Ein Forscherteam aus Psychologen und Computerwissenschaftlern der Universität Bonn entwickelte die App "Menthal", um das Verhalten von Vielnutzern zu messen.
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Smartphonenutzer können die "Menthal"-App hier kostenlos herunterladen
80-mal am Tag
Die meisten Nutzer tendieren nach Beobachtungen der Wissenschaftler dazu, die Zeit am Handy zu unterschätzen. In einer Pilotstudie anhand der App untersuchten sie das Verhalten von 50 Studierenden über einen Zeitraum von sechs Wochen. Resultat: Alle zwölf Minuten aktivierte ein Durchschnittsnutzer sein Smartphone.
Einer der Leiter der Studie, der Psychologe Christian Montag(www.diff-bonn.de, spricht von "erschreckenden Ergebnissen": "Im Schnitt wurde das Handy am Tag 80-mal aktiviert." Ein Viertel der Probanden habe das Gerät länger als zwei Stunden pro Tag genutzt. "Die Frage ist, wann wird die Smartphonenutzung problematisch und wann beginnt die Sucht?" Zusammen mit dem Informatikprofessor Alexander Markowetz und weiteren Wissenschaftlern entwickelte Montag mit "Menthal" eine App, die exakt festhalten soll, wie oft und wann das Smartphone aktiviert wird und welche Dienste und Anwendungen man nutzt.
Telefonieren und SMS "out"
Viele jüngere Menschen wollen ständig erreichbar sein. Man könnte ja wichtige Nachrichten etwa über Facebook oder den Kurznachrichtendienst WhatsApp verpassen. "Auch in Vorlesungen sind viele permanent online", sagt ein 20-jähriger Student. Vor allem gehe es um Kommunikation mit Freunden und Bekannten.
Angesagt ist dabei aktuell das sogenannte Instant Messaging via WhatsApp. Dort kann man bei einer Internetverbindung und über die Handynummer Nachrichten sowie Fotos und Videoaufnahmen rasch hin- und herschicken. Man sieht auch, wer jeweils online oder "verfügbar" ist. Klassische SMS, das gewöhnliche Telefonat und E-Mails treten immer mehr in den Hintergrund. Das neue Kommunikationsverhalten wird auch in der Bonner Pilotstudie belegt: Dabei steht WhatsApp noch vor Facebook und Spielen an der Spitze, weit dahinter rangieren Telefonieren und SMS.
Rückzieher bei Spiele-App
Auch Spiele-Apps wie etwa "Quizduell" sind auf dem Smartphone beliebt. Das Hitspiel "Flappy Bird" wurde zurückgezogen: Der vietnamesische Entwickler bekam nach eigenen Angaben Gewissensbisse. Es sei eigentlich zur Entspannung gedacht gewesen, habe sich aber zu einem Produkt mit Suchtpotenzial entwickelt, erklärt dieser den ungewöhnlichen Rückzieher auf dem Höhepunkt des Erfolgs.
Neues Forschungsfeld Psychoinformatik
Die App "Menthal" sei wie eine "digitale Waage", mit der man sein eigenes Suchtpotenzial einschätzen könne, sagt Montag. Die meisten Studien zur Handynutzung hätten sich bisher auf Selbsteinschätzungen verlassen, die auch subjektiv verfälscht sein könnten.
Übermäßiger Umgang mit dem Smartphone könne suchtähnliches Verhalten hervorrufen, erläutert Montag. Um das Befriedigungsniveau zu halten, sei ein immer höherer Konsum nötig. Ähnlich wie bei anderen Suchtmitteln gebe es bei Nichtnutzung auch Entzugserscheinungen. Und ähnlich wie bei Drogen gebe es eine "ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Medium".
Wer die App nutzt, kann nicht nur sein eigenes Gefährdungspotenzial besser einschätzen, sein Verhalten wird auch von den Forschern ausgewertet. Über einen Server werden die anonymisierten Daten an das Bonner Team geleitet. Es will die Informationen laut eigenen Angaben unter Einhaltung strenger und transparenter Datenschutzregelungen für die psychologische Handyforschung und das neue Forschungsfeld der Psychoinformatik nutzen.
Edgar Bauer, dpa/science.ORF.at