Eine Konferenz am Institut für Osteuropäische Geschichte Universität Wien beleuchtet, was zu der Auflösung geführt hat, und sucht nach historischen Parallelen und Unterschieden.
Ähnliche Struktur, ähnliche Probleme
Die Konferenz "The Collapse of Ottoman and Austria-Hungarian Empires Patterns and Legacies" findet am 16. Und 17. Jänner am Institut für Osteuropäische Geschichte statt.
"Minimale Kosten, absolut kein Blut". Österreich-Ungarns Präsenz im Sandzak von Novipazar (1879-1908) von Tamara Scheer, erschienen 2013.
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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen Aktuell am 17. 1. Um 13:55.
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Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich waren sich vor dem ersten Weltkrieg recht ähnlich. Die beiden Imperien besaßen eine vergleichbare innere Struktur. Es waren monarchistisch geprägte, multiethnische Reiche, wie die Historikerin Tamara Scheer vom Ludwig Boltzmann Institut für Historische Sozialwissenschaft erklärt.
Beide hatten mit inneren Konflikten zu kämpfen, allen voran das Nationalitätenproblem. "Die Tagespolitik in den Parlamenten von Wien und Budapest wurde zu 60 oder 70 Prozent von Debatten über Nationalitätenrechte dominiert", so Scheer. Im Osmanischen Reich gab es Streitigkeiten zwischen den Osmanisten, die eine eigenständige imperiale Identität wollten, und den vom europäischen Nationalismus beeinflussten Jungtürken sowie anderen nationalen Bewegungen an der Peripherie des Imperiums.
Die bröckelnde Stabilität hatte laut Scheer aber auch soziale und ökonomische Gründe. Obwohl letztere aus Sicht der heutigen Geschichtsforschung umstritten sind. Denn abgesehen von Verteilungsproblemen sei die wirtschaftliche Lage gar nicht so schlecht gewesen, wie Philip Ther vom Institut für Osteuropäische Geschichte ergänzt.
Dennoch war die Krisenstimmung in beiden Reichen schon seit Ende des 19. Jahrhunderts allgegenwärtig. "Liest man Zeitungsberichte aus der Zeit vor 1914 hat man das Gefühl, dass eine gewisse Schwarzmalerei und Untergangsstimmung die gesamte Gesellschaft geprägt hat. Dabei wurde vieles schlecht geredet, was vielleicht gar nicht so schlecht gewesen ist", beschreibt Scheer die damalige Situation. Scheer zufolge hatte diese Angst vor einem bevorstehenden Untergang ihre Ursache vermutlich weitaus weniger in wirtschaftlichen Problemen als in der Nationalitätenproblematik.
Bedrohung von außen
Schon vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren die beiden Großmächte aber auch außenpolitisch schwer angeschlagen und galten als die schwächsten Imperien. Wie sehr das österreichisch-ungarische Schicksal dem osmanischen glich, hatten viele Soldaten der k.u.k-Armee am eigenen Leib erfahren, in der Zeit ihrer Militärpräsenz im Sandžak (ein Sandžak war im Osmanischen Reich eine Unterabteilung in der Provinzialverwaltung, Anm.) von Novi Pazar von 1879 bis 1908.
Dort lebten auf kleinstem Raum alle Nationalitäten und Religionen des Balkans. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit hat sich Scheer mit den Aufzeichnungen der dort stationierten Offiziere beschäftigt. Sie beschrieben, wie das Osmanische Reich alles versuchte, um das Reich zusammenzuhalten, aber die nationale Idee einfach stärker war. "Das gab ihnen das Gefühl, dass Österreich-Ungarn mit dem Osmanischen Reich in einem Boot sitzt", so Scheer.
Das Osmanische Reich hatte in den Balkankriegen einen enormen Machtverlust erlitten und dort fast alle europäischen Territorien verloren. "Als nächstes haben sich diese neu erstarkten Nationalstaaten, die sogenannten Balkanstaaten, gegen Österreich-Ungarn gewandt", erläutert Ther. Auch insofern habe es eine klare Gemeinsamkeit zwischen den Imperien gegeben. "Beide waren in der Defensive gegenüber diesen Nationalstaaten in Südosteuropa, gegenüber den Balkanstaaten. Und sie haben dann beide den Krieg verloren, eine weitere Gemeinsamkeit", so der Historiker.
Späterer Systemwechsel
Danach folgten unterschiedliche Entwicklungen, aber mit vergleichbaren Resultaten. Auf den ehemaligen österreich-ungarischen Territorien kam es unmittelbar nach Kriegsende zu einer politischen Neuordnung, zur Gründung sogenannter Nationalstaaten. "Noch in den letzten Kriegstagen 1918 hatte Kaiser Karl seinen Offizieren erlaubt, in jene Länder zu gehen, wo neue Staaten gebildet wurden. Er verzichtete damit bereits von sich aus auf einen Teil seiner Rechte", erklärt Scheer. Laut der Historikerin wollte er so vermutlich ein Chaos verhindern.
Im Osmanischen Reich hingegen gab es vorerst noch keinen Systemwechsel, der Sultan blieb der Herrscher. Laut Ther hatte das neben den innenpolitischen Faktoren vor allem mit äußeren Bedrohungen zu tun. Es gab keinen ratifizierten Friedensvertrag und Istanbul war vorerst von den Alliierten besetzt, ein eigenständiges politisches Leben also von vorherein erschwert. Der endgültige Zerfall passierte erst nach einem weiteren Krieg, nämlich jenen mit Griechenland von 1919 bis 1923, den die türkischen Überreste des Osmanischen Reiches für sich entscheiden konnten. "Erst auf der Asche dieses Konflikts wird die Republik, die heutige Türkei geboren", so Ther.
Eva Obermüller, science.ORF.at