In einigen Bereichen ist diese besonders gefährliche Variante des Doping bereits möglich, erläutert der Sportmediziner Norbert Bachl vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien. Bleibt der Leistungssport so, wie er ist, wird er auch in Zukunft ohne Doping nicht möglich sein.
science.ORF.at: Im Vorfeld der Olympische Winterspiele in Sotschi wurde unter anderem über den regelmäßigen Gebrauch von Schmerzmitteln im Leistungssport diskutiert. Fallen schmerzstillende Mittel denn bereits unter Doping?
Norbert Bachl: Da gibt es eindeutige Richtlinen. Alle Medikamente, Substanzen oder Methoden, die auf der WADA-Liste (World Anti-Doping Agency) stehen, sind verboten. Das heißt, wenn Schmerzmittel nicht auf der Liste stehen und sie werden genommen, dann ist es auch kein Problem.

Universität Wien
Norbert Bachl ist Leiter der Abteilung für Sport- und Leistungsphysiologie des Instituts für Sportwissenschaft der Universität Wien und Direktor des Österreichischen Instituts für Sportmedizin.
Ö1 Sendungshinweis:
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen Aktuell, 19.02., 13:55 Uhr.
Dennoch haben die Bekenntnisse einiger Spitzensportler, ohne Schmerzmittel nicht einmal trainieren zu können, für öffentliches Aufsehen gesorgt. Gehören Schmerzmittel zum Alltag im Leistungssport?
Man sollte nie verallgemeinern, aber natürlich geht der Hochleistungssport an die Grenzen, und es gibt Sportarten, wo Verletzungen und Abnützungen wesentlich mehr und häufiger aufscheinen als in anderen. Dort sind Schmerzmittel sicherlich Medikamente, die genommen werden bzw. genommen werden müssen, wenn man zu bestimmten Zeiten eine sehr, sehr gute Leistung erbringen will.
Im Vorfeld der Olympischen Spiele ist ein neues Dopingmittel aufgetaucht. Der Wachstumsfaktor MGF wurde offensichtlich von einem Mitarbeiter der Russischen Akademie der Wissenschaften angeboten. Ist MGF wirklich neu?
MGF ist ein Wachstumsfaktor, der in der Muskulatur gebildet wird und zwar dann, wenn die Muskulatur durch hohe, vielfach exzentrische Belastungen, aber auch hohe konzentrische Belastungen bzw. durch Elektrostimulation belastet wird. Also Belastungen, bei denen der Muskel einen Widerstand überwindet und dabei länger oder eben auch verkürzt wird.
MGF ist mit dem IGF 1 verwandet. Das ist der "Insuline-like growth factor 1", der im Organismus in vielen Organen vorkommt und ein ganz wichtiger Wachstumsfaktor für den Organismus ist. Nun kann man dieses MGF offensichtlich auch synthetisch herstellen. Und diese Substanz, die seit etwa fünf bis sechs Jahren bekannt ist, ist einer der stärksten muskelhypertrophierenden Faktoren, die es gibt. Und natürlich kann man annehmen, dass diese Substanzen verwendet werden.
Man muss sich auch überlegen, daß diese Wachstumsfaktoren bei sarkopenischen Patienten, also Patienten mit Muskelschwäche, durchaus klinisch einsetzbar sind. Auch bei anderen Therapien, nach schwersten Verletzungen mit Muskelatrophien etwa, werden Wachstumsfaktoren lokal injiziert - da gibt es auch wirklich Indikationen im Bereich der Medizin. Aber die Schwelle zum Missbrauch ist sehr, sehr niedrig.
Wie lang müsste man MGF verabreichen, damit es wirkt?
Das hängt davon ab, was man macht. Wenn man es rekombinant anwendet, könnte man mit einer Injektion, soweit das aus den Tierversuchen bekannt ist, eine Wirkung über einige Wochen erzielen. Wenn man versucht, es gentechnisch zu machen, dann wäre die Wirkung wesentlich länger, wobei aber bei diesen Methoden weder die Zielzellenspezifität noch die Nebenwirkungen bekannt sind. Das wäre dementsprechend sehr riskant.
Ist MGF bereits nachweisbar?
Das ist unterschiedlich. Es gibt Hinweise, dass MGF den Muskel nicht verlässt, wenn es produziert wird. Das hieße im Analogieschluss, dass - wenn ich synthetisch rekombinantes MGF in den Muskel spritze - es dort ebenfalls verbleibt und systemisch im Blut oder Harn nicht nachgewiesen werden kann. Das ist die gängige Lehrmeinung. Ob das tatsächlich so ist, hängt wahrscheinlich auch von der Art der Herstellung dieses Muskelwachstumsfaktors ab bzw. ob man beim Injizieren Gefäße trifft oder nicht.
