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Die Flagge der ehemaligen DDR

Medaillenjagd in Ost und West

Mehr als ein Jahrzehnt traten die DDR und die BRD unter gemeinsamer Flagge bei Olympischen Spielen an. Ostdeutschland sollte so politisch geschwächt werden. Sportlich überflügelte die DDR seinen westlichen Nachbarn jedoch bald.

Zeitgeschichte 10.03.2014

Auch Österreich erkannte die DDR bis 1972 nicht an. Bei der Vierschanzentournee 1959/60 gipfelte die diplomatische Pattsituation dann in einem „Flaggenstreit“. Der beste Skispringer der Zeit, ein DDR-Athlet, konnte nicht antreten. Die Vierschanzentournee fiel dem Kalten Krieg zum Opfer. Vergangene Woche widmete sich ein Workshop am Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften der "Medaillenjagd im Kalten Krieg".

Die Mannschaften der BRD und der DDR sind einige Jahre gemeinsam, als ein Team, unter einer Flagge bei den Olympischen Spielen angetreten. Wie ist es dazu gekommen?

Maximilian Graf: Es geht auf eine Initiative des Internationalen Olympische Komitees (IOC) zurück, dass es zwischen 1956 und 1964 gesamtdeutsche Olympiamannschaften gibt. 1956 treten die beiden Länder noch gemeinsam unter der Flagge der BRD an. Nachdem sich die DDR 1959 eine eigene Staatsflagge gibt, verfügt das IOC, dass die beiden Mannschaften weiterhin unter der "Schwarz, Rot, Gold" antreten, aber die Flagge wird um die fünf Olympischen Ringe ergänzt. 1968 gibt es erstmals getrennte Teams bei den Olympischen Spielen, allerdings noch unter der Olympia-Flagge. Erst 1972 treten die Staaten wirklich getrennt unter ihren eigene Flaggen an.

Welches Ziel verfolgte das IOC mit dieser Taktik? Sollte die DDR als eigenständiger Staat nicht anerkannt werden?

Dieses Ziel verfolgte auf jeden Fall die Bundesrepublik Deutschland. Durch die Hallstein-Doktrin schafft es die BRD die internationale Anerkennung der DDR bis Anfang der 1970er Jahre zu verhindern, natürlich mit Ausnahme der sozialistischen Staaten und weniger anderer Ausnahmen. Natürlich trachtete man auch danach, das auch im Sport umzusetzen. Das war aber nicht im Interesse des Sports, keine Sportler aus der DDR bei internationalen Großereignissen dabei zu haben. Viele Verbände haben Athleten aus der DDR schon sehr früh separat antreten lassen. Bei den Olympischen Spielen findet man dann 1956 diesen Kompromiss mit der gesamtdeutschen Mannschaft, nachdem vier Jahre zuvor nur westdeutsche Sportler an den Spielen teilgenommen hatten. Und zumindest in drei Olympiajahren gelingt es der BRD, die DDR-Flagge zu verhindern.

Die DDR Sportler erringen in den 1960er Jahren immer mehr Medaillen bei den Olympischen Spielen. Welche Folgen hat das?

Die DDR ist bereits in den 1950er Jahren in einigen Sportarten in der Weltspitze, etwa im Eisschnelllaufen oder Skispringen. Aber insgesamt erringt die BRD bis Anfang der 1960er Jahre mehr Medaillen und stellt mehr Sportler im gemeinsamen Team als die DDR. Ab 1964 ändert sich das. Beispielsweise im Skispringen treten bei den Olympischen Spielen im zweiten Durchgang ausschließlich DDR-Athleten an. Das führt dazu, dass sich die BRD zunehmen an der Sport- und vor allem Nachwuchsförderungssystem der DDR orientiert und damit das eigene System professionalisiert.

Ö1 Sendungshinweis:

Auch "Wissen Aktuell" berichtet am 10.3.2014 um 13.55 Uhr über Sport im Kalten Krieg.

Wurden in der DDR bestimmte Sportarten stärker gefördert als andere?

Insgesamt ist die Sportförderung der DDR mit jener westlicher Staaten nicht zu vergleichen, denn es handelt sich um ein staatliches Programm. Die alleinregierende Partei entscheidet im Politbüro, was im Sport geschieht. Es geht also darum, medaillenintensive Sportarten zu fördern. Im Sommersport etwa Leichtathletik, Rudern oder Schwimmen, im Wintersport zum Beispiel Langlaufen, wo ein Topathlet mehrere Medaillen erringen kann. Die Mannschaftssportarten dagegen erfahren keine besondere Förderung.

