Handwerklich begabte Arten gibt es im Tierreich zuhauf, wenngleich nicht alle mit Händen werken. Schimpansen natürlich schon, sie haben sogar regionale Stile des Nüsseknackens entwickelt. Bei Oktopussen und Krähen müssen eben Tentakel und Schnabel herhalten.
Was die anatomischen Voraussetzungen betrifft, sind Delfine nicht gerade bevorzugt. Die Torpedoform lässt kaum Organe zu, mit denen man in die Welt "eingreifen" könnte. Gefinkelte Jagdtechniken haben sie dennoch im Repertoire: Der große Tümmler stochert, wie Verhaltensforscher wissen, im Kopfstand nach Beute im Meeresboden und treibt Fische aus ihren Verstecken, indem er seine Rückenflosse mit lautem Knall auf die Wasseroberfläche schlägt.

Michael Krützen et al.
Er geht sogar außerhalb des Wassers auf die Jagd, wirft seinen fischförmigen Körper auf den Strand und schnappt dort erfolgreich nach unvorsichtigen Vögeln. Hübsch bis lustig anzusehen ist auch das "sponging". Wie Michael Krützen von der Universität Zürich vor neun Jahren herausgefunden hat, haben Delfine in Westaustralien eine besondere Methode entwickelt, um ihre empfindlichen Schnauzen beim Stochern im Meeresboden zu schützen.
"Weibchen sind die Hüterinnen des Wissens"
Die Studie:
"Cultural transmission of tool use combined with habitat specialisations leads to fine-scale genetic structure in bottlenose dolphins" von Anna Koops und Kollegen ist am 19.3.2014 in den "Proceedings of the Royal Society - Series B: Biological Sciences" erschienen.
Sie lösen Schwämme vom Meeresboden und stecken sich diese als Protektoren auf die Nase. Die Technik wird von Weibchen an ihre Kinder weitergegeben, auf diese Weise hat sich in den letzten Jahren eine regelrechte "Schwammkultur" in der lokalen Delfinpopulation entwickelt. Wie Krützen nun im Fachblatt "Proceedings B" berichtet, hat dieser Umstand mittlerweile seine Spuren im Genpool hinterlassen.
Jene Delfine, die mit Schwämmen umzugehen wissen, tragen im Erbgut der Mitochondrien eine spezielle Gensequenz, die ihre konventionell jagenden Artgenossen nicht (bzw. seltener) besitzen. Hat das Gen etwas mit dem Verhalten zu tun? "Nein", sagt Krützen im Gespräch mit science.ORF.at. "Bei den Delfinen sind die Weibchen die Hüterinnen des Wissens. Nachdem das Erbgut der Mitochondrien ebenfalls nur von den Weibchen vererbt wird, hat sich diese Gensequenz ebenso wie die Schwammtechnik in der Population ausgebreitet."
Kultur nimmt Gene huckepack
Krützen weist in seiner Arbeit nach, dass die Gen-Ausbreitung nicht durch Zufall entstanden sein kann. Die Schwammtechnik bietet den Delfinen offenbar einen Überlebensvorteil, sie ernähren sich anders als ihre "kulturlosen" Artgenossen und bekommen auch mehr Nachkommen. Das Gen indes hat keinen Einfluss auf die Fitness: Die Kultur dürfte also die Genetik quasi huckepack mitgenommen haben, "cultural hitchhiking" nennen Evolutionsbiologen dieses Phänomen.
Ähnliches gibt es übrigens auch beim Menschen. Die genetische Basis der Milchzuckerverdauung hat sich vor allem in jenen Gesellschaften ausgebreitet, deren Vorfahren einst Viehzucht betrieben. Allerdings nicht über "cultural hitchhiking", sondern eher im Gleichschritt zwischen Kultur und Natur, denn das entsprechende "Laktase-Gen" dürfte schon gewisse Vorteile gebracht haben. Jedenfalls ist das der Grund, warum die Nordeuropäer Milch relativ gut, die Südeuropäer eher schlecht vertragen.
Ansonsten sind die Effekte der Kultur auf das Erbgut beim Menschen sehr schwierig nachzuweisen, betont Krützen. Denn: "Wir sind als Art in den letzten 150.000 Jahren extrem gewachsen. Unsere genetische Vielfalt ist sehr hoch, die Durchmischung ebenso." Die Delfine hingegen seien, was den Gen-Pool betrifft, vergleichsweise einfach gestrickt. Die Männchen sind übrigens beim großen Tümmler kulturell auf der konservativen Seite. Sie lernen zwar als Kinder den Schwamm auf der Nase zu tragen, machen davon aber im Erwachsenenalter kaum Gebrauch.
Robert Czepel, science.ORF.at
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