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Ein Straßenschild, auf dem "12.-Februar-Platz" steht

Der Bürgerkrieg und seine Folgen

Es liegt nun 80 Jahre zurück: Am 14. Februar 1934 hat Bundeskanzler Engelbert Dollfuß für Österreich das sogenannte Standrecht ausgerufen. Damit galt das Militärstrafrecht für alle Bürgerinnen und Bürger. Auslöser waren die bewaffneten Kämpfe - zwischen Polizei, Bundesheer und Heimwehr sowie dem Republikanischen Schutzbund -, die am 12. Februar begannen.

Februar 1934 10.02.2014

Insgesamt neun Schutzbündler wurden durch die austrofaschistischen Standgerichte zum Tode verurteilt und hingerichtet. Mehr als 1.600 Menschen starben bei den Kämpfen, Hunderte wurden auf beiden Seiten verletzt - darunter auch Frauen und Kinder. Mit der Niederschlagung der Februarkämpfe hatte die austrofaschistische Regierung unter Dollfuß die sozialdemokratische Opposition ausgeschaltet.

Ausschaltung des Parlaments

Eskaliert war der Konflikt bereits am 15. März 1933. Der christlichsoziale Dollfuß hatte einen Geschäftsordnungsfehler benutzt, um den österreichischen Nationalrat aufzulösen. Die Abgeordneten wurden von der Polizei daran gehindert, das Parlament zu betreten. Dollfuß berief sich auf das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1917. Damit konnte er ohne jede demokratische Kontrolle Gesetze erlassen und exekutieren.

Das Verbot der sozialdemokratischen Partei im März 1933 und die schrittweise Zerstörung sozialdemokratischer Strukturen wie der Arbeiterkammer und der Bildungsvereine fanden ihren vernichtenden Höhepunkt in den bewaffneten Auseinandersetzungen im Februar 1934. Dollfuß ließ mit schwerer Artillerie, Minenwerfern und Luftwaffe gegen die Aufständischen vorgehen.

Sein zweiter politischer Gegner, die Nationalsozialisten, wurden Dollfuß aber zum Verhängnis: Bei einem Putschversuch am 25. Juli 1934 wurde er von dem Nationalsozialisten Otto Planetta ermordet. Mit der Abschaffung der Demokratie im März 1933 war die Erste Republik Österreich Geschichte geworden.

Sendungshinweis:

Ö1-"Radiokolleg" zum Thema "Februar 1934: Der Bürgerkrieg und seine Folgen", von 10. bis 13. Februar, um 9.05 Uhr.

Links:

Literatur:

  • Manfried Rauchensteiner: Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie. Böhlau, Wien 2013
  • Emmerich Talos: Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933 - 1938. Lit Verlag, Wien 2013
  • Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik. Österreich 1945-2005. Haymon, Wien 2005
  • Florian Wenninger/Lucile Dreidemy (Hgg.): Das Dollfuß-Schuschnigg-Regime 1933-1938. Vermessung eines Forschungsfeldes. Böhlau, Wien, Köln, Weimar 2013
  • Gabriella Hauch: Frauen.Leben.Linz. Eine Frauen- und Geschlechtergeschichte im 19. Und 20. Jahrhundert. Peter Lang, Linz 2013
  • Walter Manoschek: Opfer der NS-Militärjustiz: Urteilspraxis - Strafvollzug - Entschädigungspolitik in Österreich. Mandelbaum, Wien 2003

Militarisierung der Gesellschaft nach 1918

Das Erbe, das die Erste Republik 1919 angetreten hatte, war schwierig. Der Krieg war verloren, Österreich politisch auf die deutschsprachigen Kernbezirke zusammengeschrumpft. Wer dieses Land regieren sollte, ob es als autonomer Staat existenzfähig war - diese Fragen waren offen. Rund 70.000 Soldaten kehrten aus dem Krieg zurück: Kriegsversehrte und schwer traumatisierte Männer, die ihre Jugend nicht in Lehrwerkstätten, Schulen und Universitäten verbracht haben, sondern auf dem Schlachtfeld. Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner aus Wien: "Diese Soldaten werden provisorisch in der sogenannten Volkswehr zusammengefasst, dem Heer der Übergangsregierung nach 1918."

Quer durch alle Parteien wurde die Frage diskutiert, ob sich Österreich an Deutschland anschließen solle. Doch die alliierten Siegermächte entschieden dagegen. 1919 wurde im Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye ein Unabhängigkeitsgebot für Österreich bestimmt. Dem jungen Staat wurde eine Armee von 30.000 Soldaten zugestanden. 40.000 Mann standen auf der Straße. Und das Land war polarisiert. Eine sozialdemokratische, städtische Bevölkerung stand einer christlichsozialen Landbevölkerung gegenüber. Nun rekrutierten beide Parteien aus den Beständen der aufgelösten Volkswehr Männer und schlossen sie in paramilitärischen Organisationen zusammen.

Die sozialen Utopien des "Roten Wien"

Während sich auf der einen Seite die Gesellschaft aufrüstete, wurde sie auf der anderen Seite zum Laboratorium gesellschaftlicher Utopien. Gerade im "Roten Wien" und unter sozialdemokratischer Federführung wurden in der Gesundheits- und der Bildungspolitik neue Wege beschritten. Mit Investitionen im kommunalen Wohnbau konnten die Barackensiedlungen am Stadtrand ersetzt werden.

