Die Ursache vermuten die Forscher um Daniel Notterman von der Penn State University und Sara McLanahan (Princeton) im Serotonin- und Dopamin-Stoffwechsel.
Späte Wirkung früher Erlebnisse
Die Studie:
"Social disadvantage, genetic sensitivity, and children's telomere length" erscheint am 7. April 2014 in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (DOI:10.1073/pnas.1404293111).
Die Literatur mit Belegen, dass eine von Entbehrungen und Gewalt geprägte Kindheit auch noch im Erwachsenenalter krank machen kann, füllt mittlerweile ganze Bibliotheken. Schnell war auch der Stress, den solche Erfahrungen mit sich bringen, als Ursache für die hohe Rate an psychischen und physischen Erkrankungen festgemacht - allein, es fehlte das medizinische Bindeglied, also jener Faktor, der die Wirkung früh gemachter Erlebnisse noch Jahrzehnte später entfalten lässt.
Ein verheißungsvoller Kandidat erwuchs aus der Genetik. Je mehr man über Funktionsweisen und Aufbau unseres Erbguts herausfinden konnte, desto stärker rückten die Telomere ins Blickfeld. Sie dienen nicht nur den Chromosomen als Schutzkappen, sie sind auch so etwas wie eine körpereigene Altersanzeige. Denn je mehr Jahre ein Mensch zählt, desto stärker abgenützt sind die Telomere. Und je stärker sie degeneriert sind, desto eher ist der betreffende Mensch anfällig für - meist mit dem Alter assoziierte - Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson und Krebs.
Erlebnisse, Gene und Botenstoffe
Im Jahr 2010 erschien eine erste Studie, die bei Erwachsenen mit einer gewaltvollen Kindheit auf geschrumpfte Chromosomenkappen hinwies, der gleiche Effekt wurde bei misshandelten Frauen nachgewiesen. 2012 folgte schließlich eine Studie zu Kindern, die die "genetische Wirkung" von Gewalt ebenso belegte. Gleichzeitig zeigte sich aber auch, dass nicht alle Kinder diese Veränderung aufwiesen, ebenso wie nicht alle Erwachsenen mit einer belastenden Kindheit krank werden.
Den Ursachen ging nun das Team um Daniel Notterman und Sara McLanahan anhand eines klar abgegrenzten Samples nach: Der "Fragile Families and Child Wellbeing Study" entnahmen sie eine Stichprobe von 40 Buben, die um eine Speichelprobe gebeten wurden. Auf deren Basis wurde die Länge der Telomere ermittelt. Gleichzeitig wurden im Rahmen der Studie erhobene Angaben zu Familieneinkommen, Erziehung, Familienstruktur und -stabilität sowie Depressionen der Mutter zusammengestellt. Und zusätzlich erstellten die Forscher hinsichtlich der Botenstoffe Serotonin und Dopamin - beide bestimmen unter anderem den Gemütszustand eines Menschen mit - eine vierstufige "Empfindlichkeitstabelle", von wenig bis heftige Reaktionen auf die Ausschüttung dieser Botenstoffe.
Höhere Empfindlichkeit
Sobald die Forscher alle Faktoren in Beziehung setzten, zeigte sich, dass sowohl ein geringes Familieneinkommen als auch die Familienstruktur und Gewalterfahrungen sich negativ auf die Telomerlänge auswirkten, allerdings mit einer Einschränkung: Eine Auswirkung der sozialen Umstände auf das Erbgut war bei jenen Buben eindeutig nachweisbar, die zu empfindlichsten Gruppen gehörten. Sie zeigten im Vergleich zu in harmonischen Verhältnissen aufgewachsenen Gleichaltrigen, aber auch zu den unempfindlicheren Leidensgenossen deutlich verkürzte Schutzkappen.
Die Hypothese der Forscher: "Wir nehmen an, dass die Gene eines Menschen die Heftigkeit der körperlichen Reaktion auf äußeren Stress mitbestimmen". Bezüglich der Gegenmaßnahmen hingegen gibt es keinerlei Unsicherheit: Unterstützung für Kinder in belastenden Familienverhältnissen.
Elke Ziegler, science.ORF.at