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Secession, Außenansicht

Das Ornament: Lebendig und gefährlich

Was haben Einzeller aus dem Meer mit Kunst und Architektur um 1900 zu tun? Eine ganze Menge, wie die Kulturwissenschaftlerin Andrea Wald nachweist. Sie hat die naturnahen Ornamente des Jugendstils untersucht und kommt zu dem Schluss: "Ornamente sind lebendige Zeichen, die auch gefährlich werden können."

Kunst 24.03.2014

In einem Interview zeichnet Wald kulturhistorische Verbindungslinien zwischen dem malenden Zoologen Ernst Haeckel und dem philosophierenden Architekten Adolf Loos. Ein Gespräch über die "Kunstformen der Natur" und "Ornament und Verbrechen".

science.ORF.at: Eine Blumenwiese im Frühling - ist das noch Natur oder schon Kunst?

Andrea Wald: Schwierige Frage. Wo hört die Natur auf und wo beginnt die Kunst? Gibt es überhaupt so etwas wie das Naturschöne? Oder ist alles durch unsere Wahrnehmung vermittelt, gefiltert - und damit ein Kunstschönes? Wenngleich es natürlich einen Unterschied macht, ob ich eine Blumenwiese sehe oder das Bild einer Blumenwiese. Im ersten Fall habe ich eine andere sinnliche Erfahrung. Und die interessante Frage ist dann: Wie stellt man diese sinnliche Erfahrung künstlerisch dar?

Andrea Wald

IFK

Andrea Wald hat am Institut für Germanistik und Anglistik sowie am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien studiert. Seit 2009 ist sie Doktorandin am Department of Germanic Studies der University of Chicago, seit Oktober 2013 forscht sie als Junior Fellow am Wiener Institut für Kulturwissenschaften IFK.

Pubklikationen:
On a Breakdown in Science. The Paranoid’s World and the Baroque, in: JEP – European Journal of Psychoanalysis. Humanities, Philosophy, Psychotherapies, 31/2010, Mailand 2012, S. 187–198;

Fatal Attractions: The Monstrosity of Film Noir, in: Gerhard Unterthurner, Erik Vogt (Hg.), Monstrosity in Literature, Psychoanalysis, Philosophy, Wien 2012, S. 91–114;

gem. mit Noah Holtwiesche, Der Schleier als Symptom des liberalen Subjekts. Zur Identifizierung des Unidentifizierbaren, in: Roman Widholm, Esther Hutfless (Hg.), Verhältnisse Bd. 1: Identifizierungen, Wien 2011, S. 13–34.

Vortrag zum Thema:

Andrea Wald: "Lebensteppich Ornament: Zur Genese einer Form", IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien; Mo 24.3., 18 Uhr.

Zumindest könnte man behaupten: Die Natur ist schöpferisch.

Das ist ein Gedanke, der im 19. Jahrhundert Thema wurde. Damals löste man sich von der Ansicht, dass die Natur aus festen Formen besteht, gewissermaßen als ein Behälter der göttlichen Ideen. Die Evolutionsbiologie wandelte dieses statische Bild, durch die Entwicklung der Lebewesen wurde die Natur selbst als Künstlerin angesehen.

Wer hat diese Position vertreten?

Sehr wichtig war in diesem Zusammenhang der Biologe Ernst Haeckel, der Darwins Ideen im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht hat. Wobei er die Darwin'sche Selektion ein wenig vernachlässigte und eher Wert legte auf die Permutation, das schöpferische Wuchern der Natur. Haeckel hat als Naturmaler und Person des öffentlichen Lebens auch die Künste beeinflusst, vor allem den Jugendstil.

Inwiefern?

Zum Beispiel den französischen Maler und Jugendstil-Architekten René Binet. Von ihm stammt das Eingangsportal für die Pariser Weltausstellung im Jahr 1900, das nach dem Vorbild eines Strahlentierchens, einer Radiolarie gestaltet wurde.

Eingangsportal Weltausstellung 1900

Public Domain

Radiolarie im Riesenformat: La Porte Monumentale von René Binet

Es gibt zwischen den beiden einen Briefwechsel, in dem Binet schreibt: "Ihr Buch 'Die Kunstformen der Natur' hat mich zu der Gestaltung des Portals angeregt. Ich bin ohnehin der Meinung, dass sich die Menschen viel mehr mit den Eigenheiten der Natur beschäftigen sollten." Dieser Satz steht für die generelle Situation gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Die Menschen waren mit den Formen des Historismus unzufrieden, sie sehnten sich nach etwas Neuem - und dieses Neue kam aus der Natur.

Sie weisen in Ihren Forschungen nach, dass bei diesem Übergang vor allem die Ornamente in Kunst und Architektur eine Art Eigenleben entwickeln. Was ist eigentlich ein Ornament?

