Der erste Satz der physikalischen Genesis müsste lauten: "Am Anfang ging alles ganz schnell." Eine winzige Zeitspanne nach dem Urknall explodierte die Raumzeit. Wobei "Explosion" noch ein schwacher Ausdruck dafür ist, was Theoretiker aus ihren Formeln ableiten. 10 hoch minus 34 Sekunden nach dem Urknall (das ist ein Zehnmilliardstel einer Billionstel Billionstel Sekunde) hatte das Universum noch die Größe eines Atoms.
Noch so einen Sekundenbruchteil später war das Universum bereits so groß, dass selbst die Milchstraße darin nur als Punkt erkennbar gewesen wäre, hätte es damals schon Planeten und Sterne gegeben. Nach dieser "inflationären Phase", wie Astrophysiker diese ruckartige Ausdehnung nennen, besaß der Kosmos bereits ein Tausendstel seines heutigen Volumens.
Die Studie:
"Man kann Energie aus dem Nichts erschaffen"
Bis vor kurzem war diese Theorie, die auf den Physiker Alan Guth zurückgeht, eben nur Theorie. Plausible, aber unbestätigte Physik. Nun kommt die Bestätigung vom Südpol. Dort steht das BICEP2-Teleskop, mit dessen Hilfe Forscher die den Kosmos erfüllende Mikrowellenstrahlung untersuchen.
Und in ebenjener Hintergrundstrahlung haben sie nun die Signatur der "inflationären Phase" gefunden, die Alan Guth anno 1980 erstmals in Formeln gegossen hatte. Das Modell wurde erfunden, um ein schwerwiegendes Problem zu lösen. Es erklärt, warum das Universum so einförmig ("isotrop") aufgebaut ist: Wohin man auch blickt, überall ist die Hintergrundstrahlung die Gleiche. Das kann nur dann sein, wenn der heutige Kosmos dereinst in kurzer Zeit unendlich verdünnt wurde.
Durch wen oder was verdünnt? Woher stammt eigentlich die Energie für diesen kosmischen Gewaltakt? "In Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie ist die Energie nicht konserviert. Man kann Energie aus dem Nichts erschaffen", erklärt Bruce Allen vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik.
Alan Guth fand für diesen Umstand eine anschauliche Formulierung: "Maybe the universe is the ultimate free lunch." Für den Nachweis der freien Verköstigung auf kosmischen Skalen winkt nun der Nobelpreis. Das sieht auch Wolfgang Lucha vom Wiener Institut für Hochenergiephysik so - siehe nachstehendes Interview.
Herr Lucha, was genau hat die BICEPS2-Kollaboration nachgewiesen?
Wolfgang Lucha: Eine bestimmte Art von Polarisation in der kosmischen Hintergrundstrahlung. Dabei handelt es sich um eine Mikrowellenstrahlung, die ungefähr 400.000 Jahre nach dem Urknall entstanden ist - und zwar zu einer Zeit, als die ersten Atome entstanden: Damals wurde das Universum für elektromagnetische Strahlung durchsichtig, diese Strahlung sehen wir heute noch. Wenngleich sie in der Zwischenzeit extrem stark an Energie eingebüßt hat, ihre Temperatur liegt nur knapp drei Grad über dem absoluten Nullpunkt.
Was zeigen die Polarisationen in der Hintergrundstrahlung?
Sie weisen auf Gravitationswellen hin, die in der Zeit der inflationären Phase des Universums entstanden sind. Man könnte sagen: Die Gravitationswellen haben in der Hintergrundstrahlung einen Abdruck hinterlassen.
Was sind Gravitationswellen?
Dehnungen und Stauchungen der Raumzeit. Technisch gesprochen sind sie Lösungen jener Gleichungen, die Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie aufgestellt hat. Wobei man betonen muss: Dieser Nachweis ist kein direkter Nachweis. Wir sehen wie gesagt nur den Abdruck der Gravitationswellen.
Warum sind die Gravitationswellen direkt so schwer nachzuweisen?
Weil ihre Amplituden so klein sind. Die Energiebeträge, die man mit Detektoren messen müsste, sind extrem gering.
Welchen Wert hat diese Entdeckung?
Ich halte sie für eine Sensation. Sollten die Messungen durch ein unabhängiges Experiment bestätigt werden, ist der Nobelpreis fällig.
Wer könnte diese Bestätigung liefern?
Zum Beispiel Messungen mit dem Planck-Satelliten. Die Ergebnisse sollen innerhalb dieses Jahres veröffentlicht werden.
Angenommen, das gelänge: Hätte man damit auch die lang gesuchten Gravitonen in der Tasche - also jene Botenteilchen, die die Schwerkraft vermitteln?
Im Prinzip ja. Gravitonen sind die Quanten des Gravitationsfeldes. Wenn es Gravitationswellen gibt, muss es eigentlich auch Gravitonen geben. Nur bevor wir über Gravitonen reden, würde ich gerne die Gravitationswellen einmal direkt sehen. Im Übrigen gibt es bisher noch keine überzeugende, allgemein anerkannte Quantentheorie der Gravitation, sondern lediglich vielversprechende Ansätze.
Sie haben vorhin die "inflationäre Phase " des Universums erwähnt. Warum hat Alan Guth diese Theorie damals eingeführt?
Das Universum hat ein paar überraschende Eigenschaften. Die kosmische Hintergrundstrahlung hat in jeder Raumrichtung die gleiche Temperatur. Was angesichts der Größe des Universums erstaunlich ist, weil es zwischen vielen Bereichen niemals eine kausale Verbindung gegeben hat. Außerdem ist die Raumzeit flach. Das müsste nicht so sein, die Raumzeit könnte auch stark gekrümmt sein. All das lässt sich nur durch die Annahme erklären, dass sich das Universum in Urzeiten wie ein Luftballon extrem ausgedehnt hat.
Nach der inflationären Phase hat sich die Ausdehnung des Universums verlangsamt. Seit ein paar Milliarden Jahren beschleunigt sie sich allerdings wieder. Die "Dunkle Energie" ist nach Übereinkunft der Physiker daran schuld. Woher kommt sie?
Wir wissen es nicht. Der Begriff ist nur ein Euphemismus dafür, dass wir keine Ahnung haben, woher diese Energie kommt. Ein aus Verzweiflung geborener Name ohne Erklärungswert.
Wie würde sich das Universum ohne Dunkle Energie entwickeln?
Das hinge von der Dichte des Universums ab. Vermutlich würde es sich verzögert, aber unendlich ausdehnen. Theoretisch könnte es auch wieder kontrahieren. Die Dichte liegt, soweit heute bekannt, interessanterweise genau an der Kippe zwischen diesen beiden Extremen.
Robert Czepel, science.ORF.at
Mehr zu diesem Thema: