Der Geist des Wettbewerbs weht durch die Wissenschaft. Ob Fördergelder, Publikationen, Zitate - wer die Dinge durch die kompetitive Brille betrachten möchte, dem wird es an passenden Vergleichsgrößen nicht mangeln. Das macht natürlich vor allem jenen Spaß, die bei derlei Vergleichen gut abschneiden. International betrachtet sind das üblicherweise US-Institutionen. Plus ein paar europäische, die Universitäten in Cambridge und Oxford sowie die ETH Zürich liegen in Ranglisten regelmäßig im Vorderfeld.
Die Universität Wien, Österreichs mit Abstand größte Hochschule, rangiert ebenso regelmäßig unter ferner liefen. Daher verweist man hierzulande gerne auf spartenspezifische Stärken, etwa Quantenphysik, angewandte Mathematik, Molekularbiologie. In diesen Fächern ist die österreichische Forschung, wie es im sportiven Jargon der Politik so schön heißt, "gut aufgestellt".
“Dominanz der USA nimmt ab“
Ö1 Sendungshinweis:
Über die wissenschaftliche Performance Chinas berichtet auch "Wissen Aktuell" am 18.2.2014 um 13.55 Uhr.
Eine Standortbestimmung für das amerikanische Wissenschafts- und Bildungssystem ist ein jährlich erscheinender Bericht der National Science Foundation (NSF). 600 Seiten ist die aktuelle Ausgabe der "Science and Engineering Indicators" stark, neben inneramerikanischen Statistiken ist darin auch etwas über die Konkurrenz aus Übersee zu lesen.
China holt demnach in Bezug auf das Publikationsaufkommen stetig auf und hat laut jüngsten Zahlen Rang drei abgesichert. Und: Die Forschungsausgaben asiatischer Länder übersteigen mittlerweile jene der USA.
Ähnliches hat bereits die OECD im Jänner berichtet. Chinas Wissenschaftsbudget hat sich seit dem Jahr 1998 verdreifacht, während die Ausgaben in Europa im gleichen Zeitraum kaum angestiegen sind. Ein aktueller Vergleich: 2012 gab China 1,98 Prozent seines BIP für die Forschung aus, in den 28 Mitgliedsländern der Europäische Union waren es 1,96 Prozent.
Die Reaktionen auf den Bericht fielen unterschiedlich aus. "Die langjährige Dominanz der USA nimmt kontinuierlich ab", sagte Dan Arvizu vom amerikanischen National Science Board. "Andere Länder haben ihre Forschungskapazitäten erhöht, und dieser Bericht zeigt, wie schnell sie sich entwickeln." "Der Rest der Welt holt auf", konzediert auch der NSF-Statistiker Mark Boroush, betont aber: Aufholen sei nicht das Gleiche wie Überholen.
Denis Simon, Wissenschaftsforscher an der Arizona State University, verweist gegenüber dem Fachblatt "Nature" auf statistische Details. Chinesische Fachartikel würden außerhalb des Landes relativ selten zitiert, das weise darauf hin, dass es in Bezug auf die Qualität der Beiträge noch Aufholbedarf gebe. "Das Gravitationszentrum der kreativen Forschung liegt nach wie vor im Westen."
CERN prägt die Statistik
Mehrere Lesarten bieten sich auch bei anderen Kapiteln der "Science and Engineering Indicators 2014" an. Die NSF erkennt in der jüngsten Entwicklung "eine der größten Umwälzungen der amerikanischen Forschungslandschaft". Es seien "Grenzen überwunden und unbekannte Territorien erschlossen" worden, heißt es in dem Bericht.
Anlass für diese Diagnose ist die Zahl der Autoren pro publiziertem Paper, die in den letzten Jahren (in den USA wie anderswo) tatsächlich kontinuierlich gestiegen ist. Das gilt insbesondere für die Jahre 2011 und 2012, wo es zu einem geradezu sprunghaften Anstieg kam.
Ein Schub in Richtung kollaborative Wissenschaft? Der Bericht der NSF legt dies nahe - eine Sichtweise, die man im Fachjournal "Science" nicht unbedingt teilt. "Science"-Korrespondent Jeffrey Mervis verweist in einem Artikel darauf, dass die Publikationen des europäischen Kernforschungszentrums CERN für den steilen Anstieg der Kurve verantwortlich sind.
An den CERN-Experimenten sind mitunter Hunderte bis Tausende Wissenschaftler beteiligt. Daher liege es in der Natur der Sache, dass die Zahl der Autoren im Schnitt steigen muss, sofern das CERN vermehrt Ergebnisse publiziert.
Das war in den letzten Jahren durch die Inbetriebnahme des großen Teilchenbeschleunigers LHC der Fall. Sie hat unter anderem zur Entdeckung des lang gesuchten Higgs-Teilchens geführt, Nobelpreis inklusive. Auch für Mervis' Argument gibt es eine passende Statistik. 2011 wurden im Fachgebiet Physik 45 Studien mit mehr als 3.000 Autoren publiziert, 2012 waren es 88. Vor 2010 hingegen keine einzige.
Verlierer und Gewinner auch im Osten
Einer der Gründe, warum China auch in wissenschaftlicher Hinsicht die Hegemonie des Westens in Frage zu stellen vermag, ist das "Projekt 985". Dabei handelt es sich um eine im Mai '98 gestartete Exzellenz-Initiative (daher der Name), die ausgewählte Universitäten mit Infrastruktur und üppigen Forschungsbudgets ausstattete.
Das Projekt war allem Anschein nach erfolgreich, hat allerdings auch zu einem Trend geführt, den man in Europa und den USA bereits gut kennt. Die Distanz zwischen Gewinnern und Verlierern wird größer. Die chinesischen Spitzeninstitute nehmen im internationalen Wettbewerb Fahrt auf, die "normalen" Universitäten der Volksrepublik verlieren im Gegenzug immer mehr den Anschluss.
"Matthäus-Effekt" hatte das der US-Wissenschaftssoziologe Robert K. Merton einst genannt: "Wer hat, dem wird gegeben werden." Die Arbeiten Mertons wird man in Zukunft wohl auch in China zitieren.
Robert Czepel, science.ORF.at
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