War Doping in der DDR auch Teil dieser „staatlichen Förderung“?

In der DDR wird ab 1964 flächendeckend gedopt. Dabei handelt es sich um ein staatliches Programm. Es gab Olympische Spiele, bei denen die DDR-Schwimmerinnen fast alle Medaillen abgeräumt haben. Dieses System mit der BRD zu vergleichen, ist schwierig. Dort wurde natürlich auch gedopt. Aber es waren einzelne Verbände, Netzwerke oder Athleten dafür zuständig.

War der Sport in der DDR noch politischer als in der BRD?

In der DDR ist der Sport von Anfang an politisch. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) bringt den Sport schnell unter ihre Kontrolle - allerspätestens 1957, als der deutsche Turn- und Sportbund gegründet wird, der dann als Dachorganisation für die ganzen Verbände fungiert und unter direkter Anleitung der SED steht.

Skispringen gehörte zu den Sportarten, in denen die DDR besonders stark war. In der Saison 1955/56 treten Athleten aus der DDR auch in Österreich bei der Vierschanzentournee an. Gibt es hier diplomatische Schwierigkeiten?

Bei den Einzelkonkurrenzen sind die Sportler der DDR und der BRD, anders als bei Olympia, getrennt angetreten. Und zunächst gibt es hier auch keine diplomatischen Herausforderungen für Österreich. Helmut Recknagel, ein DDR-Athlet, wird in den 1950er Jahren zum dominierenden Sportler im Skisprung. Er löst die skandinavische Dominanz ab. Er wird 1958 und 1959 Sieger der Vierschanzentournee.

Will die DDR auch bei der Vierschanzentournee mit eigener Flagge antreten?

Ab 1959 hat die DDR eine eigene Flagge und von diesem Zeitpunkt an will sie natürlich auch unter dieser Flagge antreten, Schwarz, Rot, Gold mit Hammer und Sichel im Ehrenkranz. Diese Flagge wird in der BRD per Gesetz verboten und Ausland versucht die BRD, das Zeigen dieser Flagge zu verhindern. Bei kleineren Ereignissen, mit weniger medialem Interesse ist es der DDR durchaus gelungen, die neue Flagge zu zeigen. Das erste Großereignis, wo es zu einem Skandal kommt, ist die Vierschanzentournee 1959/60, wo im Vorfeld bereits klar ist: In der BRD darf die Flagge nicht gezeigt werden. Es gab wieder Bestrebungen, unter der gemeinsamen Flagge mit den Olympischen Ringen anzutreten. Ein anderer Vorschlag lautet, bei der Veranstaltung selbst nur die Flaggen der Skiclubs bzw. des Veranstalterlandes zu hissen. Beides lehnt die DDR ab.

Die Politführung hofft, dass die DDR-Flagge zumindest in Österreich, bei den Springen in Innsbruck und Bischofshofen gezeigt werden wird. Hier zeigt sich dann die enge Verbindung von Sport und Politik. Das Außenministerium weigert sich zwar, eine direkte Weisung zu geben. Aber Außenminister Kreisky macht klar, wenn sie mit den Kompromissvorschlägen nicht einverstanden sind, sollen sie nachhause fahren. Die Medien reagieren dann ähnlich. Österreich sei kein Platz für kommunistische Propaganda. Zuvor bedauerte man noch, dass ein bekannter Athlet wie Recknagel nicht antreten konnte. Aber als auch in Österreich dieser "Flaggenstreit" Thema wird, bekommt auch die Berichterstattung hier eine eindeutig antikommunistische Ausrichtung.

Wie lange hält dieser "Flaggenstreit" an?

Schon bei der nächsten Vierschanzentournee einigt man sich. Nur die Flaggen des Veranstalterlandes und der organisierenden Skiclubs werden gehisst. Helmut Recknagel tritt wieder an und gewinnt. Aber es ist eben nicht so, dass der Antritt der DDR-Athleten durch diesen Kompromiss erst im Folgejahr möglich war. Das wurde rückwirkend gerne kolportiert. Dieses Angebot gab es 1959 bereits, wurde von der DDR-Führung jedoch strikt abgelehnt.

Interview: Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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