Gibt es nach wie vor Länder, deren Athleten öfter beim Doping erwischt werden?
Es gibt noch immer viele Länder, in denen die Zahl der Goldmedaillen zum politischen Prestige beiträgt. Und es ist natürlich nicht auszuschließen, dass in diesen Ländern private und zum Teil auch von öffentlichen Stellen geförderte Labors bestimmte leistungssteigernde Substanzen herstellen. Man muss sich klarmachen, dass viele dieser Dopingmittel eigentlich aus der Medizin kommen. Denn die Medizin bemüht sich ja, immer neue Therapiewege zu finden.
Und diese Substanzen, die dann bei Herzinsuffizienz, schlechtem Blutbild bis hin zur Krebstherapie eingesetzt werden, werden missbraucht. Das ist das große Problem. Das heißt, dass in vielen Labors geforscht wird, aber leider wird der Output zum Doping verwendet.
Gleiches gilt für das Gendoping. Dabei handelt es sich auch um Verfahren, die aus der Medizin, vielfach aus der Krebstherapie, kommen. Was kann Gendoping bei Sportlern und Sportlerinnen bewirken?
Da gibt es zunächst einmal die Unterscheidung zwischen direktem und indirektem Gendoping. Das direkte Gendoping hieße, dass man tatsächlich wie bei einer Gentherapie das Genom verändert. Das ist beim Menschen wahrscheinlich im Sport derzeit nicht anwendbar, weil die menschliche Leistungsfähigkeit polygenetisch ist. Das heißt, dass sehr viele Gene eine Rolle spielen und man die Interaktionen nicht so genau kennt, als dass man das wagen könnte.
Viel gefährlicher und wahrscheinlich auch eher einsetzbar, ist das indirekte Gendoping - also der Versuch, die Expression der Gene zu beeinflussen.
Inwieweit wird indirektes Gendoping bereits eingesetzt?
Das ist alles spekulativ. Es gibt Substanzen, die möglicherweise verwendet wurden, wenn man sich bestimmte Leistungen ansieht und wenn man der Gerüchteküche Glauben schenkt. Nachgewiesen wurden diese Substanzen allerdings bis auf ein, zwei Einzelfälle noch nicht.
Aber alle Gendoping-Verfahren im Sport sind verboten. Es steht ganz eindeutig im WADA-Code, dass jede Manipulation - da stehen nicht alle Faktoren einzeln aufgelistet, aber ihre systemische Wirkung - verboten ist.
Gentherapien an sich können auch schreckliche Nebenwirkungen haben, die man teilweise in Kauf nimmt, weil die ursprüngliche Krankheit noch schlimmer ist. Welche Risiken entstehen für Sportler, die Gendoping machen?
Die Risiken sind immens. Das geht von Immunerkrankungen über Autoimmunerkrankungen bis zu Karzinomen - eine Palette von Nebenwirkungen, über die man eigentlich nichts weiß.
Das gefährliche daran ist, dass Menschen, die manipulieren wollen, das alles verdrängen. Da ist der Sieg, die Goldmedaille, das Geld, der Ruhm wesentlich mehr wert als der Gedanke, was in fünf Jahren passieren könnte - und das ist die Tragik und Problematik dabei.
Erwarten Sie, dass Gendoping die Zukunft des Dopings ist?
Ich denke, dass jene, die manipulieren wollen, denen, die es nachweisen müssen, immer einen Schritt voraus waren und auch sein werden. Gendoping ist ein summarischer Begriff. Da gibt es verschiedenste Möglichkeiten, im Bereich der Genetik und der Manipulation der Genexpression tätig zu sein. Und insofern ist in diesem Bereich in der Zukunft wahrscheinlich ein weites Feld offen.
Eine Frage, die vermutlich nicht leicht und schnell zu beantworten ist: Wäre ein Sport ohne Zusatzstoffe und Schmerzmittel heute überhaupt noch denkbar im professionellen Bereich?
Das ist hehre Theorie. Wenn die Gesellschaft Leistungssport, wie er derzeit durchgeführt wird, akzeptiert, dann muss sie auch mit der Problematik leben, dass die Grenzen der Belastbarkeit erreicht bzw. überschritten werden. Damit ist auch der Einsatz gewisser Medikamente nicht auszuschließen.
Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft/science.ORF.at