem Nicht-Mitgliedsland kommend (Österreich trat erst 1990 dem ILL bei, Anm.), schon eine Auszeichnung", so Rauch.
Doch trotz aller Bemühungen konnten die Physiker ihre Ergebnisse in Grenoble nicht nachvollziehen. Im identen Experimentaufbau wurde zwar Interferenz mit Röntgenstrahlen, nicht aber mit Neutronen beobachtet. Rund ein Jahr lang probierten es die Wissenschaftler und zogen sich dabei "den Hohn etlicher Kollegen" zu, erinnert sich Rauch.
Erfolgreiche Reproduktion
Es blieb den Physikern nichts anderes übrig, als das Experiment am Atominstitut wieder aufzubauen - wo es auf Anhieb wieder klappte. Rauch selbst kam schließlich auf die Lösung: Niederfrequente Schwingungen, in Grenoble etwa von Kühlpumpen des großen Reaktors und der nahen Autobahn, störten das Experiment. Das am Rand des Grünen Praters gelegene Wiener Atominstitut dagegen war zu jener Zeit von störenden Einflüssen verschont.
"Es war sicher Glück, dass wir in Wien begonnen haben. Hätten wir in Grenoble losgelegt, wette ich, dass wir in einer Publikation eine gute Begründung geliefert hätten, warum Neutronen-Interferometrie nicht geht", so Rauch. Sobald man die Ursache wusste, funktionierte das Experiment - mit Schwingungsdämpfung - auch in Grenoble.
Es folgten zahlreiche verschiedene Experimente, um mit Hilfe der Neutronen-Interferometrie verschiedene Vorhersagen der Quantenmechanik zu überprüfen. Rauchs bahnbrechendes Experiment hat der Quantenoptik mit Materiewellen zum Durchbruch verholfen - ein Gebiet, auf dem österreichische Physiker weiterhin zur Weltspitze zählen. Zum Einsatz kommen schon lange nicht nur Neutronen, sondern auch Atome, Moleküle und selbst Atomwolken in speziellen Zuständen (Bose-Einstein-Kondensat).
science.ORF.at/APA