Unter Julius Tandler wurden Gesundheitsambulatorien eingeführt. Schulärztinnen, Zahnkliniken und Babypakete verbesserten die Lebensbedingungen Wiener Kinder. Die Säuglingssterblichkeit konnte rapide gesenkt werden. Der freie Bildungszugang für alle, eine Gesamtschule und reformpädagogische Ansätze waren das Programm des Wiener Stadtschulrat-Präsidenten Otto Glöckel.

Doch die Bildungsreform der Sozialisten wurde von der christlichsozialen Regierung als Kampfansage verstanden. Der sozialistische Theoretiker Otto Bauer wiederum kritisierte in seiner Rede vor dem Parlament am 16. Oktober 1929 die geplanten Streichungen der Arbeitslosenunterstützungen. Er forderte, die Folgen der Wirtschaftskrise durch die Verstaatlichung von Unternehmen abzufedern. Damit war er für die Christlichsozialen der deklarierte politische Feind.

Der Austrofaschismus

Mit der Auflösung des Parlaments am 15. März 1933 und der Niederschlagung des Februaraufstandes 1934 war die politische Opposition ausgeschaltet. Österreich war zum Polizeistaat geworden. Das öffentliche Leben fand unter ständiger Beobachtung statt. Doch Kontrolle allein war nicht genug: Das Ziel der Regierung Dollfuß-Schuschnigg war es, die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Ihr Instrument war die Vaterländische Front.

Diese nach faschistischem Vorbild organisierte Einheitspartei hatte das Ziel, alle Lebensbereiche der Bürger zu kontrollieren. Wer im öffentlichen Dienst beschäftigt war - sei es als Polizist, Lehrer, Beamter oder als Krankenschwester - musste der Vaterländischen Front beitreten, berichtet der Historiker Emmerich Talos von der Universität Wien. Das galt auch für Unternehmer und Wirtschaftstreibende, denn Aufträge von Bund und Land waren an die Mitgliedschaft bei der Partei gebunden.

Zitat aus der Enzyklika "Quadragesimo anno":

"Der Sozialismus, gleichviel ob als Lehre, als geschichtliche Erscheinung oder als Bewegung, auch nachdem er in den genannten Stücken der Wahrheit und Gerechtigkeit Raum gibt, bleibt mit der Lehre der katholischen Kirche immer unvereinbar. Er müsste denn aufhören, Sozialismus zu sein: Der Gegensatz zwischen sozialistischer und christlicher Gesellschaftsauffassung ist unüberbrückbar."

Ideologisch grenzte sich das Regime sowohl von den Sozialdemokraten als auch von den Nationalsozialisten ab. Die Regierung Dollfuß berief sich auf die Enzyklika "Quadragesimo anno", in der Papst Pius XI. im Jahr 1931 eine kirchliche Lehre von Wirtschaft und Gesellschaft definierte. Diese kirchliche Soziallehre wurde jedoch völlig ins Gegenteil verkehrt, so Talos. In der Enzyklika war allerdings ein klares Feindbild definiert: die Sozialisten.

Der "Ständestaat" Österreich

Der Begriff "Ständestaat", den das austrofaschistische Regime für seine Herrschaftsform wählte, vermittelte eine falsche Perspektive auf die politische Realität der Regierung Dollfuß-Schuschnigg, erklärt der Zeithistoriker Oliver Rathkolb von der Uni Wien. "Das Regime suggerierte eine in Stände unterteilte friedliche Konstruktion der Gesellschaft. Diese mittelalterliche Utopie ließ sich nicht umsetzen. Konkret orientierte man sich am Vorbild des faschistischen Italien. Mit Mussolinis Unterstützung erhoffte man sich, die politische Eigenständigkeit Österreichs zu bewahren."

Wirtschaftlich produzierte das austrofaschistische Regime ein Desaster. "Gestärkt wurden die Großunternehmer und die Großgrundbesitzer. In den 30er Jahren wurden Tausende kleine Gehöfte versteigert. Die Arbeitslosenrate stieg auf mehr als 25 Prozent", so Talos. Im selben Zeitraum war die Arbeitslosigkeit im nationalsozialistischen Hitlerdeutschland praktisch auf null gesunken. Denn Adolf Hitler investierte gigantische Summen in die Rüstungsindustrie. Diese Entwicklung stärkte die illegalen Nationalsozialisten in Österreich. Diese wollten den Umsturz und verbreiteten Angst und Schrecken mit Bombenattentaten. Zwischen dem 1. Juni 1933 und dem 10. März 1938 starben in Österreich 169 Menschen durch die Hand der Nationalsozialisten.

Am 19. Juni 1933 wurde die Nationalsozialistische Partei in Österreich verboten. Doch ungeachtet dessen liefen bereits seit Monaten seitens der Regierung informelle Verhandlungen mit den Nationalsozialisten. Denn zahlreiche Parteimitglieder hielten in Politik und Wirtschaft Schlüsselstellen inne.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten

Mit dem Juliabkommen im Jahr 1936 näherten sich Hitler und Benito Mussolini an. Mussolini zeigte nun kein Interesse mehr an Österreichs Unabhängigkeit. Kurt Schuschnigg, der sich um internationale Unterstützung bemühte, scheiterte 1937 mit diesem Vorhaben. Die geplante Volksabstimmung über die Eigenständigkeit Österreichs kam nie zustande.

Am 12. März 1938 marschierten Soldaten der Deutschen Wehrmacht und Polizisten - insgesamt rund 65.000 Mann - in Österreich ein. Am 13. März wurde das "Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich" vom kurzfristig eingesetzten Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart unterzeichnet. Schuschnigg wurde verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Die Nazis hatten in Österreich die Herrschaft übernommen.

Margarethe Engelhardt-Krajanek, Ö1 Wissenschaft

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