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Mund eines Mädchens

Für jeden Laut ein Neuron

Menschen sprechen verschieden und mitunter undeutlich. Dennoch können wir meist problemlos alle Laute einer Sprache identifizieren - das ist die Basis allen Verstehens. Forschern zufolge sind bereits einzelne Neuronen auf die Unterscheidung von Konsonanten und Vokalen spezialisiert.

Sprachverarbeitung 31.01.2014

Laute mit Bedeutung

Sprache zu verstehen, ist ein überaus komplexer Vorgang. Am Anfang steht bei gesprochener Sprache die akustische bzw. physikalische Verarbeitung von Schallwellen. In der Folge erschließt das Gehirn schrittweise die Bedeutung von Lauten, Wörtern, Sätzen und Texten.

Aber schon auf der "untersten" Ebene, also der lautlichen beziehungsweise phonetischen, hat es dabei einiges zu tun. Es gilt, die einzelnen Phoneme zu erkennen, aus denen sich die Wörter zusammensetzen. Phoneme sind die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten einer Sprache. D.h., ein Phonem entscheidet letztlich über die Bedeutung eines Wortes: Je nachdem, ob man beispielsweise im Deutschen "b" oder "r" verwendet, spricht man von einem "Bad" oder einem "Rad". Das Lautinventar einer Sprache kann recht unterschiedlich groß sein, zwischen zehn und etwa 100 ist alles möglich, Deutsch besitzt z.B. 40 Phoneme.

Die Studie im "Science":

"Phonetic Feature Encoding in Human Superior Temporal Gyrus" von Nima Mesgarani et al., erschienen am 31. Jänner 2014.

Ö1-Sendungshinweis

Über diese Studie berichtet auch "Wissen aktuell", 31.1.2014; 13:55 Uhr.

Die Phoneme lassen sich anhand ihrer akustischen Merkmale in Gruppen zusammenfassen. So zählen etwa /p t k b d g/ zu den sogenannten Plosiven, ihren Namen verdanken sie ihrer Bildung. Zuerst wird ein Verschluss zwischen Lippen, Zunge oder Gaumen gebildet, bei dessen Lösung sich der Luftstrom gewissermaßen "explosiv" seinen Weg bahnt. Andere wichtige Konsonantengruppe sind Reibelaute wie /s f / und Nasale wie /m n/. Vokale werden anhand des Entstehungsorts zusammengefasst, je nachdem, ob sie vorne (z.B.: /e i/) oder hinten (z.B.: /o u/) im Mundraums gebildet werden und ob sie offen (z.B.: /a/) oder geschlossen (z.B. /i/) ausgesprochen werden.

Regionale Verarbeitung

Man geht davon aus, dass eine bestimmte Gehirnregion im Gyrus temporalis superior, das sogenannte Wernicke-Zentrum (benannt nach dem deutschen Neurologen Carl Wernicke, der es 1874 erstmals beschrieb, Anm.) bei der Verarbeitung dieser akustischen Merkmale der einzelnen Laute eine wesentliche Rolle spielt. Das Areal reagiert auf Sprache, aber nicht auf andere Klänge, wie Studien zeigen. Durch gezielte elektrische Stimulation der Region, lässt sich das Sprachverständnis sogar stören, wie andere Untersuchungen ergeben haben. Wie das Sprachzentrum die wahrgenommenen Äußerungen zerlegt und verarbeitet, war bisher allerdings weitgehend unklar.

Video: Ein Gehirn hört den Satz "And what eyes they were"

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Die Forscher um Nima Mesgarani haben die Verarbeitung nun im Detail untersucht. Für ihre Studie haben sie die Gehirnaktivität von sechs Epilepsiepatienten mittels implantierter Multielektrodenarrays aufgezeichnet. Während der Tests hörten die Probanden insgesamt 500 Sätze von 400 US-amerikanischen englischsprachigen Sprechern. Am stärksten reagierten dabei der hintere und der mittlere Teil des Gyrus temporalis superior.

Selektive Verarbeitung

Für die genauere Analyse zerlegten die Studienautoren die Sätze in einzelne Phoneme und maßen die Reaktion an den einzelnen Elektroden. Dabei zeigte sich, wie selektiv das Gehirn auf die verschiedenen Laute reagiert. Offenbar sprechen bestimmte akustische Merkmale konkrete Neuronen im Sprachzentrum an. Die Forscher stellten z.B. an einer der Elektroden den größten Ausschlag fest, wenn das gehörte Phonem ein Plosiv war; ein anderer Messpunkt reagierte am deutlichsten auf Reibelaute. Einander ähnliche Vokale führten ebenfalls zu einer ähnlichen punktuellen Aktivierung.

Diese selektive Zuständigkeit für bestimmte klangliche Eigenschaften der gesprochenen Sprache ermöglicht eine blitzschnelle Verarbeitung der gehörten Signale. So kann das Gehirn - gewissermaßen "ohne nachzudenken" - Phoneme von Umgebungsgeräuschen, Konsonanten von Vokalen und generell bedeutsame Laute voneinander unterscheiden.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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