Der Begriff leitet sich vom lateinischen "ornare" ab, was schmücken, verzieren und auch ordnen bedeutet. Ornamente sind Dinge, die außen an Häusern oder Kunstwerken angebracht werden, um sie für das Auge gefälliger zu machen und Aufmerksamkeit zu erregen. Der österreichische Kunsthistoriker Alois Riegl schrieb 1893: "Das erste Ornament entstand, als die erste Umrisslinie eines Gegenstandes aus der Natur gezeichnet wurde." Diese Linie lässt sich nach Riegl weiter verändern und permutieren, aber der Bezug zur Natur geht nie verloren.

Inwiefern unterscheidet sich der Jugendstil in der Verwendung des Ornaments von seinen Vorläufern, zum Beispiel vom Historismus?

Der Historismus verwendet Ornamente, um alte Zeiten wieder auferstehen zu lassen. Der Jugendstil verwendet Ornamente als ästhetische Werke in sich selbst. Im Historismus sind Ornamente Vehikel, im Jugendstil werden sie zum Kunstgegenstand. Ein beliebtes Motiv im Jugendstil ist etwa der menschliche Körper, der sich in Blattwerk auflöst, das sich seinerseits in Ornamenten auflöst. Andere Motive sind: Blattwerk und Ranken in abstrakter Form, Spiegel - inszeniert als Tor zur Natur, Lorbeerkränze.

Der Lorbeerkranz galt in der Antike ein Symbol der gesundheitlichen und moralischen Erneuerung.

Darum ging es auch den Vertretern des Jugendstils. Genau genommen kann man nicht von dem Jugendstil sprechen, weil das eine heterogene Bewegung war, bestehend aus Symbolisten, Impressionisten und Naturlisten. Sie alle wurden geeint durch den Wunsch, aufzubrechen in eine neue Kunst. Die Wiener Secessionsbewegung hat sich vom Künstlerhaus abgespalten, um eine neue Gemeinschaft zu gründen und einen neuen Bezug zur Natur herzustellen. Darum heißt das Publikationsorgan der Wiener Secession "ver sacrum", also "heiliger Frühling". Die Kunst war in diesem Zusammenhang mehr als die Gestaltung der Innenräume - sie durchdrang alle Aspekte des Lebens und wurde zum Lebensstil.

Wo sind in Wien die schönsten Ornamente zu sehen?

Ich würde empfehlen: Otto Wagners Häuser an der linken Wienzeile sowie seine Kirche am Steinhof, die Apotheke zum weißen Engel im ersten Bezirk und natürlich die Secession.

Das Ornament hatte auch Gegner. Adolf Loos schreibt in "Ornament und Verbrechen": "Evolution der Kultur ist gleichbedeutend mit dem Entfernen des Ornamentes aus dem Gebrauchsgegenstande."

Damit war er nicht alleine. Ornamente sind Zeichen, um das Schöne darzustellen. Aber diese Zeichen können auch in die Irre gehen und waren daher immer schon verdächtig. Schon Lessing hat vor dem Ornament gewarnt.

Warum?

Bei Lessing geht es um die Frage, wie man eine Fabel schreibt. Eine Fabel braucht eine Verpackung, eine Geschichte. Wenn man diesen Rahmen zu mächtig werden lässt, verschwindet die Moral dahinter.

So ähnlich wie das Verhältnis von Form und Funktion in der Architektur?

So kann man das denken. Das ornamentale Klimbim lief Gefahr zu mächtig zu werden. Zeichen sind Transportmittel, aber sie können ein Eigenleben entwickeln. Das hat den Menschen schon im 18. Jahrhundert Angst gemacht. Und das ist es auch, was Loos als Degeneration und "Verbrechen" empfunden hat. Seine Forderung war: Unser Muster muss die totale Musterlosigkeit sein. Für Loos war das Ornament Zeitverschwendung.

Er hat im Übrigen nicht nur die Ornamente abgelehnt, sondern auch das gesamte Pathos, das damit verbunden war. Unter den Vertretern des Jugendstils waren ja auch Konservative, Traditionalisten und Monarchisten. Sie wollten zwar, dass ihre Bewegung den Menschen lehrt, wie man sich dem Leben zuwendet. Aber das galt nur für einen bourgeoisen, aristokratischen Zirkel. Der "Pöbel" war damit nicht gemeint.

War Loos mit seinen Reformbemühungen erfolgreich?

Historisch betrachtet nicht wirklich. Die Allbeseelung der Natur lebt immer noch nach. Zum Beispiel im Design und den Lifestyle-Bewegungen: Wenn Leben Stil werden soll, schwingt noch immer das Ornament mit. Und im Grunde war Loos auch bei seinen eigenen Bauwerken nicht immer konsequent. Wenn man etwa das Loos-Haus am Michaelerplatz betrachtet: Der Marmor ist ohne Zweifel ornamental.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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